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verursachte diesmal auch keinen Stress. Es kam also gar nicht so schlimm, wies hätte kommen können. Die Polypen hatten sich über unsere Elterngeschichten krummgelacht und uns gehen lassen. Das hätten sie nicht tun müssen. Aber ich saß dennoch ganz schön in der Scheiße. Statt sechzig Bucks brachte ich vergoldete Blechdinger nach Hause. Beschissener noch als die Lehrer, die ihre lausigen Talonai erhielten – aber auf Nummer sicher.

      Was tun? Ich trainieren und Minde Van Damme spielen? Ohne Kohle ist auch der coolste Typ nur n Bauernlümmel. N mit der Mistgabel trainierender abgebrannter Depp. Wie Antans ausm Training. Einmal hatte der die Verteidigung durchbrochen und preschte vorwärts. Er sah sich noch um, ob ihn auch wirklich niemand verfolgte, und lachte happy dabei. Und so rannte er mit nem Affenzahn mitm Kopf in die Stange, dass er n paar Sekunden lang bewusstlos liegen blieb. Dann stand er auf, als wäre nix gewesen, und spielte weiter. Und genau diese Typen, die du nicht mal mit ner Keule erschlagen kannst, sind eben nicht cool.

      Du kannst faktisch n Zwerg sein, aber mit genug Kohle und ner Gang haben alle ne Höllenangst vor dir. Oder du bist n Van Damme mit Chicago-Bulls-Trikot, aber das bringt dir rein gar nix. Wenn deine Mutter dir keine Kopeken gibt, dann lässt man dich nicht mal in die Disco, und eine aus der Klasse durchkneten, das kannste, wenn du Glück hast, am Ende des Schuljahres, wenn die ganze Klasse zelten geht. Könnt ihr euch etwa Van Damme vorstellen, wie seine Mutter ihm Schotter gibt? Zu Edita wollte ich nicht zurück. Ich drängte vorwärts, aber irgendwie ging alles den Bach runter.

      Kein Geld, keine Geschäfte, also blieb nur Knochenarbeit. Was denn für welche, in der Stadt? Hier pflanzte niemand Rote Beete an und niemand mistete den Stall aus. Hier wurden Schutzgelder erpresst, Karren abgestaubt, Investitionschecks zusammengekauft. Aber das war ne andere Liga. Wir konnten im besten Fall Fahrräder aus Schuppen klauen, uns draufsetzen und den Tussen die Handtaschen aus der Hand reißen, aber bei diesen Cowboy-Mätzchen schaut nur ne Renterausweis-Sammlung raus, und dabei riskierste, mit Namen, Vornamen und Adresse in unserer Zeitung zu landen, sodass die Rentnerinnen schon bald ne Dauerdemo vor deinem Zuhause organisieren, oder dass du am Ende in der Besserungsanstalt einsitzt. Dasselbe galt für alle anderen Arten von Diebstahl – von Kupfer bis zu Hühnern.

      Aber es gab noch andere Handarbeiten. Ich hatte schon n paarmal Petzern tüchtig den Arsch versohlt, auch wenns für ne Karriere als Bodyguard wohl noch zu früh war. N solcher Fall war, als n paar Fuzzis sich nach der Disco die Fäuste an Mindes Segelohren abreiben wollten. Sagten, er hat die Tusse von einem von ihnen angebaggert, obwohl sie eigentlich nur schlecht drauf waren. Ich aber war gleich ganz aggro drauf, und das nicht nur, weil die Minde anmachten. Wie Tadas Blinda, unsern Robin Hood, befällt mich manchmal so n bescheuerter Gerechtigkeitsfimmel, wenn ich sehe, wie sich ne Gruppe von Arschgesichtern aus heiterem Himmel vor lauter Langeweile über nen Typen lustig macht. Nach kurzem Gezanke, während dem sie ihn weiter weg von der Schule drängten, verpassten sie ihm eins auf die Lippe – das Blut quoll hervor. Ich sofort ihrem Obermacker eins in die Fresse, der hatte so was natürlich nicht erwartet und ging zu Boden. Bewegung kam in die Gaffermenge, weißte, jetzt gibts gleich ne richtige Klopperei und nicht nur n paar in die Eier. Die brachtens Maul nicht mehr zu vor Staunen, während sich bei mir die Zunge lockerte:

      Was labert ihr Schwuchteln da von Opfern – ihr sammelt eure Siebensachen jetzt ein, aber n bisschen dalli, und macht nen Abgang, schrie ich, ohne zu überlegen, Hauptsache, es klang wie Kriegsgeschrei und ich stinksauer. Ohne Warnung verpasste ich noch einem von diesen Armleuchtern eins mitm Fuß vor die Rübe, bevor er sich wieder einkriegte und checkte, was hier ablief. Die Menge wogte hin und her, alle waren happy und schienen vor Freude gleich ne Schlägerei starten zu wollen. Aber dann hörte man das Klirren von ner Kette, und Minde und ich nahmen wie nachm Startschuss die Beine untern Arm. Hinter uns hörten wir außer den Ketten noch Schwüre, dass sie uns erwischen und uns ne tüchtige Abreibung verpassen, dass sie uns kennen und wir nicht wissen, mit wem wirs aufgenommen haben. Wie immer nur leere Worte des Selbsttrostes.

      Der Zug ratterte los, alle redeten wie immer übers Geschäft, nur ich schaute durchs Fenster auf die grauen Felder, und in meinem Kopf schwabbelte n grauer Brei. Immer die gleiche Platte: Ich stecke tief in der Scheiße, wie soll ich die Knete zurückgeben, was tun mit den Klunkern. In meinem Kopf stellte ich schon ne Liste der Tussen zusammen, denen ich sie verticken wollte. Zuoberst standen die mit Alten, die Kohle hatten. Minde schaute durchs andere Fenster, aber er dachte wohl ganz ähnlich. Unser Plan B mit den Klunkern aber wirkte schon jetzt völlig utopisch.

      7

      Dad musste ich doch erzählen, wo die Würste verschwunden waren. Ich versuchte ihm weiszumachen, dass ich die Schulden abbezahlen würde, doch er winkte ab. Ich kapierte, dass ich die Knete nicht zurückgeben musste, aber auch keinen Cent mehr von ihm kriegen würde. Von den Ohrringen sagte ich ihm nix, denn die kamen mir selbst bescheuert vor.

      Minde hatte irgendwo nen ganzen Haufen Popcorn-Magazine aufgetrieben. Ich blätterte darin und hirnte, wie ich diese Klunker absetzen konnte. Ich las was über Metallica, Guns N’ Roses und ähnliche Langhaartypen. Bei uns trieben die sich an den Straßenrändern oder in Kellern rum, aber da, sieh nur, mit was für Kohle die um sich warfen. So viel machte nicht mal unser Baranis. Wenn die sich in Šiauliai auf der Straße blicken ließen, dann kämen sie nicht ohne Abreibung davon. Irgendwie hatte ich das Gefühl, n bisschen Abwechslung an meiner Wand würde nicht schaden. Also hängte ich neben Rambo, SEL, Kris Kross und n paar Mädchen am Strand zwei von diesen Langhaartypen – Bon Jovi und Metallica.

      Seit kurzem wusste ich, dass Kris Kross hier nicht nur mir gefiel. Im Training erwähnte ich beiläufig, dass ich ne Originalkassette von denen aus Polen mitgebracht hatte. Kris Kross konnte man auch hier in Šiauliai bekommen, aber im besten Fall als Kopie auf ner BASF-Kassette mit maschinengeschriebener Songliste drauf. Meine aber war von VOX MAD, aufm Cover n Farbfoto, na, alles so, wies sein musste. Original. Vom Markt in Polen. Vaiduks war Feuer und Flamme, verkauf sie mir, die muss ich haben. Wer Rap hört, ist cool, aber wenn du so ne Originalkassette hast, dann landeste sofort im Olymp der Obercoolen. Unverkäuflich, sagte ich, die brauch ich selber. Mir gefallen Kris Kross auch. Und ich wollte sie wirklich nicht verkaufen. Komm schon, verkauf mir deine Kris Kross. Ja, die habe ich, sagte ich zu ihm, was machste dich hier zum Affen. Ich habe sie und du nicht. Als wir aber übern vierfachen Preis sprachen, da musste ich überlegen. Seine Eltern hatten Geld wie Heu, also schraubte ich den Preis schamlos hoch, verkaufte das Teil und bereute es nicht. Nicht n einziges Mal. Ich fühlte mich besser und konnte mich an die Arbeit machen.

      Hier begann mein langsamer und eher verzweifelter Weg aus der Scheiße. Mit der Losung »Wer hat, der kauft!« versuchten wir unseren Blechschmuck bei den Mädels aus der Klasse und ihren Freundinnen loszuwerden. Die Ohrringe bestanden aus kleinen Teilen, zu so ner Pyramide zusammengefügt und mit so Dingern dran, die wie kleine Eiszapfen aussahen. Ich band den Tussen den Bären auf, dass die von meiner seligen Großmutter sind und ich nur n einziges Paar habe. Die sind wahrscheinlich echt, sagte ich, das heißt aus Gold, was weiß ich. Zu Omas Zeiten gab es ja nur echtes Gold. Und ich brauche unbedingt Geld. Eine von den Schlaueren fragte, ob meine Großmutter vielleicht ne Zigeunerin war, dass sie solche Klunker trug. Aber ich gab mir alle Mühe, sie den Schlaueren gar nicht anzubieten. Du gehst zu so einer voller Sommersprossen, die Angst hat, in die Disco zu gehen, und wenn sie trotzdem kommt, dann steht sie die ganze Zeit in der Ecke, schaut den anderen beim Tanzen zu und träumt von so nem Prinzen, der auf seinem weißen Pferd schnurstracks in ihre Ecke galoppiert … Also, du gehst zu so einer und lügst ihr das Blaue vom Himmel: Die Klunker sind wirklich günstig, anderswo zahlste mehr, als ich die bekommen habe, dachte ich sofort an dich, denn die passen so gut zu dir, du wirst n ganz neuer Mensch sein damit, und du weißt ja selbst, dass die anderen voll scharf sind auf diese Ohrringe, wenn du die trägst, biste sofort ne coole Tusse …

      Ein paar davon wurde ich los, wenn auch mit viel Mühe. Der Plan, es zuerst bei den Tussen zu versuchen, deren Eltern am meisten Kohle hatten, stellte sich als bescheuert heraus, denn die ließen sich durch die Blechteile gar nicht beeindrucken. Die mit weniger Knete würden sie ja nehmen, aber für die waren sie zu teuer. Ich konnte sie ja nicht für weniger als zwei Bucks weggeben. Das Leben ist grausam …

      Mit den Mädels

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