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der Sozialen Angststörung im Kindes- und Jugendalter untersucht haben (Essau, Conradt & Petermann, 1999; Wittchen et al., 1999). Im Rahmen der Bremer Jugendstudie fanden Essau et al. (1999) an einer Stichprobe von 1035 Kindern und Jugendlichen im Alter von 12–17 Jahren, dass 1,6% die DSM-IV Kriterien für eine Soziale Angststörung irgendwann in ihrem Leben erfüllten. Diese Ergebnisse bestätigen frühere Befunde von Benjamin und Kolleg*innen, die in ihren Stichproben Häufigkeiten um 1,4% für klinisch relevante soziale Ängste fanden (Benjamin, Costello & Warren, 1990). In einer weiteren, groß angelegten deutschen Studie von Wittchen und Kolleg*innen (1999), im Rahmen der Early Developmental Stages of Psychopathology Study (EDSP), wurden 3021 Münchener Jugendliche und Erwachsene im Alter zwischen 14–24 Jahren untersucht. 7,3% der Stichprobe erfüllten zu irgendeinem Zeitpunkt ihres Lebens die Diagnose einer Sozialen Angststörung, die 12-Monats-Prävalenz lag bei 5,2%. An einer anderen, vergleichsweise jungen Stichprobe fanden Federer et al. (Federer, Stüber, Margraf, Schneider & Herrle, 2001) im Zuge der Dresdener Kinder-Angst-Studie (DKAS) bei 826 Kindern im Alter von acht Jahren eine Punktprävalenz von 0,4%. Insgesamt finden sich höhere Prävalenzraten bei Mädchen als bei Jungen.

      Generell zeigen sich starke Schwankungen in den Prävalenzraten zwischen unterschiedlichen epidemiologischen Studien. Hierfür werden verschiedene Gründe diskutiert. Auf der einen Seite variieren die verwendeten Diagnosekriterien der Sozialen Angststörung zwischen den Studien. Beispielsweise scheinen Prävalenzraten geringer zu sein, wenn die Kriterien des ICD-10 im Vergleich zu den DSM-Kriterien verwendet werden (Adornetto, Suppiger, In-Albon, Neuschwander & Schneider, 2012). Da im ICD-10 anders als im DSM-5 eine körperliche Angstreaktion als Voraussetzung zur Diagnosestellung enthalten ist, jüngere Kinder aber häufig keine körperlichen Angstsymptome berichten (Muris, Merckelbach & van Spauwen, 2003), führt dies zu geringeren Prävalenzraten bei Verwendung der ICD-10-Kriterien. Ein weiterer Grund für die Prävalenzunterschiede zwischen verschiedenen Studien ist der Umgang mit Eltern- und Kindangaben zum Vorliegen von sozialen Ängsten. Studien zeigen, dass die Angaben von Eltern und Kindern insbesondere hinsichtlich internalisierender Symptome, darunter auch soziale Ängste, nicht übereinstimmen. Dies liegt beispielsweise daran, dass internalisierende Symptome für Eltern nur zu einem begrenzten Umfang beobachtbar sind und auch in Kontexten auftreten, in denen Bezugspersonen nicht anwesend sind (z. B. im Schulunterricht). Je nachdem, wie in epidemiologischen Studien das Vorliegen der diagnostischen Kriterien gewertet wird – Erfüllen der Kriterien durch entweder Kind- oder Elternangaben bzw. durch Übereinstimmung aller Informationsquellen – ergeben sich Unterschiede in den Prävalenzzahlen (Popp et al., 2017).

      Insbesondere für die Frage der psychotherapeutischen Indikation, also inwiefern eine Behandlung der Sozialen Angststörung im Kindes- und Jugendalter zeitnah erfolgen muss, spielen Erkenntnisse über den Störungsverlauf eine große Rolle. Zeigen epidemiologische Daten, dass die Störung in den meisten Fällen ohne eine Behandlung nicht remittiert, ist eine psychotherapeutische Behandlung dringend in Betracht zu ziehen, um eine Störungschronifizierung und die Entwicklung von komorbiden Störungen und negativen psychosozialen Folgen zu verhindern. Insgesamt weisen Forschungsdaten drauf hin, dass von einer hohen Störungsstabilität der Sozialen Angststörung im Kindes- und Jugendalter auszugehen ist.

      In einer großen spanischen Längsschnittstudie über den Zeitraum von 14 Jahren wurden über 24.000 Kinder und Jugendliche mit Angststörungen hinsichtlich der Diagnosestabilität untersucht. Neben Spezifischen Phobien zeigten Patient*innen mit einer Sozialen Angststörung die höchste Störungsstabilität (ca. 70%) im Vergleich zu anderen Angst- und Zwangsstörungen (Carballo et al., 2010). Während sich keine Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen hinsichtlich der Störungsstabilität zeigten, wiesen Jugendliche mit einer Sozialen Angststörung eine leicht erhöhte Störungsstabilität (72%) im Vergleich zu Grundschüler*innen (66%) auf. Hinsichtlich der Störungsstabilität im Jugendalter und jungen Erwachsenenalter fanden Beesdo-Baum und Knappe (2012) an der EDSP-Stichprobe, dass nach 10 Jahren zwar nur noch 15% der Stichprobe die Kriterien für eine Soziale Angststörung erfüllten, jedoch auch nur eine vergleichbare Anzahl von Patient*innen eine vollständige Remission der Störung berichtete. Die Autorinnen schließen hieraus, dass die Symptomatik der Sozialen Angststörung eine große Fluktuation aufweist, die Symptome insgesamt jedoch sehr stabil erscheinen. Besonders stabil scheint die Symptomatik der Störung zu sein, wenn soziale Ängste generalisiert, also in vielen verschiedenen Situationen, auftreten und wenn die Soziale Angststörung von anderen psychischen Störungen komorbid begleitet wird. Insgesamt erweist sich die Störung damit bereits im Kindes- und Jugendalter als sehr stabile psychische Störung.

      Studien weisen darauf hin, dass eine Soziale Angststörung im Kindes- und Jugendalter sehr negative Auswirkungen in verschiedenen Lebensbereichen von Betroffenen hat, wie auch im Fallbeispiel zu Beginn dieses Kapitels. So berichten Kinder mit Angststörungen, darunter auch die Soziale Angststörung, von mehr negativen Interaktionen mit Gleichaltrigen, mehr Ablehnung durch Gleichaltrige und einem insgesamt deutlich herabgesetzten Selbstwert (Ginsburg, La Greca & Silverman, 1998). Negative Erfahrungen und Ausgrenzungen durch Peers können dabei sowohl die Entwicklung von sozialen Ängsten begünstigen, als auch die Folge einer Sozialen Angststörung sein. Die vermehrte Ausgrenzung als Folge von sozialen Ängsten liegt möglicherweise darin begründet, dass sozialängstliche Kinder und Jugendliche sich sozial ungeschickter verhalten und sich bei Ausgrenzung und Bullying weniger wehren als Kinder ohne Soziale Angststörung (Ranta, Kaltiala-Heino, Fröjd & Marttunen, 2013). Hinsichtlich der schulischen Leistungen zeigen sich ebenfalls Hinweise auf einen starken negativen Einfluss von Ängsten. So berichten Erwachsene mit verschiedenen Angststörungen, einschließlich der Sozialen Angststörung, dass starke soziale Ängste der Hauptgrund für einen frühzeitigen Schulabbruch in der Jugend waren (Van Ameringen, Mancini & Farvolden, 2003). Im Hinblick auf das familiäre Umfeld scheint eine Soziale Angststörung im Kindes- und Jugendalter mit vermehrt negativem Elternverhalten wie Überbehütung oder weniger positiver Interaktion assoziiert zu sein, wobei unklar bleibt, ob die negative familiäre Interaktion Ursache oder Folge von kindlichen Angstsymptomen ist (Asbrand, Hudson, Schmitz & Tuschen-Caffier, 2017). Da insbesondere negative interpersonelle Erfahrungen zwischen Kindern und Familienmitgliedern aber auch Peers wichtige aufrechterhaltende Faktoren für die Störung sein können, kann deren Einbezug in die Psychotherapie (z. B. Interventionen zum Aufbau von Kontakten mit Gleichaltrigen) wichtig sein.

      Hinsichtlich des Verlaufs der Sozialen Angststörung stellt sich für die Psychotherapie die Frage, welcher Verlauf der Störung unter Behandlung im Hinblick auf die Symptomatik der Sozialen Angststörung aber auch mögliche negative psychosoziale Folgen zu erwarten ist (z. B. keine altersentsprechende soziale Integration bei Nichtbehandlung). Eine weitere wichtige Rolle spielt auch die Erwartung hinsichtlich des Behandlungserfolgs von Kindern und Jugendlichen selbst, aber auch wichtiger Bezugspersonen wie Eltern, Familienangehöriger oder Lehrkräfte. Grundsätzlich zeigt sich (image Kap. 7), dass eine kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlung bei der Mehrheit der Kinder und Jugendlichen zu einem Absinken der Symptomatik unterhalb der klinischen Schwelle führt (Spence, Donovan & Brechman-Toussaint, 2000) und die Behandlungserfolge insgesamt stabil sind. Auf der anderen Seite zeigen Studien auch, dass bei einem Teil der behandelten Kinder und Jugendlichen die Sozialen Angststörung auch nach Psychotherapie weiter bestehen kann (Herbert et al., 2009).

      In der psychotherapeutischen Behandlung sollte darüber informiert werden, welche realistischen Erwartungen Patient*innen hinsichtlich der Psychotherapie haben können, aber auch welche möglichen unrealistischen Erwartungen vorliegen (image Tab. 2.1). Insbesondere, wenn Patient*innen oder Angehörige unrealistisch hohe Erwartungen an die

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