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Inhalt: Nach einer sozialen Stressaufgabe berichten Kinder mit Sozialer Angststörung bereits im Alter von acht bis zwölf Jahren stark auf negative Gedanken zu fokussieren (Rumination; Schmitz, Krämer, Blechert & Tuschen-Caffier, 2010). Auch die Sorge um die Sichtbarkeit körperlicher Angstsymptome wie z. B. Schwitzen nimmt die Aufmerksamkeit in Anspruch, obgleich körperliche Symptome eher in der Wahrnehmung, nicht aber objektiv stark erhöht vorliegen (Schmitz, Blechert, Krämer, Asbrand & Tuschen-Caffier, 2012).

      Entwicklungspsychologisch ist für Jugendliche die Öffnung des sozialen Umfelds weg von der Familie hin zu Beziehungen mit Gleichaltrigen das zentrale Thema (Oerter & Montada, 2002). Soziale Ängste erreichen somit im Jugendalter ihren Höhepunkt. Typischerweise wird das frühe Jugendalter von den meisten Patient*innen am häufigsten als Beginn der Sozialen Angststörung angegeben (Wittchen, Stein & Kessler, 1999). Die Symptome der Sozialen Angststörung im Jugendalter ähneln denen im Erwachsenenalter (image Tab. 1.1). So wird bei Jugendlichen das Sicherheitsverhalten zentraler, indem z. B. das Gesicht hinter den Haaren versteckt wird, Vorträge auswendig gelernt werden oder im Unterricht ein möglichst unscheinbares Verhalten gezeigt wird. Auch kognitive Verzerrungen wie Befürchtungen vor einer sozialen Situation, dass diese peinlich verlaufen könnte, werden stärker (Beidel & Turner, 2007), obgleich sie noch nicht das Ausmaß negativer Kognitionen von erwachsenen Patient*innen mit Sozialer Angststörung erreichen. Weiterhin nehmen auch körperliche Symptome wie Bauchschmerzen, Unruhe und Anspannung in sozialen Situationen bei betroffenen Jugendlichen mit Sozialer Angststörung zu (Ginsburg, Riddle & Davies, 2006). Aufgrund der Zunahme der Störungsschwere und den starken Einschränkungen im schulischen Alltag und der Freizeit, wird die Soziale Angststörung häufig auch durch weitere komorbide Störungen begleitet, wie Depressionen oder andere Angststörungen (Stein et al., 2001). Eine starke Symptomatik kann zu einem fast vollständigen Rückzug aus sozialen Situationen im Jugendalter führen (Erath, Flanagan & Bierman, 2007).

      Tab. 1.1: Typische Symptome der Sozialen Angststörung

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      AltersgruppeVerhaltenKognitionenKörperliche Symptome

      In Deutschland erfolgt derzeit die diagnostische Klassifikation der Sozialen Angststörung nach der 10. Version der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10; WHO, 1994). Starke soziale Ängste im Kindesalter können, wenn sie vor dem 6. Lebensjahr auftreten, als Emotionale Störung mit sozialer Ängstlichkeit (ICD-10, F93.2) klassifiziert werden. Soziale Ängste werden in dieser Kategorie aufgrund des jungen Alters meist stark behavioral klassifiziert. Weiterhin muss für diese Störungsdiagnose keine Einsicht in die Übertriebenheit der Ängste bei den Kindern vorhanden sein. Sind die Diagnosekriterien für eine Soziale Phobie nach ICD-10 erfüllt, sollte aktuell jedoch diese Diagnose vorgezogen werden. In der ICD-11 fällt diese Diagnose ab dem 01.01.2022 unter die Diagnose der Sozialen Angststörung. Im anglo-amerikanischen Raum wird zur kategorialen Diagnostik das DSM-5 (APA, 2013) verwendet. Das DSM verfolgt einen anderen Ansatz für psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter. Es werden, so wie auch bei der Sozialen Angststörung, die Diagnosekriterien für das Erwachsenenalter um Besonderheiten im Kindesalter ergänzt. Auch in der internationalen Forschung werden in Studien bis auf wenige Ausnahmen die Diagnosekriterien des DSM-5 herangezogen. Während in der ICD-10 noch von Sozialer Phobie gesprochen wird, benutzt das DSM die aktuellere Bezeichnung Soziale Angststörung, welche die Sozialen Ängste besser von spezifischen und umgrenzten phobischen Ängsten abgrenzt. Unterschiede zwischen DSM-5 und ICD-10 beziehen sich auf die Notwendigkeit physiologischer Symptome für eine Diagnose nach ICD-10. Da auf der einen Seite Kinder weniger als Erwachsene physiologische Angstsymptome berichten (Siess, Blechert & Schmitz, 2014) und auch Erwachsene mit sozialen Ängsten keine übermäßig starke körperliche Reaktion in sozialen Situationen zeigen (Klumbies, Braeuer, Hoyer & Kirschbaum, 2014), sollte dieses diagnostische Kriterium ggf. nachrangig zur Klassifikation herangezogen werden. Als weiterer wichtiger Unterschied zwischen den Klassifikationssystemen ist im DSM-5 die Einsicht in die Übertriebenheit der sozialen Ängste nicht mehr notwendig für die Diagnosestellung.

      Diagnostische Kriterien für eine Soziale Phobie nach ICD-10 (F40.1)

      A. Entweder 1. oder 2.:

      1. Deutliche Furcht im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen oder sich peinlich oder erniedrigend zu verhalten;

      2. deutliche Vermeidung im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen oder von Situationen, in denen die Angst besteht, sich peinlich oder erniedrigend zu verhalten. Diese Ängste treten in sozialen Situationen auf, wie Essen oder Sprechen in der Öffentlichkeit, Begegnungen von Bekannten in der Öffentlichkeit, Hinzukommen oder Teilnahme an kleinen Gruppen, wie z. B. bei Partys, Konferenzen oder in Klassenräumen.

      B. Mindestens zwei Angstsymptome in den gefürchteten Situationen, mindestens einmal seit Auftreten der Störung wie in F40.0, Kriterium B., definiert, sowie zusätzlich mindestens eins der folgenden Symptome:

      1. Erröten oder Zittern,

      2. Angst zu erbrechen,

      3. Miktions- oder Defäkationsdrang bzw. Angst davor.

      C. Deutliche emotionale Belastung durch die Angstsymptome oder das Vermeidungsverhalten. Einsicht, dass die Symptome oder das Vermeidungsverhalten übertrieben oder unvernünftig sind.

      D. Die Symptome beschränken sich ausschließlich oder vornehmlich auf die befürchteten Situationen oder auf Gedanken an diese.

      E. Häufigstes Ausschlusskriterium: Die Symptome des Kriteriums A. sind nicht bedingt durch Wahn, Halluzinationen oder andere Symptome der Störungsgruppen organische psychische Störungen (F20-F29), affektive Störungen (F30-F39) oder eine Zwangsstörung (F42.-) oder sind nicht Folge einer kulturell akzeptierten Anschauung.

      A. Ausgeprägte Furcht oder Angst vor einer oder mehreren sozialen Situationen, in denen die Person von anderen Personen beurteilt werden könnte. Beispiele hierfür sind soziale Interaktionen (z. B. Gespräche mit anderen, Treffen mit unbekannten Personen), beobachtet zu werden (z. B. beim Essen oder Trinken) und vor anderen Leistungen zu erbringen (z. B. eine Rede halten). Beachte: Bei Kindern muss die Angst gegenüber Gleichaltrigen und nicht nur in der Interaktion mit Erwachsenen auftreten.

      B. Betroffene befürchten, dass sie sich in einer Weise verhalten könnten oder Symptome der Angst offenbaren, die von anderen negativ bewertet werden (d. h. die beschämend oder peinlich sind, zu Zurückweisung führen oder andere Personen kränken).

      C. Die sozialen Situationen rufen fast immer eine Furcht- oder Angstreaktion hervor.

      Beachte: Bei Kindern kann sich die Furcht oder Angst durch Weinen, Wutanfälle, Erstarren, Anklammern, Zurückweichen oder die Unfähigkeit, in sozialen Situationen zu sprechen, ausdrücken.

      D. Die sozialen Situationen werden vermieden oder unter intensiver Furcht oder Angst ertragen.

      E. Die Furcht oder Angst geht über das Ausmaß der tatsächlichen Bedrohung durch die soziale Situation hinaus und ist im soziokulturellen Kontext unverhältnismäßig.

      F. Die Furcht, Angst oder Vermeidung ist andauernd; typischerweise über 6 Monate oder länger.

      G. Die Furcht, Angst oder Vermeidung

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