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prustet sie lauthals los und alle anderen Kinder mit ihr. Ich würde mich am liebsten in einem Mauseloch verkriechen, was natürlich nicht geht. Mein Gesicht läuft purpurrot an. Es ist mir so peinlich!

      Nach der Schule schleiche ich enttäuscht nach Hause. Den Rest des Tages verbringe ich auf meinem Zimmer. Nichts und niemand kann mich motivieren, etwas zu unternehmen. Selbst Rollschuh fahren will ich nicht. Ich bin in Frustration eingehüllt, verkrieche mich in meinem Bett und will niemanden sehen. In der folgenden Nacht schrecke ich immer wieder durch schreckliche Träume auf.

       Ich bin krank

      „Aufstehen!“, ertönt es laut neben meinem Ohr. Schlaftrunken öffne ich am nächsten Morgen meine Augen. Wieder ruft die Erzieherin: „Aufstehen!“ Angestrengt überlege ich, was ich anstellen kann, damit ich nicht zur Schule gehen muss. Wehleidig ziehe ich meine Bettdecke bis zu den Ohren hoch. „Mir geht es nicht gut!“, hauche ich. Die Erzieherin zupft an meiner Decke: „Harald, aufstehen!“ Ich schaue sie leidend an. „Mir ist so schlecht!“, kommt es jammernd aus mir heraus. „Ich kann heute nicht in die Schule gehen.“ Besorgt sieht sie mich an und fühlt meine Stirn: „Du siehst nicht so richtig krank aus, aber vielleicht brütest du ja etwas aus. Heute bleibst du mal im Bett.“ Erleichtert und zufrieden kuschele ich mich in meine Decke. Was bin ich froh, dass ich heute niemanden aus meiner Klasse sehen muss. Mittags steckt die Erzieherin erneut ihren Kopf zur Tür herein: „Na, wie geht es dir?“ Ich hauche aus meiner Deckenumhüllung heraus, dass es mir immer noch nicht gut geht: Es funktioniert! Ich darf den Rest des Tages weiter in meinem Bett verbringen.

      Am nächsten Morgen steht sie wieder vor mir. „Wie sieht es heute aus?“, lacht sie. „Du brauchst mir gar nicht zu erzählen, dass du dich immer noch krank fühlst. Ich glaube, da will sich jemand vor der Schule drücken. Los jetzt, aufstehen!“ Mit einem Ruck reißt sie mir die Bettdecke weg. Ich muss meine sichere Burg verlassen.

      Lustlos ziehe ich mich an. Schlurfend und mit schwerem Gemüt erreiche ich den Speisesaal. Normalerweise lasse ich mir keine Mahlzeit entgehen. Doch heute, in meinen Gedanken versunken, würge ich mir das Frühstück rein. Was kann ich tun, damit ich nicht zur Schule gehen muss? Schließlich verlasse ich das Heim und mache mich auf den Weg zur Schule. Am Waldrand angekommen ändere ich abrupt meinen Weg, schnurstracks in den Wald hinein, verfolgt von einem schlechten Gewissen. Ich weiß, dass ich die Schule nicht schwänzen darf. Das wird mächtig Ärger geben! Doch den werde ich schon überleben, die Gemeinheiten der Lehrerin und das Ausgelacht werden von den Mitschülern jedoch nicht! Ich suche mir eine Stelle im Wald, von der aus ich den Eingang der Schule sehen kann. Aus Zweigen und Ästen baue ich mir einen Unterschlupf und warte dort, bis die Schule zu Ende ist.

      Die ersten beiden Tage vergehen, ohne dass ich Ärger bekomme. Doch am dritten Tag steht plötzlich Fräulein Martin vor meinem Versteck. Sie muss mir heimlich gefolgt sein. Entrüstet packt sie mich am Arm und schleppt mich laut schimpfend zur Schule: „Du wirst die Schule nicht schwänzen!“ Aller Widerstand hilft nicht. Sie zerrt mich zu meinem Klassenraum, übergibt mich meiner Lehrerin und verschwindet. Hämisch grinsend begrüßt Fräulein Lukas mich: „Da ist ja unser Musterschüler!“, spottet sie und wendet sich der Klasse zu: „Kinder, begrüßt unseren Musterschüler!“ Lautes, vielstimmiges Lachen ertönt. Ich laufe rot an und platze wütend heraus: „Am liebsten würde ich euch alle umbringen!“ Erneut ertönt eine Lachsalve. Fräulein Lukas beordert mich zu meinem Platz. Dann fährt sie mit dem Unterricht fort. Wütend und frustriert sitze ich auf meinem Stuhl. Schule ist mir so was von egal! Ihr könnt mich alle mal… !

      Mein Lernboykott betrifft auch die Nachhilfe. Herr Hussmann ist nicht mehr der freundliche Lehrer, der an mich glaubt. Er wurde von Fräulein Lukas informiert. Es folgt ein Gespräch mit mir, bei dem er mir erklärt, dass ich ein aufsässiger Schüler sei. Dies hätte Fräulein Lukas ihm mitgeteilt. Er versucht nochmals, mir ins Gewissen zu reden. Alle Erklärungen, die ich vorbringe, helfen nicht. Er glaubt mir nicht, dass die Lehrerin die Ursache ist. Aber ich finde inzwischen sowieso, dass Schule der größte Mist ist.

       Zeugnisse

      Bei der Zeugnisausgabe am Ende des Schuljahres steht Fräulein Lukas triumphierend vor mir: „Nicht versetzt!“ Wortlos nehme ich mein Zeugnis entgegen und verlasse die Schule. Ich bin wütend und fühle mich total ungerecht behandelt. Im Heim angekommen muss ich zur Oberin. Wortlos überreiche ich ihr mein Zeugnis. Sie erschrickt beim Anblick der Noten. „Ich dachte, deine Versetzung sei nicht gefährdet. Und nun das!“ Mit hängenden Schultern stehe ich vor ihr und erzähle ihr von all dem, was ich in den letzten Monaten in der Schule erlebt habe. „Das habe ich nicht gewusst, Harald. Ich hatte mich schon gewundert, dass du nicht mehr zur Nachhilfe gehst. Ich dachte, dass du sie nicht mehr brauchst. Deshalb bin ich dem auch nicht weiter nachgegangen. Aber jetzt sind erst einmal Ferien. Um die Schule kümmern wir uns danach. Im neuen Schuljahr werde ich mich regelmäßig bei der Schule erkundigen und auch dich fragen, wie es dir in der Schule geht. So was soll nicht noch einmal passieren, dass eines meiner Kinder sitzen bleibt, und ich weiß nichts davon!“

       Eine neue Lehrerin

      Die Ferien sind wunderbar. Wir Kinder machen viele Ausflüge, Lagerfeuer und Abenteuerspiele. Ich vergesse die Schule bis zu dem Tag, an dem wir Kinder wieder den Weg zur Schule gehen müssen. Mit bangem Erwarten trotte ich Richtung Schule und stelle mich innerlich auf das Schlimmste ein. Doch dann die gute, die allerbeste Nachricht: Fräulein Lukas hat die Schule verlassen. Hurra!

      Eine neue Klassenlehrerin wird uns Kindern vorgestellt. Sie ist ganz erträglich. Ich bin froh, dass sie mich nicht vor meiner neuen Klasse bloßgestellt. Dennoch ist meine Motivation zu lernen nicht besonders hoch. Nach einigen Monaten fordert sie mich auf, ihr ins Lehrerzimmer zu folgen. Nachdenklich und sehr ernst sieht sie mich an: „Ich muss ein ernstes Wort mit dir reden, Harald! Deine Noten lassen sehr zu wünschen übrig. Wenn du so weitermachst, wirst du wieder sitzen bleiben. Das möchte ich dir ersparen. Gib dir mehr Mühe, dann schaffst du es!“ Ja, das will ich, denn eigentlich bin ich ein Musterschüler.

      Die Lehrerin weckt in mir wieder die Lust zum Lernen. Erste kleine Erfolge stellen sich ein. Doch dann werde ich krank. Im Kinderheim ist die Gelbsucht ausgebrochen. Auch mich erwischt es. Das Heim wird unter Quarantäne gestellt. Ich werde ins Krankenhaus gebracht.

      Die Krankenschwestern sind sehr freundlich, aber auch sehr beschäftigt. Ich fühle mich ganz schrecklich einsam in meinem viel zu großen Krankenhausbett. Die meiste Zeit bin ich alleine. Nur einmal besucht mich Schwester Anne aus dem Kinderheim. Ich fühle mich verloren und sehne mich nach meinem Heim zurück.

      Anfangs kommen die Krankenschwestern mehrmals täglich zum Fiebermessen. Als es mir etwas besser geht, kommen sie nicht mehr so oft. Mir wird immer langweiliger. Das muss ich ändern! Was kann ich tun, damit sie häufiger nach mir sehen? Ah, ich weiß! Wenn ich an der silbernen Spitze des Fieberthermometers reibe, steigt die Temperaturanzeige an. Sie werden denken, dass ich wieder Fieber habe, und öfter nach mir schauen und sich intensiver um mich kümmern. Na ja, eigentlich ist es nicht meine Idee. Ich habe mir das von den anderen Kindern abgeschaut.

      Mein Entschluss steht fest: Als wieder einmal Fieber gemessen wird, hole ich das Thermometer vorsichtig hervor und reibe, so fest ich kann, an der Spitze. Die Temperatur steigt. Ich reibe weiter. Huch, das Thermometer zeigt über vierzig Grad an! Ups, ich glaube, das ist zu viel. Wie kann ich es schnell wieder herunter bekommen? Vom Flur her erschallen Schritte. Eilig stecke ich das Thermometer in meine Achselhöhle zurück. Da öffnet sich auch schon die Tür. Brav und mit engelsgleichem Gesicht übergebe ich der Schwester das Thermometer. Ein Blick, ein Aufschrei und dann eine Hand auf meiner Stirn. Kopfschüttelnd steht sie vor mir, entrüstet über meine Frechheit. Eine Schimpftirade prasselt auf mich ein: „Du verflixter Lümmel! Du hast überhaupt kein Fieber! Das melde ich dem Doktor!“ Schimpfend verlässt sie den Raum, um postwendend mit dem Doktor im Schlepptau zurückzukehren. Eine lange Moralpredigt folgt. Innerlich halte ich mir die Ohren zu und schalte ab.

      Nach diesem Vorfall erreicht mein Ansehen auf der Station den Nullpunkt. Man beachtet mich in den folgenden Tagen kaum noch. Mir ist so schrecklich langweilig! Hoffentlich kann ich bald nach Hause! Als der Doktor mir endlich die erlösende Botschaft überbringt,

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