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schnuppe, na, zumindest war nix von Interesse zu spüren. Leichte Segelohren, aber sonst n klasse Typ. Da waren ständig n paar Hippiemädchen oder so bei ihm, aber ich verwette meinen Kopf, dass er keine von denen knallt. Die gehen irgendwie alle miteinander, schlurfen durch die Gegend, aber am Abend schläft jeder bei sich zu Hause. Sonst hätte er schon längst in hohen Tönen davon gespuckt. Und hier drängte sich ne andere Frage auf: Wenn er also keine Tusse suchte, wozu dann die Knete? Warum riss er sich den Arsch auf? Natürlich brauchte man nicht nur für die Mädels Kohle, sondern auch für Kassetten, Klamotten … Aber das alles war ja nur der Weg zu den Tussen. Seine Alten hatten n affengeiles Teil mit CD, Laserdisc, zwei Kassettendecks, das konnte man nicht einmal voll aufdrehen, sonst kam der Gips von der Decke runter und mit ihm die Nachbarn. Vom Videorekorder und der ausländischen Glotze ganz zu schweigen. Aber ich konnte ja nicht einfach fragen: Minde, wofür brauchste die Knete? Diese Frage, so schien es, widersprach sämtlichen Regeln der Grammatik von Šiauliai. Das wäre, als würde ich fragen: Warum atmeste? Oder: Warum ist deine Haut weiß? Solche Fragen stellen Kinder, die gerade sprechen gelernt haben, aber schon bald sind sie nicht mehr so rhetorisch.

      Minde kam doch mit mir, und wir stellten den Inhalt unserer Taschen gleich am Bahnhof unter der Brücke aus. Ich begann schon zu bereuen, dass er nicht allein zu diesen Hallen oder sonst wohin marschiert war, denn es war doch echt witzlos, dass wir einer neben dem anderen standen und die gleichen Teile verscherbeln wollten. Aber ich sagte keinen Pieps mehr, denn ich wollte nicht, dass er wieder mit blutigen Laken oder ähnlichem Gefasel anfing. Aber noch bevor n paar Frauen zu uns kamen und sagten, wir würden zu viel für die Würste verlangen, tauchten auch schon zwei Polypen vor uns auf. Sie wiesen sich aus (warum wohl nur zeigen die ihre Ausweise immer so, dass du Namen und Foto ganz sicher nicht siehst?), fragten um des guten Tones willen, ob wir Genehmigungen hätten, und sagten dann, wir müssten auf die Wache mitkommen. Rundherum n Gedränge – keine Chance zur Flucht oder was. Die Polypen trugen keine Uniform, und mir ging der Gedanke nicht ausm Kopf, das könnten wie in Šiauliai irgendwelche schwachköpfigen Artisten sein. Doch die führten uns durchn Markt in Richtung Polizeiwache, und mit jedem Schritt wurden meine Zweifel immer kleiner und meine Panik immer größer. Was wird jetzt aus uns? Alles beschlagnahmt und dazu ne Geldstrafe? Oder n paar Tage Arrest? Wenn ich heute nicht heimkomme, dreht meine Mum durch.

      Und wer hätte mir sagen können, warum man gerade uns aus diesem Ameisenhaufen ausgewählt hatte? Ich habe noch nie im Lotto gewonnen, aber hier fallen gerade unsere Zahlen! Bingo! Ab ins Studio für die Übergabe des Hauptgewinns! Warum ich? Warum unbedingt ich? Der Markt ist doch voller Typen ohne Genehmigung, aber uns packen sie ein. Wir sind überhaupt nur Plankton, das auf diesem Meer aus Scheiße treibt, aber die regelmäßigen Kunden und großen Fische lassen sie halt in Ruhe. Auf der Wache waren vielleicht noch zwei andere Kleinsthändler wie wir, und damit hattes sich. Dort hätten wahrscheinlich sowieso nur die mit Papieren Platz gefunden, um alle anderen hätte man nen schönen Zaun ziehen können – da haste deine Polizeiwache voller Gesetzesbrecher. Aber jetzt war das nur Affentheater.

      Ein noch größeres Affentheater begann, als sie uns in n kleines Zimmer schickten und uns sagten, wir sollten uns bis auf die Unterhose ausziehen. Was wollten die in diesem Schwuchtelkontor denn finden? Hatte ich vielleicht ne Wurst in die Hose gesteckt? Wir steckten mit zitternden Fingern das letzte Bare in die Unterhose – vielleicht könnten wir ja zumindest das retten. Minde ging mir mächtig aufn Sack mit seinem Ich-habs-dir-doch-gesagt-lass-uns-zu-den-Hallen-Gehen. Wie oft wollte er mir das denn noch vorhalten? Und wie sollte ich darauf reagieren? Mich entschuldigen? Habe ich ihm denn nicht gesagt, er solle schnurstracks zu seinen Hallen verschwinden?!

      »Einmal ist immer das erste Mal, nicht?«, kann er einfach nicht aufhören und stopft die Socken in die Schuhe.

      Wir sitzen fast nackt und ohne Dokumente da. In Gedanken verabschiede ich mich von der Knete, habe keinen Schimmer, wie ich meine Schulden bei Dad bezahlen soll, und an weitere Geschäfte ist nicht mal im Traum zu denken. Der Pleitegeier kreist schon über mir. Im besten Fall. Wenn man uns hier rauslässt. Und die es der Schule nicht mitteilen. Die Alten keinen Wind kriegen. In Riga eingekerkert – das wäre n Business. Ich schaue Minde an. Auch er hat die Hosen voll.

      Den Polypen erzählen wir lauter Unsinn: Wir haben nicht gewusst, dass man ne Genehmigung braucht. Wir sind überhaupt zum ersten Mal hier. Meine Mutter ist schwer krank, die Medikamente aus staatlichen Beständen sind rationiert, die muss man zu Marktpreisen kaufen, dafür reicht n Gehalt nicht aus. Minde sülzt ihnen vor, sein Vater ist Alkoholiker, versäuft alles, was die Mutter verdient, alles gluck, gluck in die Kehle, verstehen Sie doch – was sollen wir denn da tun? Sie aber halten uns Vorträge über Hygiene, Sauberkeit, allen möglichen Scheiß, aber alle treiben genauso Handel wie wir, doch ne Genehmigung brauchen nur wir. Und falls wir eine hätten, dann wäre sonst was nicht in Ordnung. Die würden sagen, was verkauft ihr ohne weiße Schürze Würste? Die finden schon irgendwas, um uns das Leben schwerzumachen. Einer hält unser Gequatsche über die Probleme in unseren Familien nicht mehr aus und fragt:

      »Was hat denn deine Mutter konkret?«

      »Konkret … Ich weiß nicht … Ich weiß nicht, wie man das auf Russisch sagt.«

      »Schon lange?«

      »Ja, wir haben schon fast alles Ersparte aufgebraucht, Chef, verstehen Sie doch, wenn diese Krankheit nicht wäre, würden wir in der Schule sitzen, die müssen wir doch abschließen, etwas Vernünftiges muss man doch im Leben lernen …«

      Sie haben offenbar genug von unserem Gelaber, drohen uns, wenn sie uns noch einmal erwischen, knallen sie nen Stempel in unsere Pässe und wir fahren nie wieder nach Lettland. Am besten aber wäre, wenn wir uns auch ohne Stempel nicht mehr hier blicken lassen. Und meine Mutter soll bald wieder gesund werden, und deine, sagen sie zu Minde, die soll diesen alten Bock rauswerfen.

      Wir verlassen die Wache.

      »Wir hätten wie Erlickas bauchreden oder Taubstumme spielen sollen«, sagt Minde.

      »Du Genie, sag lieber, was jetzt?«

      Wir stehen mit leeren Händen und Taschen da. Die paar grünen Scheine bei den Eiern wärmen nicht, drücken nur auf die Tränendrüsen.

      Wo hätten wir die paar Scheinchen denn reinstecken sollen, um aus so ner Scheiße wieder rauszukommen? Mit Plakaten haben wir Šiauliai schon versorgt. Und Spiritus zu kaufen, wenn du gerade bei den Bullen zu Besuch warst, das wäre das Schicksal herausgefordert. Und weiter? Wir ziehen die Bucks aus der Unterhose hervor und hirnen. Muss was Billiges sein, denn wir haben nur neun Bucks zusammengeklaubt. Wir beschließen, nur ne einzige Ware zu kaufen: Bis du kapierst, welche Ware du gut raushauen kannst, vergeht Zeit, also besser kein Hin und Her.

      Ich sehe, wie Minde bei so Glitzerzeug für Tussen rumsteht. Ich gehe zu ihm, und er sagt zu mir: »Wir nehmen diese Ohrringe.«

      »Ohrringe? Was verstehste schon von Ohrringen? Was weißte denn, was den Tussen gefällt?«

      Minde: »Ist doch schnuppe, was ihnen gefällt. Gold ist immer und überall Gold.«

      Ich: »Die Indianer finden Alufolie schöner als Gold.«

      Minde: »Das war einmal, nicht mehr. Und was sollen überhaupt diese Indianer?«

      Ich: »Wir brauchen ne Ware, ohne die die Leute nicht auskommen. In die Sahara würdeste doch auch kein Gold mitnehmen, sondern Wasser und Brot.«

      Minde: »Was kommste mir jetzt mit dieser Sahara? Ich rede von Investitionen. Willste vielleicht in Brotlaibe investieren?«

      Ich: »Lassen wir das Gequatsche, ich möchte erst was zum Investieren haben.«

      Minde: »Also, wenn du kein Gold hast, dann investierste in was Vergoldetes. Wenns nämlich ne Nachfrage nach Gold gibt, dann auch nach vergoldetem Mist.«

      Mir wird ganz übel vom Zuhören. Aber vielleicht sollten wir ja mal tun, was Minde sagt? Genug für heute. Wir kaufen also diese Klunker. Dann haben wir viel billigen Mist. Wir investieren also unsere Bucks in vergoldete Blechdinger. Ich starre meine Hände an, die dem Verkäufer das Geld entgegenstrecken, und traue meinen Augen nicht. Jetzt bin ich n Juwelier.

      Auf

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