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ist jedoch keine eigene Diagnose in der ICD-101 oder im DSM-5. Da sich diese Ängste jedoch in sozialen Leistungssituationen manifestieren, können sie als umgrenzte Soziale Angststörung verstanden werden. Wichtig ist dabei, dass Kinder und Jugendliche negative Testergebnisse aufgrund einer möglichen negativen Bewertung durch andere Kinder, Jugendliche oder Erwachsene fürchten. Für rein prüfungsbezogene Ängste ist eine differenzialdiagnostische Abklärung zur Spezifischen Phobie zu prüfen. Des Weiteren muss ebenfalls eine differenzialdiagnostische Abgrenzung zur Generalisierten Angststörung des Kindesalters vorgenommen werden, falls Prüfungsängste von Ängsten und Sorgen in mehreren anderen Bereichen begleitet werden (image Kap. 3).

      Die Soziale Angststörung beinhaltet schließlich eine manifestierte, unangemessene Furcht vor Leistungs- oder Interaktionssituationen, die sich in verschiedenen Situationen, z. B. außerhalb der Schule wie auch im privaten Bereich, zeigt (APA, 2015). Zugleich sind die Kinder und Jugendlichen nicht in der Lage, altersgemäße soziale Beziehungen mit vertrauten Personen einzugehen. Die Angst tritt zudem nicht nur in Interaktion mit Erwachsenen, sondern auch mit Gleichaltrigen auf und führt zu einer Beeinträchtigung des Alltagslebens und/oder Leidensdruck (APA, 2015).

      Definition: Soziale Ängste

      Soziale Ängste bezeichnen das Gefühl von Angst und Furcht in sozialen Situationen wie Interaktionen (z. B. eine Spielsituation mit anderen Kindern) und Leistungssituationen (z. B. ein Referat in der Klasse halten oder sich zu melden). Im Zentrum steht die Sorge, sich vor anderen zu blamieren oder nicht gemocht zu werden. Häufig treten soziale Ängste in Situationen mit Kindern und Jugendlichen auf, welche eher unbekannt sind. Soziale Ängste sind fast allen Kindern und Jugendlichen bekannt. Sie haben somit nicht notwendigerweise Krankheitswert und müssen nicht zwingend behandelt werden.

      Definition: Schüchternheit

      Schüchternheit bezeichnet eine kindliche Verhaltenshemmung in sozialen Kontexten, z. B. bei jüngeren Kindern das Verstecken hinter den Eltern beim Treffen auf Bekannte der Eltern. Im Vergleich zu sozialen Ängsten ist Schüchternheit mehr auf das Verhalten als auf andere Bereiche von Ängsten bezogen wie ängstliche Gedanken oder physiologische Reaktionen. Auch Schüchternheit ist ein breites Phänomen, welches viele Kinder und Jugendliche von sich selbst kennen und beschreiben.

      Definition: Soziale Angststörung

      Die Soziale Angststörung bezeichnet soziale Ängste mit Krankheitswert. Der Begriff ist äquivalent zum Begriff der sozialen Phobie aus dem ICD-10 zu verwenden. Die Soziale Angststörung bezeichnet eine anhaltende Angst vor negativer Bewertung durch andere Kinder, Jugendliche oder Erwachsene in sozialen Interaktionen und sozialen Leistungssituationen. Neben starkem persönlichem Leiden der Kinder ist die Störung auch durch Leidensdruck und/oder starke Einschränkungen in der Gestaltung des Alltags der Kinder und Jugendlichen gekennzeichnet, wie wenige soziale Kontakte oder die Vermeidung von schulischen Anforderungssituationen.

      Epidemiologische Studien legen einen Beginn der Sozialen Angststörung im Grundschulalter nahe. Dass Kinder bereits im Kindergartenalter über eine stabile und klinisch relevante Furcht vor negativer Bewertung durch andere Kinder und Erwachsene berichten, ist eher selten (Esbjørn, Hoeyer, Dyrborg, Leth & Kendall, 2010). Dennoch berichten einzelne Studien bereits über das Auftreten einer Sozialen Angststörung bei Kindern im Alter von drei Jahren, insbesondere charakterisiert durch Vermeidungsverhalten in sozialen Situationen (Bufferd, Dougherty, Carlso, Rose & Klein, 2012). Auch Ängste vor negativer Bewertung scheinen im Vorschulalter schon zu bestehen, wenn auch deutlich weniger häufig als im Grundschulalter (Stuijfzand & Dodd, 2017). Diagnostisch grenzt die ICD-10 aus diesem Grund die Soziale Angststörung oder Soziale Phobie (F40.1) von der Emotionalen Störung mit sozialer Ängstlichkeit des Kindesalters (F93.2) ab, welche weniger den Fokus auf kognitive Prozesse sowie körperliche Begleitsymptome legt, sondern das Verhalten fokussiert.

      Eine größere Bedeutsamkeit im Zeitfenster der frühen Kindheit und im Vorschulalter haben Reaktionen und Verhaltensweisen in sozialen Situationen, die als Risikofaktoren für die spätere Entwicklung einer Sozialen Angststörung gelten. Studien legen als zentralen Risikofaktor ein gehemmtes Temperament oder ein hohes Maß an Behavioral Inhibition (BI; Verhaltenshemmung) nahe (Essex, Klein, Slattery, Goldsmith & Kalin, 2010). Kinder mit einer hohen Ausprägung auf dieser Verhaltensdimension reagieren auf unvertraute Situationen oft mit einer starken emotionalen Reaktion (z. B. Anklammern, Schreien und Weinen bei Annäherung einer fremden Person) und zeigen auch in sozialen Situationen wenig Explorationsverhalten (z. B. weniger aktive Kontaktsuche zu unbekannten Gleichaltrigen oder Annäherung an unbekannte Spielsachen). Während BI auf der einen Seite auch ein Risikofaktor für andere Angststörungen sein kann (Ollendick & Hirshfeld-Becker, 2002), scheint BI dennoch besonders stark mit der Entwicklung der Sozialen Angststörung assoziiert zu sein (Hirshfeld-Becker et al., 2007).

      Behavioral Inhibition (BI) prädiktiv für soziale Angst

      Hirshfeld-Becker et al. (2007) untersuchten in einer Längsschnittstudie 284 Kinder zunächst im Alter von 21 Monaten bis 6 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt interagierten die Kinder mit unbekannten Spielsachen und erwachsenen Versuchsleitern. Die Beobachtung des gezeigten Verhaltens führte zur Einstufung in inhibierte (n = 67) vs. nicht inhibierte Kinder (n = 148). Fünf Jahre später zeigte ein klinisches Interview mit 215 der zuvor untersuchten Kinder bzw. deren Eltern, dass BI insbesondere prädiktiven Wert für die Soziale Angststörung hat. 28 % der Kinder, die zum ersten Messzeitpunkt als behavioral inhibiert eingeschätzt wurden, erfüllten in den folgenden fünf Jahren die Kriterien für eine Soziale Angststörung. In der Gruppe der nicht inhibierten Kinder waren dies nur 14 % der Kinder. Trotz statistischer Vorhersagekraft von BI ist zu berücksichtigen, dass ein Großteil der inhibierten Kinder (72 %) die Kriterien für eine Soziale Angststörung nicht erfüllte.

      Mit der Einschulung beginnt sowohl eine Konfrontation mit Leistungssituationen sowie ein erster Abgleich mit gleichaltrigen Kindern. Zudem stehen die Kinder vor der Aufgabe, sich in eine Gruppe einzufinden. Für viele Kinder entsteht damit die Sorge, von anderen negativ bewertet zu werden. Diese Sorge kumuliert bei einigen Kindern in einer Sozialen Angststörung (Beidel & Turner, 2007). Insbesondere jüngere Kinder zeigen eher somatische Reaktionen als klare Äußerungen von Angst wie vermehrte Bauch- oder Kopfschmerzen (Melfsen & Warnke, 2009), die jedoch meist im Zusammenhang mit sozialen Ereignissen wie z. B. einem Schulfest stehen.

      Die Soziale Angststörung gilt als kognitive Störung (Clark & Wells, 1995), die z. B. einer ausgereiften Theory of Mind bedarf (im Sinne der Annahme »eine andere Person denkt etwas anderes über mich, als ich selbst über mich denke«).

      Definition: Theory of Mind

      Theory of Mind beschreibt die Fähigkeit, Annahmen über Gedanken und Gefühle in anderen Personen vorzunehmen und diese zu erkennen. Somit können Bedürfnisse, Ideen, Absichten, Emotionen, Erwartungen und Meinungen anderer wahrgenommen und als von den eigenen divergent bewertet werden. Erste, einfache Aufgaben zur Theory of Mind können bereits jüngere Kinder zwischen 3 und 5 Jahren bewältigen, während komplexere Aufgaben erst im Alter von ca. 8 Jahren verstanden werden.

      Im Zuge dessen kommt den Kognitionen auch im Kindesalter ein hoher Stellenwert zu, wenngleich dieser noch nicht abschließend geklärt ist (Schäfer, Schmitz & Tuschen-Caffier, 2012). Jedoch interpretieren Kinder mit Sozialer Angststörung z. B. mehrdeutige soziale Szenarien häufiger als bedrohlich (Muris, Merckelbach & Damsma, 2000). Andere Befunde deuten zudem bei ängstlichen Kindern auf eine erhöhte Aufmerksamkeit für bedrohliche Reize wie z. B. verärgerte Gesichter hin (Dudeney,

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