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dessen Mitte sich ein Springbrunnen befand, der während der wärmeren Jahreszeit munter vor sich hinplätscherte. Jetzt war er abgestellt und wirkte stumm und irgendwie tot, wie alles.

      Ja, alles machte auf Bettina den Eindruck, als sei es in einen Dornröschenschlaf versunken – der abgestellte Brunnen, der stille Platz, das Chateau mit seinem imposanten Charme, dem so sehr die Vergänglichkeit anhaftete, obschon alles sehr gepflegt war, wie beispielsweise die sorgsam gestutzten Buchsbäume, die seit ihrem letzten Besuch ganz schön gewachsen waren.

      Ihre Ankunft war beobachtet worden.

      Marcel hatte gerade den Motor abgestellt, als Marie, die rundliche Köchin, durch die dunkelbraune Eichentür geschossen kam.

      Sie rannte erstaunlich behende die vier breiten Steinstufen hinunter, die auch deutliche Spuren des Alters trugen, um Bettina, die aus dem Auto geklettert war, in die Arme zu nehmen, sie zu herzen und zu umarmen, um fast gleichzeitig zu schluchzen:

      »Mon Dieu ..., mon Dieu, der arme Jörg …«

      Bettina musste schlucken, um nicht auch in Tränen auszubrechen. Aber glücklicherweise hatte Doris sich zu ihnen gesellt.

      Sofort ließ Marie Bettina los und wandte sich Doris zu: »Madame, schön, dass Sie mitgekommen sind.«

      Sie nahm Doris ganz spontan in die Arme, und Doris, die Coole, begann zu weinen.

      Bettina wusste nicht, was ihre Schwägerin überwältigte, die herzliche Begrüßung, oder die Erinnerungen an Jörg und das mit ihm hier geführte gemeinsame Leben.

      Sie wechselte schnell das Thema.

      »Marie, herzlichen Glückwunsch zu deinem Enkel … Wie heißt er denn?«

      Marie ließ Doris los, ihr Gesicht begann zu strahlen, natürlich war ihr Enkel wichtiger als die Erinnerungen an Jörg.

      »Nicholas, André, Auguste, Michel«, sagte sie stolz, »und er ist ein Prachtkind.«

      Marcel hatte sich mit den Taschen an ihnen vorbeigeschoben, sie folgten ihm ins Haus in die große, beinahe saalähnliche Diele.

      Überrascht blieb Doris stehen.

      »Wie sieht es denn hier aus?«, erkundigte sie sich. »Alles ist verändert.«

      »Ja, Catherine hat sich hier ausgetobt. Gefällt es dir nicht?«

      Doris schüttelte den Kopf.

      »Nein, vorher fand ich es schöner. Ich bin zwar eigentlich für moderne Sachen, aber die alten Möbel und Ölgemälde passten irgendwie besser hier rein.«

      Das war auch Bettinas Empfinden, aber sie sagte nichts dazu, wozu sollte sie jetzt die Stimmung aufheizen. Geändert werden konnte es doch nicht mehr, und wozu auch.

      Jörg hatte seine damalige »Lebensabschnitts-Gefährtin«, denn etwas anderes war die quirlige Catherine ja nicht gewesen, gewähren lassen. Und das mussten sie eben hinnehmen.

      »Madame, ich habe für Sie den rechten Seitenflügel herrichten lassen«, drang Maries Stimme an Doris’ Ohr, »Sie waren schließlich die Hausherrin hier.«

      Beinahe entsetzt wehrte Doris ab.

      »Bitte nicht, Marie, bitte lassen Sie mich oben in einem der Gästezimmer schlafen. Ich … ich könnte es nicht ertragen … all die Erinnerungen…«

      Marie schaute zu Bettina, ihr Blick verriet so etwas wie – ich habe es doch nur gut gemeint…

      »Marie, ich glaube, es ist wirklich besser, Doris oben unterzubringen, ich könnte auch nicht im Seitenflügel schlafen, denn ich müsste auch immer an Jörg denken.«

      Marie nickte.

      »Das Rosenzimmer ist auch hergerichtet, ist das in Ordnung?«

      »Es ist perfekt«, erwiderte Bettina, »es liegt direkt neben meinem Zimmer, und wenn wir wollen, können wir uns abends noch unterhalten, ohne weite Wege gehen zu müssen.«

      Doris atmete erleichtert auf, weil sie es in den Räumen, in denen sie mit Jörg streckenweise glücklich, die meiste Zeit jedoch unglücklich gewesen war, nicht ausgehalten hätte.

      Sie nahmen eine der beiden geschwungenen dunkelbraunen Eichenholztreppen, die hinauf zur oberen Etage führten, in der die Gästezimmer untergebracht waren.

      Oben angekommen, öffnete Bettina die Tür ihres Zimmers, das sie schon bewohnt hatte, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war. Es lag gegenüber der Balustrade, von der man einen Blick auf die Diele hatte.

      Bettina stellte ihre Tasche ab, durchquerte das Zimmer, um die doppelflügeligen Fenstertüren zu öffnen.

      Von hier aus hatte man einen Blick auf sich die dahinschlängelnden Weinberge, die bis zum Horizont reichten, wo sie sich verloren.

      Heute bot sich ihr allerdings nicht der Blick auf saftiges Grün, sondern tristes Grau-Braun, das schwer auf dem Gemüt des Betrachters lasten konnte.

      Bettina war bereits zu jeder Jahreszeit auf dem Chateau gewesen, so traurig wie heute hatte sie es noch niemals zuvor erlebt. Aber früher hatte ihr Vater noch gelebt, später dann wenigstens Jörg. Wie ein Leichentuch lastete das schwere Grau auf der Landschaft. Doch die würde, im Gegensatz zu Jörg, wieder zum Leben erwachen. Bald würde es an den braunen Stümpfen der Rebstöcke wieder anfangen zu grünen und zu sprießen, aus dem dann satten Grün würden die prallen Reben hervorleuchten, und die Erde würde duften und glühen unter den Strahlen der Sonne, und die Luft würde angefüllt sein vom Gezirpe der Zikaden.

      Aber Jörg …

      Bettina wandte sich ab, begann mit rein mechanischen Bewegungen ihre Tasche auszupacken, dann ging sie in das altmodische Badezimmer, das sie schon als kleines Mädchen entzückt hatte – hier gab es noch die alten Armaturen, eine Badewanne, die auf vergoldeten Löwenpranken stand und die alten cremefarbenen Fliesen mit den verblassten Blumenranken in einem sanften Rosa.

      Sie wusch ihre Hände, blickte in den Spiegel und sah ihr blasses Gesicht, das eigentlich ein wenig Rouge gebraucht hätte, doch dazu brachte sie keine Energie auf.

      Bettina hörte das Klopfen an ihrer Zimmertür, doch ehe sie etwas hätte sagen können wurde aufgemacht, Doris’ helle Stimme klang zu ihr herüber. »Störe ich?«

      Bettina trocknete ihre Hände ab, legte das Handtuch beiseite und verließ das Badezimmer.

      »Natürlich störst du nicht.«

      Im Gegensatz zu ihr hatte Doris sich umgezogen, sie trug eine dunkelblaue Jeans und einen gestreiften Pullover in verschiedenen Blautönen, ihr Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie sah sehr hübsch aus, wenngleich man auch ihr die innere Anspannung deutlich ansah.

      »Es ist kaum zum Aushalten«, sagte Doris und schmiss sich auf das Bett. »Ich habe das Gefühl, Jörg müsse jeden Augenblick hier irgendwo um die Ecke biegen.«

      Bettina konnte ihre Schwägerin so gut verstehen, doch sie durfte jetzt nicht auch noch solche Töne anschlagen.

      »Doris, wir dürfen uns da jetzt nicht in etwas hineinsteigern. Jörg ist nicht hier, und wir beide wissen, dass er es auch niemals mehr sein wird. Wir haben hier die Chance, in Würde von ihm Abschied zu nehmen.«

      »Das ist leichter gesagt als getan«, bemerkte Doris und richtete sich wieder auf. »Ich weiß bis heute nicht, warum du dir ausgerechnet diesen Raum hier ausgesucht hast. Es gibt doch weitaus schönere.«

      »Ich weiß«, entgegnete Bettina, »aber ich war sofort in dieses Zimmer verliebt, mehr noch in das Badezimmer.«

      »Das total veraltet ist«, sagte Doris.

      »Aber sehr romantisch, zumindest war es das für mich früher. Ich fühlte mich immer wie eine Prinzessin. Heute ist das zwar anders, und ich gebe ja zu, dass mich manchmal nervt, wie langsam das Wasser aus den verkalkten

      Leitungen läuft, aber das nehme ich in Kauf. Ich möchte kein anderes Zimmer haben und rechne es Jörg hoch

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