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Frustration und einem Absinken der Behandlungsadhärenz. Neben überzogenen Behandlungserwartungen sollten Familien darüber aufgeklärt werden, dass die Symptomatik der Störung auch während der Behandlung schwanken kann, z. B. wenn punktuelle Belastungsfaktoren, wie Schulwechsel oder Elternkonflikte, hinzukommen. Wichtig ist, Patient*innen und Bezugspersonen darauf vorzubereiten, dass solche Schwankungen normal sind und nicht bedeuten, dass die psychotherapeutische Behandlung keinen Erfolg hat. Wenn derartige Schwankungen mehrfach auftreten, kann es in späteren »Krisen« hilfreich sein, auf frühere Verschlechterungen Bezug zu nehmen und die positive Bewältigung in der Vergangenheit zu betonen.

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      Realistische BehandlungserwartungenUnrealistische Behandlungserwartungen

      • Wie häufig ist die Soziale Angststörung im Kindes- und Jugendalter?

      • Welchen Verlauf nehmen starke soziale Ängste in den meisten Fällen bei Kindern und Jugendlichen?

      • Was sind häufige negative Folgen einer Sozialen Angststörung im Kindes- und Jugendalter?

      • Was sind realistische und unrealistische Erwartungen hinsichtlich des Störungsverlaufs unter psychotherapeutischer Behandlung?

      3 Komorbidität und Differenzialdiagnostik

      Fallbeispiel

      Der 13;4-jährige Hannes berichtet bei der Erstvorstellung in der kinder- und jugendpsychotherapeutischen Ambulanz von zahlreichen Ängsten. So habe er große Angst vor Prüfungen in der Schule, aber auch davor, dass ein Krieg ausbrechen könne, seinen Eltern etwas zustoße, oder dass ihm selbst etwas passieren könne. Bei genauerer Exploration schildert er vor allem Ängste im sozialen Bereich: Er habe insbesondere Angst davor, irgendwann auf sich gestellt zu sein und mit anderen nicht in Kontakt treten zu können. Kognitiv schildert er vor allem die Sorge, in der Schule nicht gut genug zu sein, um später einen guten Beruf ergreifen zu können. Wenn er so viel nachdenke, sei er oft niedergeschlagen und ziehe sich zurück. Phasenweise schlafe er dann nur wenig und esse kaum etwas. Differenzialdiagnostisch zeigt sich eine Soziale Angststörung mit rezidivierenden depressiven Phasen. Subklinisch liegen Symptome einer Generalisierten Angststörung vor.

      Lernziele

      • Sie können die häufigsten Komorbiditäten benennen und z. B. Ursachen für das gemeinsame Auftreten beschreiben.

      • Sie können die Soziale Angststörung von der Generalisierten Angststörung abgrenzen.

      • Sie können die Soziale Angststörung von einer Tiefgreifenden Entwicklungsstörung abgrenzen.

      • Sie können die Soziale Angststörung vom Schulabsentismus abgrenzen.

      Ungefähr zwei Drittel aller Patient*innen mit Sozialer Angststörung berichten über weitere komorbid auftretende psychische Störungen (Szafranski, Talkovsky, Farris & Norton, 2014). Insbesondere die generalisierte Form der Sozialen Angststörung ist geprägt von hoher Komorbidität mit depressiven Störungen (v. a. Major Depression), anderen Angststörungen und auch dem Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätssyndrom (ADHS; Chavira, Stein, Bailey & Stein, 2004). Aufgrund des frühen Beginns der Sozialen Angststörung tritt die komorbide Erkrankung meist in der Folge auf (Rapee & Spence, 2004; Spence & Rapee, 2016). Es ist denkbar, dass eine komorbide Störung Vermeidungs- und Rückzugsverhalten noch weiter fördert, sodass generell mit Vorliegen einer komorbiden Störung die wahrgenommene Lebensqualität noch weiter sinkt als mit einer Sozialen Angststörung (Szafranski et al., 2014).

      Merke: Komorbidität

      In der Diagnostik der Sozialen Angststörung ist zunächst zu differenzieren, ob eine Störung komorbid vorliegt oder ob nicht etwa eine andere Störung die Symptomatik besser erklärt (image Kap. 3.2). Besonders häufig komorbid auftretende Störungen sind andere Angststörungen und affektive Störungen.

      Gerade da andere Angststörungen besonders häufig komorbid zur Sozialen Angststörung vorliegen (Szafranski et al., 2014), ist zunächst genau zu klären, ob tatsächlich eine weitere Angststörung vorliegt, oder ob die Sozialen Ängste im Rahmen einer anderen Diagnose besser erfasst werden. So treten z. B. im Rahmen der Generalisierten Angststörung meist auch soziale Ängste auf (image Kap. 3.2.1). Obgleich gewisse Faktoren in der Ätiologie verschiedener Angststörungen sicher ähnlich sind (z. B. zurückhaltendes Temperament, negative Lernerfahrungen), ist für die Therapieplanung eine differenzierte Erfassung der Symptomatik und möglicher Komorbiditäten essenziell.

      Die häufigste Komorbidität der Sozialen Angststörung im Bereich der Angststörungen stellt die Spezifische Phobie dar (ICD-10: F40.1; 10 %, Beidel, Turner & Morris, 1999), welche eine ausgeprägte Angst vor spezifischen Objekten oder Situationen umfasst. Ebenfalls sehr häufig tritt eine komorbide Emotionale Störung mit Trennungsangst des Kindesalters (ICD: F93.0) auf (6 %, Beidel et al., 1999).

      Nach ICD-10 ist eine gleichzeitige Kodierung der Sozialen Angststörung und der Generalisierten Angststörung nicht möglich (F41.1; WHO, 1994). Nach DSM-5 ist die parallele Diagnosestellung möglich, was dem Fakt Rechnung trägt, dass im Alltag häufig beide Störungsbilder parallel auftreten. Dies spiegelt sich auch in Komorbiditätsraten nach DSM-IV im Bereich von 10–29 % wider (Beidel et al., 1999). Somit stellt nach DSM-IV die Generalisierte Angststörung die häufigste Komorbidität dar.

      Merke: Unterschiede andere Angststörungen und Soziale Angststörung

      Die Soziale Angststörung tritt sehr häufig komorbid mit anderen Angststörungen auf. Verhaltensweisen (z. B. Verweigerung des Schulbesuchs) sind dabei nur begrenzt aussagekräftig. Somit ist die Erfassung angstspezifischer Kognitionen (z. B. Angst vor anderen Kindern, vor Prüfungen oder vor Trennung von den Eltern) zentral für die Diagnosestellung.

      Selektiver Mutismus4 (ICD-10: F94.0) umfasst das Verstummen in Situationen, in denen eigentlich die soziale Erwartung des Sprechens besteht (z. B. Schule). In anderen Situationen hingegen kann das Kind sprechen. Das Verhalten liegt mindestens einen Monat vor und ist keine Folge einer Tiefgreifenden Entwicklungsstörung, Kommunikationsstörung oder psychotischen Störung (American Psychiatric Association [APA], 2015). Einzelne Studien berichten eine Komorbidität von ca. 8 % (Beidel et al., 1999). Laut Metaanalysen zeigt sich der Selektive Mutismus insbesondere bei jüngeren Kindern häufig als komorbide Diagnose. Bislang ist noch nicht vollständig geklärt, ob das Schweigen in sozialen Situationen eine Extremform der Vermeidung eines Kindes mit Sozialer Angststörung ist, statt einer separaten Störung (Bögels et al., 2010). Bei sehr jungen Kindern wäre es denkbar, dass das Verstummen ein gelerntes Sicherheitsverhalten ist, um der sozialen Situation in der Schule möglichst effektiv aus dem Wege zu gehen. Klinisch betrachtet ist es auch bei Vorliegen sozialer Angstsymptome durchaus sinnvoll, eine separate Diagnose des Selektiven Mutismus zu vergeben, um der Spezifizität des Störungsbildes Raum zu geben und eine passende Behandlung des mutistischen Verhaltens einzuleiten (Bögels et al., 2010).

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