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Bettina«, erinnerte Doris sie, »und du kannst tun und lassen, was du willst.«

      Bettinas blaue Augen füllten sich mit Tränen.

      Doris hatte recht, doch sie hatte keinen Spaß daran, jetzt Besitzerin dieses prächtigen Anwesens zu sein, das ihr Bruder ihr vererbt hatte.

      »Komm, Doris, lass uns hinuntergehen und in der Küche einen großen Café au Lait trinken, und ganz bestimmt hat Marie ihre wunderbaren Croissants gebacken oder die köstlichen Madeleines.«

      »Und wann willst du mit Marcel reden?«, erkundigte Doris sich und folgte Bettina hinaus.

      »Heute auf keinen Fall«, wehrte sie sofort ab, »heute mache ich nichts … oder weißt du was, Doris? Laß uns einfach nach Bordaux fahren.«

      Sie gingen nebeneinander die breite, geschwungene Treppe hinunter.

      »Morgen machen wir ein Wettrennen«, sagte Doris, »du nimmst die eine Treppe, ich die andere, mal sehen, wer dann zuerst unten ist.«

      »Das haben wir als Kinder auch immer gemacht«, erinnerte Bettina sich. »Mein Gott, wie lange ist das schon her, und was hat sich nicht alles inzwischen ereignet.«

      »Werd jetzt nicht sentimental, Bettina. Du bist doch diejenige, die immer predigt, dass man nicht zurückblicken soll, dass Flucht kein Ausweg ist.«

      »Wie kommst du denn jetzt darauf, ich mein das mit der Flucht.«

      »Ganz einfach«, antwortete Doris und sprang die letzten drei Stufen in einem Satz herunter. »Weil du nach Bordeaux fahren willst, gleich am ersten Tag. Was ist das denn wohl?«

      Bettina fühlte sich ertappt.

      »Du hast recht, aber wir können ja, obschon ich das eigentlich hasse, sagen, dass wir unbedingt etwas für Maries Enkelchen kaufen müssen. Sie wird sich freuen, und wir können uns ganz allmählich an das Chateau ohne Jörg gewöhnen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich da so schwer dran zu knapsen habe. Deswegen denke ich auch, dass mir der liebe Gott verzeihen wird, dass ich jetzt das Baby vorschiebe, um dem Chateau für einen Moment entrinnen zu können.«

      »Du musst dich nicht rechtfertigen, Bettina. Bei mir läufst du offene Türen ein. Ich hätte auch nicht gedacht, dass es mich so sehr aus den Puschen haut. Schließlich bin ich doch von Jörg geschieden, und glücklich war ich hier, weiß Gott, nicht. Dennoch werde ich das Gefühl nicht los, etwas Unwiederbringliches verloren zu haben.«

      Marie kam aus dem Seitenflügel, in dem die Wirtschaftsräume untergebracht waren.

      Hocherfreut nahm sie zur Kenntnis, dass die beiden jungen Frauen extra nach Bordeaux fahren wollten, um etwas für den Kleinen mit den vielen Vornamen zu kaufen, dafür versprach sie ein opulentes Menü für den Abend, und was das bedeutete, wussten sie beide.

      Doch zuerst sollte es den Café au Lait geben, und selbstverständlich konnte Marie ihnen dazu nicht nur Croissants oder Madeleines bieten, sondern noch ganz andere Köstlichkeiten.

      *

      Am nächsten Morgen war Bettina schon sehr früh wach, und sie beschloss, einer alten Gewohnheit zu folgen und durch den Park zu laufen.

      Sie durchquerte ohne besonderes Interesse den sogenannten Französischen Garten, den hier jeder hatte, der etwas auf sich hielt. Der Garten des Chateaus war ein Meisterwerk mit uraltem Baumbestand, auch jetzt, in dieser tristen Jahreszeit, waren die Buchsbäume kunstvoll geschnitten, ebenso die Zypressen.

      Bettina war das alles zu künstlich, zu bilderbuchhaft, zu konstruiert. Es war schön, wunderschön, und der Garten hatte auch nicht nur eine Veröffentlichung in namhaften Architektur- und Gartenbüchern gehabt. Mochten andere Leute in Entzückensschreie ausbrechen, ihr Herz berührte er nicht.

      Sie liebte den in einem anderen Teil des Parks liegenden Rosengarten, der im Sommer nicht nur einen atemberaubenden Anblick bot, sondern in dem es dann auch ganz unbeschreiblich duftete.

      Jetzt freilich wirkte alles trist, und man brauchte viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie es in einigen Monaten wieder sein würde.

      Bettina lief schneller, denn an den Rosengarten schloss sich der mit sehr alten und seltenen Bäumen bestandene Teil des Parks an, in dessen Mitte der Teich lag.

      Im Sommer war er übersät von Seerosen, Schwäne glitten majestätisch dahin, und Wildenten schnatterten, und das Gequake der Frösche war nicht zu überhören.

      Hier hielt Bettina sich am liebs­ten auf, wenngleich sie zugeben musste, dass der Teich, auf dem zwei Enten herumschwammen, die neugierig auf sie zusteuerten, um dann gleich wieder abzudrehen, als sie merkten, dass bei ihr nichts zu holen war, um diese Jahreszeit viel von seinem Charme eingebüßt hatte. Ganz ohne Sonnenlicht wirkte alles ringsum düster, und das Wasser war still und grau.

      Nein, das hatte nichts mit ihrer Zauberwelt gemein, in die sie früher immer eingetaucht war. Stundenlang hatte sie auf einer der verwitterten alten Steinbänke gesessen und auf den Prinzen gewartet.

      An dem Teich hatte sie ihn nicht gefunden. Aber im wahren Leben? Ja, da gab es ihn, ihren Prinzen, den hatte sie zweifelsfrei in Jan van Dahlen gefunden.

      Bettina fröstelte und wollte aufstehen, als sie hinter sich glockenhelles Lachen vernahm.

      »Wußte ich doch, dass ich dich hier finden würde«, sagte Doris und setzte sich neben sie. »Jörg hat mir irgendwann einmal erzählt, dass dies hier dein absoluter Lieblingsplatz ist und dass du sogar versucht haben sollst, Frösche zu küssen in der Hoffnung, ein Prinz möge daraus werden.«

      »Das ist nicht wahr«, widersprach Bettina sofort, »ich habe mir nur vorgestellt wie es denn wäre, aber ich schwöre dir, versucht habe ich es nicht … aber mein Lieblingsplatz ist es hier, und als kleines Mädchen träumte ich davon, eine Prinzessin zu sein.«

      »Die jedesmal zum Essen geholt werden musste«, fuhr Doris fort, »was jedoch immer nur mit ganz viel Tra-Ra möglich war.«

      »Stimmt, du weißt eine Menge über mich«, sagte Bettina voller Erstaunen.

      »Jörg hat es mit Begeisterung erzählt … Er mochte dich sehr gern, Bettina, auch wenn er es vielleicht nicht immer so gezeigt hat.«

      »Ich … ich … Jörg ist mein Lieblingsbruder«, sagte sie schnell. Sie konnte ganz einfach noch nicht in der Vergangenheitsform über ihn sprechen.

      »Ich bin jetzt übrigens auch hier, um dich zu holen, Marie werkelt schon in der Küche herum und ist dabei, ein opulentes Frühstück für uns zuzubereiten. Ich glaub, sie hat vor, uns zu mästen. Ich bin ja jetzt noch satt von dem Vier-Gänge-Menü von gestern Abend. Aber das war auch eine Offenbarung, ich hatte ganz vergessen, welch großartige Köchin Marie doch ist.«

      »Das ist sie«, bestätigte Bettina und erhob sich, »sowohl das Chateau als auch der Fahrenbach-Hof sind mit Meisterköchinnen bestückt. Jede ist auf ihre Art absolute Spitzenklasse.«

      »Oui, Madame«, sagte Doris und hakte sich bei Bettina ein. »Liegt für heute etwas an?«

      Bettina nickte.

      »Ja, ich werde es nicht länger hinausschieben und endlich das Gespräch mit Marcel führen.«

      »Und was willst du ihm sagen?«

      »Keine Ahnung, es wird sich ergeben. Im Grunde genommen geht es doch erst einmal nur darum, festzulegen, was in den nächsten Monaten hier geschehen soll, und das ist nicht so schwer.«

      »Das heißt im Klartext, dass du alles so weiterlaufen lassen willst wie bisher.«

      »So gesehen …, ja«, antwortete Bettina.

      Doris blickte sie von der Seite an.

      »Du weißt aber schon, dass das ein bisschen feige ist, oder?«

      Bettina fühlte sich ertappt.

      »Vielleicht ist es feige. Aber ich kann im Augenblick nichts anderes tun. Wenn Jörg…«

      »Bettina, Jörg kommt nicht mehr«,

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