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Rugby oder Boxen.

      Ich sah mir nämlich manchmal Boxkämpfe an – im kleinen Saal unterm Bahnviadukt. Und Rugby spielte mein Nachbar, mit dem ging ich dann hin. Der Trainer erklärte mir die Regeln und los gings. Alle auf einem Haufen, alle rauften sich um den Ball, ich zerrte sie auf meine Seite. Es war Winter, deshalb fand das Training in der Basketballhalle statt. Ich schleifte Haufen und Ball durch die halbe Halle, der Trainer hielt das Spiel an, sagte, weißte, du hast alle auf deine Seite gezerrt, dabei musste sie auf die gegnerische Seite schieben. Das ist die wichtigste Regel. Seither dränge ich alle auf ihre Seite, bis zur Mallinie.

      Man nahm mich direkt ins Team auf. N Haufen Matches und Turniere, und wir gewannen irgendwie immer. Na ja, fast immer. Wenn du aus den Kellern der Muckibuden und Judoklubs kommst, dann schnappste hier echt frische Luft. Und ich spielte nicht nur, es sah fast so aus, als würde ich zu den Stützen des Teams gehören.

      Ein interessantes Gefühl. Ich hattes sofort drauf, man hätte glauben können, ich hätte schon immer Rugby gespielt. Aber das war was total anderes als Basketball, wo du Jordan nachmachst und unterm Korb hindurchfliegst, um den Ball von der anderen Seite zu versenken, oder wie Kurtinaitis nen Dreier zu werfen versuchst. Im TV kam kein Rugby, so konnte ich nur den Männern von Vairas beim Spielen zusehen. Wir trainierten in allen möglichen Stadien, aber die erinnerten eher an Wildschweingehege. Trampelpfade mitten übern Platz. In die normalen Stadien ließ man nicht mal die Männer. Mag sein, dass ich n einziges Mal n Spiel der Nationalmannschaft im Zentralstadion bei der Manege gesehen habe.

      Wir trainierten und spielten mit Gummiturnschuhen, denn normale Kickerschuhe gab es nur für die Älteren, und selbst wenn du Geld wie Heu hast, suchste in den Sportgeschäften vergeblich nach Rugbyschuhen, denn in Litauen existierte dieser Sport kaum. Oder nur in Šiauliai. Als mir jemand fürn wichtiges Match echte Stollenschuhe borgte, da schien es mir, als würde ich wie n Panzer übern Platz rollen. Keine Angst, dass jemand dir auf die Füße tritt oder vor was auch immer – du schiebst alle glatt, ohne dich abzustoßen, vor dir her, und niemand in Turnschuhen holt dich ein.

      Erst viel später lernte ich die Regeln und noch später hörte ich sagen, Rugby ist n Spiel für Rowdys, das von Gentlemen gespielt wird, während Fußball n Spiel für Gentlemen sei, das von Rowdys gespielt wird. Wir waren vielleicht keine Gentlemen, aber jeder wusste, dass es unter aller Sau ist, den sterbenden Schwan zu spielen, wenn dich jemand n bisschen geschubst hat. Nicht wie beim Fußball. Aber wie sollte ich das meiner Mum verklickern? Sie wusste hundertpro, dass wir uns beim Rugby prügelten. Ich hatte sie zwar schon mehrmals zu nem Spiel eingeladen, aber sie hatte Angst. Ja, sie hatte Schiss, und ich konnte ihr nicht erklären, wies wirklich war, also fälschte ich den Wisch, denn derjenige, der ihn hätte unterschreiben sollen, hatte keinen blassen Dunst von dem, was dort stand. Ich hielt das für ehrlich und fühlte mich keineswegs so, als würde ich jemanden betrügen.

      Einige von den Älteren hatten Satellit zu Hause und erzählten manchmal von Spielen in England oder Neuseeland. Erst vor kurzem hatte mir jemand zum ersten Mal von Lomu erzählt, und schon an seinen Augen war abzulesen, dass er der beste Spieler der Welt war. Lomu. Ich sagte zu mir, dem würde ich eines Tages übern Weg laufen. Mir reichte, dass irgendwo einer wie n Gott Rugby spielte, und ich wusste, dass ich diese Wunderwelt sehen musste. Ab nach England und zusehen, wie sie dort fighten. Oder warten, bis Neuseeland in Europa spielte. Ich hatte zwar keine Peilung, was die Reise kosten würde, aber ich begann Rap zu hören und versuchte n wenig Englisch zu lernen. Fürn Moment aber musste ich unbedingt n Paar anständige Stollenschuhe auftreiben. Und nen eigenen Ball, um aufm Hof Tag und Nacht zu kicken … Aber wovon labere ich da überhaupt – mir fehlte es nicht nur am nötigen Kleingeld, ich wusste ja nicht mal, wo ich die kaufen sollte. Hier gab es so was ganz sicher nicht in den Sportgeschäften. Ich musste Dad bitten, mir welche aus Deutschland mitzubringen oder so.

      Natürlich gab es unter uns nicht gerade viele Gentlemen, aber das Wichtigste war, aus eigener Kraft zu gewinnen und nicht durch Schauspielern und mit tatkräftiger Mithilfe des Schiris. Es kam vor, dass irgendn Schlaukopf einem am Boden Liegenden mitm Schuh aufn Kopf zu treten versuchte, wenn der Schiri es nicht sah, aber unsere Latschen hatten Gummisohlen. Echte, harte Sohlen mit Stollen, das war n Fest, aber der Trainer brachte nur für die Besten welche ausm Ausland mit. Deshalb war Maloche angesagt, keine Zeit mehr für Plakate, die verkauften sich eh nur schleppend, denn alle hielten Fressalien und Klamotten für wichtiger.

      Wie Ostern und Weihnachten zugleich aber war, als wir erfuhren, dass die Herrenmannschaft bald zu nem Turnier nach Polen reisen würde. Also noch mehr ackern und sich noch weniger den Kopf zerbrechen. Nach der Ukraine das erste halb normale Ausland. Lettland zählte nicht. Nicht nur Sightseeing wäre angesagt, ich könnte auch aufm Markt was verscherbeln, meine Finanzen aufpeppen. Und auch die Eltern hätten was davon: Sie könnten vor ihren Freunden damit angeben, dass ihr Sohn n spitze Rugbyspieler ist und ins Ausland fährt.

      4

      Im Training konnte ich nicht mit den Männern mithalten. Da gab es welche, die ließen mich einfach stehen, auch wenn ich in der Schule dauernd die Sprintrekorde verbesserte. Aber halb so schlimm. Schlimmer war, dass es hier keinen gab, den ich mit meiner Körpermasse hätte ins Out befördern können. Von einigen von denen prallte ich ab wie n Apfel von der Wand, die mussten mich nicht mal wegschubsen. Sie hatten mich als besten Spieler meiner Altersklasse genommen, obwohl ich viel zu jung für sie war – ich spielte ja noch bei den Junioren. Aber etwas wurmte mich dann doch: Wenn du sonst das Feld wie n Bulldozer aufrollst, aber jetzt wie n Holzspan davonfliegst, dann leidet dein Coolness-Rating ganz schön darunter. Du hast den Ball kaum berührt und schon liegste am Boden. Aber diesen Ball musste erst kriegen, manchmal glaubste, du hättest so nen Mantel an, der dich unsichtbar macht. Und wenn dann dieses Teil per Zufall doch in deinen Händen landet, dann biste so stolz und dem, der dir es dir zugespielt hat, so wahnsinnig dankbar, dass du für ne Sekunde gar nicht mehr weißt, waste damit anfangen sollst, und schon wieder am Boden liegst, bevor du dich eingekriegt hast.

      Aber nach zwei Wochen Training oder so gewöhnte ich mich langsam an die höhere Geschwindigkeit und Körpermasse. Ich hatte gelernt, n Spurt hinzulegen, dann den Gegner fast von hinten um die Hüfte zu packen und mich fallen zu lassen. Solange du beide Beine umfasst hältst, liegt der Typ wie gefesselt am Boden. Fürn Anfang reichte das, mit der Zeit würde sich alles einrenken. Und als ich hörte, dass sie mich nach Polen mitnehmen wollen, fühlte ich mich auf Augenhöhe mit ihnen. Von den Typen in meiner Klasse ganz zu schweigen … was heißt hier in meiner Klasse, in unserer ganzen Schule konnte es keiner mit mir aufnehmen.

      Das Problem dabei war nur, dass sie uns, n paar von den Jungen, zuletzt sagten, dass sie uns mitnehmen. Keine Zeit mehr für Vorbereitungen. Aber ohne was zum Versilbern nach Polen zu fahren … Du kommst vom Mond, würde man mit Recht zu mir sagen. Mit Polen hatte ich noch nicht viel zu tun gehabt, obwohl man dort offenbar alles Mögliche verscherbeln konnte. Aber wenn du irgendwo zum ersten Mal hinfährst und noch nicht weißt, wies dort ist, dann nimm besser keine Esswaren mit, du weißt ja nicht, wann und ob du überhaupt aufm Markt vorbeikommst. Mutter hatte so ihre eigenen Quellen, die sie ausfragte. Sie sülzte was von Knoblauchpressen, Kaffeemühlen, Wurstfüllern, Wäscheleinen und Pantoffeln. Was meint ihr dazu? Was würdet ihr aus dieser Liste mitnehmen? Die Polen schienen nix lieber zu tun, als Würste zu stopfen, doch dazu fehlten ihnen genau diese Röhrchen, die ihnen die Litauer brachten, und von diesen Röhrchen brauchte jeder zweite Pole mehr als eins. Ich gammelte ohne Plan durch die Stadt, kaufte das eine oder andere, dann hatte Mutter Mitleid mit mir. Sie stopfte Unterwäsche, Pyjamas, BHs und noch was aus ihrem Kleiderschrank, von dem sie dachte, das geht in Polen gut weg, in ne Tasche, bis sie prallvoll war. Ich schaute ihr dabei nicht über die Schultern. Etwas davon war sicher neu, anderes sah nur so aus, aber das machte eh keinen Unterschied.

      Am Abfahrtstag ging ich am Morgen mit dem Gefühl zum Bus, mir steht auf die Stirn geschrieben, dass ich ins Ausland fahre, und alle beneiden mich. Ich fühlte mich sogar n wenig unwohl vor lauter Coolness und hätte lieber wie n normaler Kumpel ausgesehen. Wenn du mit ner großen Tasche am Bus stehst, dann wissen alle, der versteht zu leben. Und wenn du nur mit den Rugbysachen und n paar Butterbroten im Gepäck antanzt? Dann würden sie sicher fragen, ob du dort vielleicht ne Tour durch die Museen vorhast, dass du mit leeren Händen

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