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ist so schrecklich hoch.

      Ängstlich drücke ich mich sicherheitshalber an die Wand. Bloß nicht zu nahe an die Kante kommen, sonst falle ich runter. Hans, Johannes und Markus schlafen bereits wie die Murmeltiere. Ich hingegen erwache immer wieder und bringe mich zur Wand rutschend in Sicherheit. Das Kommando „Aufstehen, Jungs!“ am nächsten Morgen erlöst mich endlich.

       Die neue Schule

      Mit dem Heimwechsel ist auch ein Schulwechsel verbunden. Ein scheinbar dauerhaft gut gelauntes Fräulein Martin bringt mich zu meiner neuen Schule, stellt mich beim Rektor vor, begleitet mich gemeinsam mit ihm noch bis zur Klasse, dann ist sie weg und ich bin alleine mit vielen neuen Gesichtern. Der Rektor stellt mich der Klasse vor. Unsicher stehe ich neben ihm. Es ist schrecklich für mich, vorne stehen zu müssen und mich von allen angaffen zu lassen. Der Rektor erzählt, wer ich bin, wo ich herkomme und erwähnt, dass ich aus dem Heim komme. Einige Neu-Klassenkameraden lachen verstohlen und mustern mich von oben bis unten. Es ist genau wie in Bottrop! Das kann ja was werden!

      Die Schulglocke ruft zur Pause. Meine neuen Klassenkameraden stürmen Richtung Pausenhof. „Du kannst dir gerne den Schulhof ansehen!“, ermutigt mich der Lehrer und zeigt einladend auf den Hof. Unsicher schlendere ich zum Schulhof. Dort umringen mich sofort einige Jugendliche: „Du bist also aus dem Heim!“, raunzt mich einer der Jungs an.

      Mit verschränkten Armen baut er sich provozierend vor mir auf. Die anderen schließen sofort einen Kreis um mich. „Mein Vater sagt immer, dass ihr Heimkinder alle klaut. Erwischen wir dich dabei, machen wir dich fertig!“ Seine bedrohlich erhobene Faust macht mir unmissverständlich deutlich, dass er es ernst meint.

      Meine Versuche, ihm zu erklären, dass ich noch nie geklaut habe, helfen nicht. Er glaubt mir nicht. Alle Jungs um mich herum werden aggressiver und rücken mir immer mehr auf die Pelle. Die werden mich gleich verprügeln, so aufgebracht, wie die sind. Ängstlich und hilfesuchend sehe ich mich nach einem Lehrer um. Doch weit und breit entdecke ich keinen.

      Deshalb beschließe ich, mich still zu verhalten und nichts mehr zu sagen. Ein heftiger Schubser des Jungen, der vor mir steht, beendet meine bedrohliche Lage. Er dreht sich um und geht. Die anderen folgen ihm. Erst jetzt kommt meine Angst so richtig raus. Schlotternd stehe ich auf dem Hof. Am besten wäre es, jetzt einfach abzuhauen. Doch wohin?

      Aus der Schule zurück verkrieche ich mich sofort in meinem Bett. Ich brauche jetzt Zeit zum Nachdenken. Pustekuchen! Von wegen: In Ruhe nachdenken! Zwei meiner Zimmerkollegen stürmen in den Raum, während ich in meiner Bettburg hocke. Lachend setzen sie sich auf die Kanten ihrer Betten und erzählen sich wiederum einen Witz nach dem anderen.

      Können die nicht draußen Witze erzählen? Warum denn hier? Verzweifelt und missmutig verlasse ich meine Burg. Ich will Ruhe haben! Ohne groß nachzudenken laufe ich aus dem Haus, zu einem Wald, der am Rande meines Schulweges liegt. Es muss doch einen ruhigen Rückzugsort für mich geben!

      Suchend laufe ich tiefer in den Wald hinein. Dann sehe ich es: Ein Erdloch, gerade groß genug für mich. Das ist ein sehr gutes Versteck!

      Ich spüre förmlich, wie sich Erleichterung in mir ausbreitet: Endlich habe ich etwas gefunden, das mein neuer Lieblingsplatz werden kann. Wie kann ich das Loch so verstecken, dass es niemand findet? Nachdenklich suche ich nach Material. Wenn ich Äste über das Loch lege und noch etwas Laub zur Tarnung auf die Äste verteile, dann ist es für niemanden mehr zu sehen: Sehr gut! Das ist eine hervorragende Unterkunft für Notfälle. Frohlockend mache ich mich unverzüglich an die Arbeit. Nach drei Stunden ist mein Notquartier fertig. Zufrieden betrachte ich mein Werk. Dieses Versteck wird niemand so leicht finden. Nun, wo ich endlich einen Rückzugsort für mich gefunden habe, kann ich hoffnungsvoll in meine Zukunft hier in Espelkamp gehen. Mit einem guten Gefühl und stolz auf mein Werk kehre ich ins Heim zurück.

       Anfeindungen

      Am nächsten Morgen gehe ich mit bangem Herzen zur Schule. Am liebsten würde ich am Waldrand abbiegen und mich in meiner Höhle verstecken. Was werden die Burschen heute machen? An der Schule angekommen verstecke ich mich hinter einigen Büschen und beobachte die anderen Kinder aus sicherer Entfernung. Die Schulglocke ertönt. Der Hof leert sich schnell. Jetzt kann auch ich das letzte Stück zur Schule gehen. Doch ich komme zu spät an: Die Klassentür ist bereits geschlossen. Oh je, was für eine Peinlichkeit! Zögernd klopfe ich an die Tür. Der Klassenlehrer öffnet und bittet mich in die Klasse: „Setz dich! Ab morgen erwarte ich von dir, dass du pünktlich erscheinst.“ Erleichtert, dass er mir keine Moralpredigt vor der ganzen Klasse hält, setze ich mich auf meinen Platz neben Thomas.

      Als es zur Pause schellt, bin ich der Erste, der zur Tür hinaus stürmt. Bloß schnell weg, damit mich die anderen nicht wieder in die Finger bekommen! Aus sicherer Distanz, versteckt hinter einem Busch, beobachte ich das Treiben auf dem Schulhof. „Wo ist denn der Neue aus dem Heim?“, höre ich. Es ist der Junge, der mich gestern schon so angemacht hat. Eine Gruppe von Jungs macht sich auf den Weg, um mich zu suchen. Zwei von ihnen kommen direkt auf mein Versteck zu: „Da steckt er ja!“ Unverzüglich kommen alle zu mir und nehmen mich in ihre Mitte. Ein innerer Warnruf ertönt.

      Doch bevor der Riese mit den Bärenkräften in mir erwacht, erklingt die Stimme eines Lehrers: „Auseinander mit euch!“ Mit eiligen Schritten kommt er zu uns gelaufen: „Was ist hier los?“ In großer Einigkeit deuten die Jungs auf mich: „Der aus dem Heim hat Streit angefangen!“ Der Lehrer packt mich beim Arm. Sein Griff ist sehr schmerzhaft. „So, so! Gerade hier angekommen und schon Streit anzetteln! Das lassen wir hier nicht durchgehen. Den Rest der Pause bleibst du bei mir. Dann bin ich sicher, dass Ruhe auf dem Schulhof herrscht.“ „Aber ich habe doch gar nichts gemacht!“, versuche ich mich zu verteidigen. Doch der Lehrer packt nur noch fester zu: „Du willst mir also weismachen, dass die anderen alle lügen?“ Nun lacht er mich aus. Mit festem Griff schleift er mich mit.

      Den Rest der Pause muss ich an seiner Seite bleiben. Erst die Glocke erlöst mich. Schnell renne ich zu meinem Sitzplatz im Klassenraum und versinke in meinen Gedanken. Der Unterricht erreicht mich nicht. Verzweifelt grüble ich darüber, wie es weitergehen soll. Ich habe große Angst vor meiner Zukunft hier an dieser Schule.

      Nach der letzten Schulstunde jage ich wie ein Getriebener aus dem Klassenraum: Nur nicht der Meute in die Hände fallen! Schnurstracks renne ich zu meiner Höhle und verkrieche mich in dem Bau. Nach einiger Zeit kehrt endlich wieder Ruhe in mir ein.

      Als ich zum Heim zurückkehre, läuft mir die Leiterin über den Weg: „Na, Harald, wie war dein Schultag?“ Schüchtern sehe ich sie an: „Die anderen Jungs wollten mich verprügeln!“ Sie mustert mich von oben bis unten: „Und, was hast du angestellt, dass sie dich verprügeln wollten?“ Ich erzähle ihr von dem Jungen, der übrigens Matthias heißt: „Er ist in meiner Klasse. Matthias hat überall herumerzählt, dass alle Heimkinder Diebe sind. Die anderen glauben ihm.“ Ungläubig sieht sie mich an: „Harald, diese Geschichte hast du dir doch nur ausgedacht!“, sagt sie und verschwindet in ihrem Büro. Frustriert setze ich meinen Weg zum Zimmer fort. Die Erwachsenen kotzen mich an! Ich erklimme meine Bettburg und grüble über die Ungerechtigkeiten dieser Welt.

      Beim Abendbrot begegne ich Fräulein Martin. „Na, Harald“, mustert sie mich, „dein Tag war wohl nicht so gut?“ Brummig sehe ich sie an. Weil ich jetzt weiß, dass die Erwachsenen mir sowieso nicht glauben und ich ihnen egal bin, halte ich lieber den Mund. „Wenn du jemanden zum Reden brauchst“, bietet sie mir an, „kannst du mich gerne auf meinem Zimmer besuchen.“ Um meine Ruhe zu haben, verspreche ich ihr, dass ich das machen werde. Doch mein Entschluss steht fest: Ich werde niemandem mehr vertrauen!

      Zu meiner Erleichterung verlaufen die nächsten Wochen ruhiger. Die Jungs in der Schule lassen mich in Ruhe. Ich schaffe es, mich mit anderen Jugendlichen anzufreunden, was mir gut tut. Doch eines Tages verbreitet sich die Nachricht, dass einem Mädchen aus der fünften Klasse der Turnbeutel geklaut wurde. Sofort werde ich nach der Schule wieder von Matthias und seiner Clique in die Mangel genommen: „Hey, du Heimkind!“, ertönt seine verächtliche Stimme. „Rück sofort den Turnbeutel raus!“ Seine Fäuste erheben sich. Hilfesuchend versuche ich mich zu verteidigen: „Ich habe nichts mit dem Diebstahl zu tun!“ Aufgebracht

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