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sie die einander ausborgen. Bei mir zu Hause aber lagen noch Berge von Klunkern rum, also bot ich die bei n paar von den Kommerzshops an. Okay, sagten die, aber wir brauchen nen richtigen Ausweis, der Schülerausweis reicht nicht. Also musste ich mit Dad herkommen, der seinen Pass vorzeigte, und auch beim Preis musste ich ganz schön nachgeben, damit auch sie Gewinn machen konnten. Minde wollte den Eltern nix davon erzählen, also sagte er zu mir, nimm meine fürn Drittel. Nein, du siehst doch, dass die nicht laufen, bist wohl nur zu faul zum Verticken? Ach, scheiß auf diese Klunker aus Falschgold, Gold kann ich selbst machen, meinte er. Gold ist doch n chemischer Stoff, n Metall, oder? Er hatte sich aus Holland n Buch kommen lassen, in dem stand, wie man Gold herstellt. Wenn schon die alten Ägypter das konnten, warum sollte das dann im zwanzigsten Jahrhundert nicht gelingen? Man musste sich nur ranhalten.

      »Halt du dich nur ran. Aber wer hat in Riga schon wieder Märchen von Investitionen, immerwährender Nachfrage und der Sahara erzählt? Irgendwie sehe ich keine Durstigen hier, aber du gehst jetzt ganz ruhig für dich dieses Gold herstellen? Damit hätteste beginnen sollen. Oder schaff dir doch lieber nen Gold scheißenden Esel an. Den musste nur füttern und weiter nix. Nach Riga kann ich auch alleine fahren …«

      »Wären wir zu den Hallen gegangen, dann hätten wir alles im Nu verkauft, aber nein, wir musstens ja unter der Brücke versuchen …«

      »Schon gut, wenn du so n gescheiter Kerl bist und wirklich Gold herstellst, dann kannste mit Prophezeien anfangen.«

      Also blieb mir noch der Markt. Sich dort die Beine in den Bauch zu stehen war gar nicht lustig. Aus irgendnem Grund hatte ich nicht die geringste Lust, dass mich n Nachbar oder n Bekannter dort mit diesen Klunkern in der Hand sieht. Aber man gewöhnt sich an alles. Als ich meine Mathelehrerin Wollsocken verkaufen sah, da schämte ich mich nicht mehr. Ganz Šiauliai arbeitete hier. Aber dieser Paukerin mit den Formeln wollte nix gelingen. Kein Riecher. Ob bei der Berufswahl, bei der Partei oder bei der Ware, die sie aufm Markt verhökern wollte. Wollsocken kurz vor Sommeranfang … Diese Lehrerin hatte einst im Korridor Jagd auf uns gemacht und uns angefaucht, wir sollten die Pionierkrawatten umbinden. N paar von uns trugen die nicht mehr, denn die schnürten echt den Hals zusammen, und außerdem musste man die vor dem Turnen abnehmen und danach wieder umbinden – noch nicht wieder auf normaler Betriebstemperatur und du musst dich mit diesem Würgeteil foltern … Jetzt aber hält uns diese Lehrerin bei jeder Gelegenheit die litauische Trikolore unter die Nase und treibt uns zu Veranstaltungen zum Lobe der litauischen Großfürsten oder von Kudirka, dem Autor der Nationalhymne. Ist das nicht ne zu plötzliche Wende in ihrem Alter? Die sitzt jetzt sicher auch noch in der Kirche in der vordersten Reihe. In den wenigen Jahren seit der Unabhängigkeit hat die ihre Flagge schon so abgenutzt, dass sie sich kaum mehr von der früheren einfarbigen unterscheidet.

      Ich als Teenie verband den Sąjūdis, die litauische Unabhängigkeitsbewegung, mit neuen Farben, neuen Abzeichen am Revers des Jacketts und, ja, auch ner neuen Art von Stimmung. Neben dem Abzeichen des Sąjūdis trug ich am selben Kragen noch n Perestroika-Abzeichen und am anderen Sabrina und Stallone. Fast keine Politik. In unserem Block gab es keine Russen, also auch keinen Zoff. Deshalb stand auch außer Zweifel, dass alles litauisch sein musste. Und irgendwie sah es auch so aus, dass alles seit jeher litauisch war, nur sprach niemand darüber. Mit Russen traf ich nie zusammen. Bei den Turnieren spielten wir gegen Letten, Ukrainer, Polen, Deutsche, Rumänen, aber nicht gegen Russen. Ich erinnere mich noch, wie ich im Fernsehen sah, dass am Parlament die neue Flagge gehisst wurde – farbig, schön, alles schien sich zum Besseren zu wenden – jetzt wirds bunter.

      Und wirklich, neue Farben sind in unser Leben gekommen. Und neue Geschmäcker. Bananen, Coca-Cola, Bounty, Snickers, Mars an jeder Ecke. Aber die kosteten horrende Summen. Wichtig war jetzt, aus diesem vorübergehenden Tief rauszukommen. Also stehe ich da und sage wie das Ave-Maria auf: ND, LD, OC und JH … ND, LD, OC, JH … So geht der Seriennummern-Rosenkranz der gefälschten Talonai. Auch die Farben der Scheine sind jetzt viel bunter. Die Tiere des Waldes haben den Lenin abgelöst, denn für den Litauer ist der Wald Lenin, die Kirche und alle Fürsten zusammengenommen, zumindest hat man uns in der Penne so was erzählt, als wir den Hain von Anykščiai durchnahmen. Aber diese Talonai werden jetzt in Massen gefälscht … Mir scheint fast, die nehmen einfach ne Rolle Klopapier und drucken die. Alle sind in Panik, es vergeht kein Tag, an dem nicht Zeitungen und Fernsehen neue Fälle melden. Am liebsten haben die Fälscher die Fünfhunderter-Bären. Ein Bär gleich ein Dollar. Deshalb muss man die Seriennummern der Bären wie das Vaterunser auswendig kennen. Und wenn man mir so n Scheinchen in die Hand drückt, dann halt ichs ins Sonnenlicht, dreh und wendes lange hin und her und versuche dort was zu sehen, obwohls bei diesem Geld nix zu sehen gibt.

      Dafür kapierte ich aufm Markt was Wichtiges schon sehr bald. Hier gabs keine Preisangaben. Das war nicht das Theatercafé, wo die Preise auf ner metallenen Speisekarte, die so n Gentleman mit Zylinder hielt, eingehämmert, genauer gesagt eingefräst waren. Die Preise aufm Markt geistern eher wie Gespenster in den Köpfen rum. Und wenn die in etwa übereinstimmen, dann wird gekauft. Wenn du nur Kartoffeln oder Karotten im Angebot hast, dann gilt das natürlich nicht, von denen haben ja auch viele andere, aber bei Waren, die sonst niemand hat, gibts ne einfache Standardprozedur. Du sprichst wie n erfahrener Juwelier, siehst den Käufer n bisschen von oben herab an, denn wenn er dich fragt, ob das echtes Gold ist, dann kannste ihm erklären, wie man echtes von falschem Gold unterscheidet. Das tust du dann und zeigst ihm, dass deine Blechdinger wirklich aus echtem Gold gefertigt sind. Wenn er nämlich so was fragt, dann kannste dir sicher sein, dass du ihm erzählen kannst, was immer du willst – er hat ja von Tuten und Blasen keine Ahnung. Und dann sagst du wie beiläufig, dass du in Riga warst, da verkaufen die solche Teile doppelt so teuer – ja, wer sollte die auch für solches Geld kaufen, aber die gehen dort weg … Wenn so ne Tusse kaufen möchte, aber sich einfach nicht entscheiden kann, dann schwärmste ihr vor, wie gut die Teile zu ihrer Haarfarbe und zur Form ihrer Ohren passen. Sie hat sicher noch nie über die Form ihrer Ohren nachgedacht, und auch kein Mann hat je was dazu gesagt, aber hier, der subtile Verkäufer, der tut es, ihr wird ganz warm ums Herz und sie zieht den Geldbeutel hervor.

      Andere fragen nur nachm Preis und werden, wenn sie ihn hören, ganz konkret – Idiot. Da gibts nix abzustreiten. Da sagste nur leise, dass die anderen es hören, er aber nicht, so was wie: Zeig mir doch, wo du das billiger kriegst, der sucht wohl selbst nachm Döskopp und so weiter. Es gibt sogar welche, die fragen nach dem Preis, zücken das Portemonnaie und bezahlen. Und auf Wiedersehn. Die finden wohl, der Preis ist genau richtig. Diese Art von Zusammentreffen der Kopfgespinster ist am angenehmsten, aber so selten, dass mans in die Liste der bedrohten Arten aufnehmen müsste. Der Preis bedeutet fast nix. Jeder hat seinen Käufer. Wenn bei den Billigheimern alles ausverkauft ist, kaufen die Leute auch bei den teureren alles leer. Es finden sich immer Blödmänner, die das Dreifache bezahlen. Und n paar von denen glauben noch, wenn sie mehr bezahlen, kaufen sie auch was Besseres.

      Aber Markt war nur selten und nur am Morgen, und fürn Abend musste man sich was anderes ausdenken. Ich hatte n paar Bucks in der Tasche und dachte, während ich durch die Warenlager strich, die direkt verkauften, ich nehm nen Karton Wodka Magic Crystal mit. Da hau ich dann n wenig drauf und verticke sie – bei mir ist der dann auf jeden Fall billiger als im Laden. Macht dich nicht reich, klar, aber gar nicht so übel. Ich kenne da n paar ganz Durstige, die ohne Magic Crystal keinen Abend rumbringen, und warum in die Nachtbar latschen, wenn dus beim Nachbarn billiger bekommst? Ich versprach mir nicht viel davon, aber die Sache kam so in Fahrt, dass ich kartonweise Stoff aus dem Warenlager anschleppte – so viel ich tragen konnte.

      Erst kamen nur Bekannte zu mir, um zu kaufen, dann auch völlig Unbekannte. Als sich vollgepisste Alkis vor unserer Tür rumtrieben, sagten meine Alten, ich solle dieses Business für Omas an den Nagel hängen. Sie hatten mich schnell überzeugt. Solange das Geschäft ruhig läuft, ist alles im grünen Bereich, aber wenn die Alkis langsam Schlange stehen, musste jeden Augenblick mit Besuch von den Bullen rechnen. Und dann musste dich entscheiden: Entweder du nimmst dein Business ernst oder dann hängstes an den Nagel. Viel Kohle machste nicht damit, es sei denn, du bringst jeden Tag ne Palette davon an den Mann – dann spürste was. Also gab ich mein neues Business auf, aber zwei Wochen lang oder so klingelten diese Alkis noch an der Tür und regten sich auf – sei nicht so n Arsch, komm, rück schon damit raus. Das

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