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mit ihren Königen und Generälen, während sich mir der Kopf von ihrem psze, psze im Kreis drehte, und ich mit Spannung darauf wartete, wie das alles ausgeht. Aber als meine Tasche schließlich leer war, da stellte ich fest, dass sowohl die eine als auch die andere Hosentasche und auch mein Geldbeutel prallvoll mit Scheinen waren, und das konnte nix Schlechtes bedeuten.

      Ich warf mir also die leere Tasche über die Schulter und zog los, um abzuchecken, was man aus diesem Paradies mitbringen kann. Das war gar nicht so einfach, denn ich hätte am liebsten gleich alles gekauft: Sweatshirts, Jacken, bunte Shorts, Turnschuhe, bunte Plastikstrandschuhe … Natürlich gabs die auch bei uns, aber die Auswahl hier – echt abgefahren. Zwar liefen im Sommer alle in Strandschuhen rum, aber mit denen von hier ist man der Platzhirsch, die hatte wie die Mode der neuen Saison noch niemand gesehen.

      Mir lief das Wasser im Mund zusammen beim Anblick der Ghettoblaster und der Kassetten. Alles original. Haddaway, Prince, Boyz II Men, Snoop Dogg, Shaggy, Snap und alles andere, was ich erst vor kurzem auf MTV gesehen hatte – und hier konnte ich die Cover in leuchtenden Farben anfassen. Aufm Markt in Šiauliai waren die Namen der Songs mit der Schreibmaschine oder auch von Hand draufgeschrieben, und aufm Rücken stand kurz und bündig, was drin war: Seite A – Bad Boys Blue 91, Seite B – Roxette 92. Hier aber wollte ich die eine oder andere Kassette allein wegen dem Cover kaufen.

      Am schwersten fiel mir die Kaufentscheidung beim Chicago-Bulls-T-Shirt, denn ich musste die Jacke mit der Aufschrift Los Angeles Kings zur Seite legen. Die würde ich vielleicht auch in Šiauliai auftreiben, und außerdem waren die Bulls jetzt voll in Mode. Die gab es in allen möglichen Varianten und Farben, mit und ohne Jordan und Nummer 23, aber alle konnte ich ja nicht kaufen. Ich entschied mich für eins, auf dem Jordans Visage mit herausgestreckter Zunge fast die ganze Vorderseite bedeckte: Hoch in der Luft schmettert er den Ball von oben in den Korb, und du glaubst fast, du sitzt aufm Brett und kriegst gleich eins mitm Ball übergebraten. Am wichtigsten aber war das unten seitlich aufgenähte Etikett, auf dem gut lesbar stand, dass das Shirt n Original ist. Bei Fakeware fehlte die.

      Da begegnete ich Dariuks und Sauliens – die waren auch schon fast fertig mit ihrer Shoppingtour. Wir vereinbarten, nachher zusammen zum Hotel zu fahren und dann noch auszugehen. Dieses Hotel befand sich natürlich am Stadtrand, durchs Fenster sah man so Felder und Gestrüpp, im Sommer weideten hier wohl Kühe. »Hotel« konnte man dieses Loch eigentlich nicht nennen, schon eher »Baracke«, aber im Ausland sieht halt alles viel korrekter aus.

      Zum Treffen vor dem Hotel kommen die Kumpels schon mit ner Flasche Smirnoff. Also latschen wir alle zusammen in so nen Laden – wir brauchen doch was zu beißen dazu. Wir sehen uns um, Sauliens sagt, er hätte gern n Päckchen Kaugummi von ganz hinten in der Ecke. Während der Verkäufer es holen geht, beugen sich die beiden nach vorne, packen n Päckchen Camel, das neben der Kasse liegt, und nehmen die Beine unter die Arme. Ich hinterher – der Teaminstinkt funktioniert. Der Verkäufer nimmt mit nem weiß der Geier woher aufgetauchten Typen die Verfolgung auf. Wir rennen zu so nem Gebüsch – weit raus in die Pampa, um nicht auf die Polente oder andere Wohltäter zu stoßen. Wir sprinten über ne mit Reif bedeckte Wiese, vielleicht war das ja auch n Park – und weiter auf getrennten Wegen. Wie die Hasen im Trickfilm, in verschiedene Richtungen. Aber unsere Verfolger sind clever, einer heftet sich mir an die Fersen, der andere rennt Dariuks und Sauliens hinterher.

      Kurzum, so sehr ich mich auch bemühe, ich werde ihn einfach nicht los. Wie sollte ich das auch mit diesen Schuhen. In denen spurteste und denkst – welcher Idiot hat mir gesagt, die sind super? Ja, die sehen geil aus, aber man rutscht nur – wie auf Schlittschuhen. Mein Cousin hat mir die angedreht – gute Schuhe, sagte er, original, keine Fakeware … Dem werde ich nie mehr was abkaufen … Ich spüre, gleich geht mir die Luft aus. Da nützt es dir n Dreck, dass dein Name auf der Tafel mit den Schulrekorden im Cross und Sprint seit ihrer Gründung steht. Aber woher haben die Polen denn nur solche Dauerläufer? Mir dämmert langsam, dass ich am Ende bin, wenn man mich im Ausland erwischt. Aus mitm Training, Schluss mit der Schule und mit den Eltern hätte ichs mir auch völlig verdorben.

      Schließlich sprinte ich hinter so n Gestrüpp, jetzt sollte ich für ne Weile aus seinem Blickfeld verschwunden sein. Aber da ist n Graben. Den müsste ich eigentlich sogar mit diesen Tretern überspringen. Meine Resultate im Weitsprung stehen ja auch auf der Rekordtafel der Schule. Ich nehme Anlauf, aber kurz vorm Abspringen bleibt n Fuß an so was wie nem Ast hängen und ich liege, zack!, der Länge nach da und rolle dann wie ne Wassermelone in den Graben … Keine Chance aufzustehen, denn mein Bein fühlt sich so an, als hätte jemand die Kniescheibe rausgenommen – das tut höllisch weh, also gehts jetzt nicht weiter. Ich liege da und kapiere einfach nicht, wie ich so tief in die Scheiße geraten bin. Wegen zwei qualmenden Idioten würde man mich einpacken und auf die Wache bringen – und ich darf mich dann freuen, wenn man mich gehen lässt. Ich liege also flach wie ne Flunder aufm Boden und höre, wie der Typ laut schimpfend irgendwo in der Nähe vorbeiläuft. Ich verstehe nur »kurwa«. Alles andere gleicht dem Rauschen im Radio nach Mitternacht. Nach ner Weile verschwindet er. Ich finde das höchst interessant: Wegen nem Päckchen Kippen drei Schwachköpfe über die Felder zu jagen. Und noch was denke ich mir, während ich so daliege: Da siehstes, Entkommen geht auch ohne Weglaufen.

      Ich stand auf und humpelte auf diesem Trampelpfad zurück, wobei ich immer wieder stehen blieb und mich umsah. Ganz in der Nähe entdeckte ich Sauliens und Dariuks. Die waren ihren Verfolger einfacher losgeworden und pafften jetzt kichernd jeder ne Camel. Das ging mir so richtig aufn Sack. Als ich bei ihnen ankam, sagte ich ihnen sofort, was ich von all dem hielt. Aber sie nur: Komm schon, nimm nen Zug, krieg dich wieder ein. Sie sagten, der Rauch beruhigt die Nerven, da dachte ich mir, dann nehme ich eben n Zug. Ich war eigentlich Nichtraucher, mir wollte einfach nicht in die Birne, was das bringen soll, n paarmal hatte ichs probiert, aber für mich stinkt das nur scheußlich, sagt, was ihr wollt. Fürn Arsch. Aber wenn man dir ne Kippe oder nen Zug anbietet, dann kannste nicht nein sagen, sonst biste n lahmarschiges Muttersöhnchen. Ich ergriff also die Zigarette, nahm n Zug, schnurstracks in die Lunge, und so hustete ich wie verrückt, während die beiden andern loswieherten, kurzum, ich hatte mich zum Deppen gemacht, was hätte ich ihnen jetzt noch sagen können?

      Und dann wurde es absolut ätzend. Die hängten den harten Kerl raus und sülzten mich einer den anderen anstachelnd voll, wie sie doch alles im Griff gehabt hätten, während ich glaube, dass sie die Hosen nicht weniger vollgeschissen hatten als ich und jetzt hier nur die coolen Typen raushängten. Da muss man erst mal drauf kommen – Kippen im Laden zu klauen. Aber sie hatten ja Camels zuvor nur in der Glotze gesehen und überhaupt – hier war alles so neu und bunt, gesehen, aber nicht befingert, wie sollte man sich da verkneifen, die eine oder andere Kleinigkeit als Souvenir mitlaufen zu lassen. Da lebste seit weiß der Geier wie viel Jahren in so nem Scheißloch, und jetzt liegt n Päckchen Camel vor deiner Nase. Natürlich greifste dir das. Und was dann passiert, darüber denkste später nach. Genauso verhielts sich auch mitm Smirnoff. Nach ner Weile kamen wir zu so Bahngleisen, die überquerten wir und setzten uns ganz high von unserer eigenen Coolness aufn Boden. Der Schmerz im Knie ließ langsam nach, die Angst auch. Niemand würde wegen diesem Päckchen Kippen die Felder durchkämmen.

      Am nächsten Tag konnte der Trainer einfach nicht begreifen, was mit uns los war, als das sanfteste Lüftchen uns ins Wanken brachte und wir wie die reifen Äpfel im Herbst zu Boden fielen. Er wechselte uns Schwachköpfe schnellstens aus. Ich saß schweigend auf der Ersatzbank und versuchte, niemandem in die Augen zu sehen. Shit, dachte ich, wegen diesen Psychos habe ich n Riesenhaufen Mist gebaut. Schluss mit dem Unsinn, kein Bullshit mehr. Das Training an erster Stelle. Ja, und Kohle machen, aber piano, ohne Risiko. Ich will mir mein Leben nicht ruinieren. Und ich will Rugby spielen.

      Ich bekam ne Urkunde fürn zweiten Platz, denn im Finale schlugen uns die Ukrainer. Ich fühlte mich nicht schuldig, denn die wegzuputzen – Chance ungefähr gleich null. Diese Urkunde isn Vorschuss, sagte der Trainer, und ich nahm sie nach ner Gewissensrevision fast mit Handkuss in Empfang.

      Und zurück in Šiauliai fühlte ich mich nicht weniger cool. Fürn Ghettoblaster hatten die Zlotys nicht ausgereicht, ich wollte nämlich nicht gleich alle fürn einziges Teil ausgeben. Aber ich hatte ne weite bordeauxrote

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