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Gottes willen, Doris, so darfst du das nicht sehen. Jörg und du, ihr seid doch nicht wie Feinde auseinandergegangen, im Gegenteil. Erinnere dich bitte daran, wie liebevoll ihr miteinander umgegangen seid, als Jörg vor seinem Abflug nach Neuseeland noch auf dem Fahrenbach-Hof war. Ihr habt so wild miteinander geflirtet, dass er dir sogar ein Ticket schickte, damit du nach Neuseeland nachkommen konntest. Wer weiß, vielleicht wäret ihr wieder zusammen, wenn du geflogen wärst.«

      »Oder ich wäre jetzt auch tot.«

      »Oder ihr wäret ganz woanders hingeflogen, wenn ihr zusammen gewesen wärt. Ach, Doris, wir können doch jetzt nichts anderes anstellen als Mutmaßungen. Fakt ist auf jeden Fall, dass Jörg sich gefreut hätte. Und für dich ist es auf jeden Fall gut, nochmals auf das Chateau zu fahren und mit deiner Vergangenheit abzuschließen. Schließlich bist du seinerzeit bei Nacht und Nebel abgehauen. Und Doris, für mich ist es auch nicht einfach … Du bist mir eine sehr große Stütze.«

      Sie hatten den Flughafen Orly erreicht. Es waren nicht sehr viele Passagiere, die ausstiegen.

      Es war auch keine Reisezeit, und die Geschäftsleute, die unterwegs sein mussten, hatten frühere Maschinen genommen. Aber das war Bettina ganz angenehm.

      Sie hatte sich speziell für diese Verbindung entschieden, weil sie sofort einen Anschlussflug nach Bordeau hatten und nicht einmal eine Viertelstunde warten mussten.

      Da sie sich auskannte, mussten sie nicht lange herumfragen. Zielstrebig ging Bettina voran, und Doris stolperte ihr hinterher. All diese Durchsagen in der französischen Sprache verwirrten sie noch immer. Sie hatte zwar jetzt einen Sprachkurs belegt, um auch mit diesem Gespenst aus ihrer Vergangenheit fertig zu werden, doch das Wenige, was sie bisher gelernt hatte, war im Moment wie weggewischt, und sie hätte sich nicht einmal getraut »Bonjour« zu sagen aus lauter Angst, es falsch auszusprechen.

      Sie bewunderte Bettina, die herumpalierte wie eine Französin, das würde sie niemals erreichen. Auch Jörg hatte fließend Französisch gesprochen, und das war auch einer der Gründe gewesen, warum sie sich so ausgeschlossen gefühlt hatte.

      Doris war froh, als sie schließlich neben Bettina in der ebenfalls nur mäßig besetzten Maschine saß, die sie nach Bordeaux bringen sollte.

      Eine gute Stunde Galgenfrist …

      Und dann?

      Wer würde sie abholen? Wahrscheinlich Marcel Clermond. Der verehrte Bettina geradezu und würde es sich nicht nehmen lassen, zum Flughafen zu kommen.

      Du liebe Güte …

      Doris durfte überhaupt nicht an Marcel denken, der natürlich von ihren Alkoholexcessen wusste. Nicht nur er, jeder hatte es wohl mitbekommen, dass sie irgendwann damit begonnen hatte, sich bereits morgens Hochprozentiges in den Kaffee zu schütten.

      Doris konnte kaum glauben, dass sie diese Person gewesen war. Wie töricht von ihr zu glauben, mit Alkohol Probleme lösen zu können.

      Aber sich jetzt noch darüber Gedanken zu machen war müßig. Es war vorbei, nicht nur, dass sie Alkohol nur noch in geringen Mengen trank, sondern auch ihr Leben auf dem Chateau, ihr Leben mit Jörg.

      Ein Gefühl leiser Trauer beschlich sie. Sie hatte Jörg doch geliebt, er hatte sie geliebt. Warum hatte die Liebe sich davongeschlichen?

      Bettina schaute zur Seite, als sie Doris’ betrübtes Gesicht sah, bekam sie ein schlechtes Gewissen. Vielleicht war es ja doch keine so gute Idee gewesen, Doris mitzunehmen. Ihr war anzusehen, wie sehr sie litt. Aber jetzt war es zu spät, jetzt mussten sie beide da durch.

      Sie ergriff die rechte Hand ihrer Schwägerin, umschloss sie.

      »Wir schaffen das schon, Doris«, sagte sie. »Gemeinsam sind wir stark.«

      Wieder ein Seufzen.

      »Dein Wort in Gottes Ohr«, sagte Doris mit einer ganz zaghaften Stimme, die so gar nicht zu ihr passte, dann wandte sie sich wieder ab und schaute aus dem Fenster auf die vorbeifliegenden Wolken.

      Bettina sagte auch nichts mehr, sie hing ihren Gedanken nach, die sich allesamt um das Chateau drehten.

      Marcel und die anderen erwarteten Vorschläge von ihr, wie alles weitergehen sollte, und sie hatte nicht die geringste Ahnung davon, was sie ihnen sagen sollte.

      Während des restlichen Fluges hielt sie Doris’ Hand fest, als wenn sie daran Halt finden könnte.

      Bettina schaute auf die Armbanduhr.

      Noch eine knappe Viertelstunde Flugzeit lag vor ihnen, und dann …

      Sie wusste nicht, wie alles weitergehen würde, aber, so tröstete sie sich schließlich, Marcel würde ganz gewiss nicht sofort am ersten Tag mit der Tür ins Haus fallen und eine Antwort auf all seine Fragen erwarten.

      Sie lehnte sich zurück und schloss die Augen.

      Was sollte sie bloß tun?

      Es war töricht, jetzt auf den letzten Drücker so etwas wie eine Erleichterung zu erwarten. Mit der ganzen Problematik hätte sie sich bereits zu Hause auseinandersetzen sollen, doch da hatte sie ja alle Gedanken in dieser Richtung sofort ausgeschaltet.

      Jetzt seufzte sie abgrundtief.

      Sofort wandte Doris sich ihr zu.

      »Dir ist auch nicht gerade zum Jubilieren zumute, stimmt’s?«, wollte sie wissen.

      »Na ja, ich habe mich wirklich schon besser gefühlt«, gab Bettina zu.

      Mehr mussten sie nicht sagen, denn in diesem Augenblick erklang die freundliche Stimme der Stewardess, die darauf aufmerksam machte, dass man sich bereits auf dem Landeanflug auf Bordeaux befand.

      Jetzt gab es kein Zurück mehr!

      Augen zu und durch, würde Leni jetzt sagen, und das wollte sie befolgen. Es würde ihr niemand den Kopf abreißen.

      *

      Als sie aus dem Sicherheitsbereich kamen, winkte Marcel ihnen strahlend zu. Er hatte sie sofort erspäht, und ihm war deutlich anzusehen, wie sehr er sich freute, dass Bettina ihr Versprechen wahrgemacht hatte. Er begrüßte sie überschwänglich, fand aber auch freundliche Worte für Doris, was diese sofort erleichtert aufatmen ließ. Sie wusste noch nicht, wie es mit den anderen Bewohnern des Chateaus sein würde – Marcel hatte auf jeden Fall keine Ressentiments gegen sie. Und das war schon mal gut.

      Trotz ihrer Proteste ließ Marcel es sich nicht nehmen, ihre Taschen zum Auto zu tragen.

      Bettina wusste nicht, wie Doris es aufnahm, es war ihr nichts anzumerken, ihr auf jeden Fall versetzte es einen Stich ins Herz, als sie in den großen Jeep stieg, mit dem Jörg immer herumgekurvt und über die Landstraßen geheizt war, viel zu schnell, viel zu unbekümmert.

      Sie setzte sich auf den Beifahrersitz und war froh, dass Marcel zu plaudern begann, darüber, was sich so alles in der Gegend ereignet hatte.

      Die Tochter eines der auch Bettina bekannten Gutsbesitzer aus der näheren Umgebung war mit einem Nigerianer durchgebrannt, ein Paar, obschon mehr als fünfundzwanzig Jahre verheiratet, hatte sich Knall auf Fall getrennt, Maries Tochter hatte endlich den heißersehnten Stammhalter auf die Welt gebracht. Je länger Marcel plauderte, umso deutlicher wurde Bettina bewusst, dass die Probleme und Freuden in Frankreich auch nicht anders waren als in Deutschland. Und das war irgendwie beruhigend.

      Die Fahrt verging rasch. Von der kaum befahrenen Hauptstraße bogen sie in die mit Nussbäumen bestandene Allee ein, dann fuhren sie weiter durch die Rebenfelder, um schließlich auf die Zypressenauffahrt zu gelangen, die vor der Toreinfahrt endete.

      Die das Anwesen umschließende Mauer war im Sommer überwuchert von Moos, Efeu und einer verschwenderischen Fülle wilder Rosen. Ohne die Rosen wirkte alles ein wenig trist und dem Verfall preisgegeben, ein Eindruck, den der triste Tag noch verstärkte. Der Himmel war grau in grau, und es zeigte sich nicht der kleinste Sonnenstrahl.

      Fast schien es, als trüge auch der Himmel Trauer!

      Der breite, kiesbestreute

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