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sogar die Form des Staats verändert wurde; die Reichen, welche sich mit der größten Härte an die Schuldgesetze hielten und nicht das Geringste nachlassen wollten, bekamen nicht nur ihr Geld nicht, sondern büßten noch andere Vorteile ein; weil sie nie davon überzeugt werden konnten, dass grenzenlose Armut das gewaltsamste Ungeheuer wird und dass die Verzweiflung in ihrem Gefolge, zumal wenn sie die Überzahl auf ihre Seite bekommt, unkontrollierbar wird. Weshalb denn auch viele Staatsmänner gleich aus freien Stücken das Billige dem strengsten Recht vorziehen. Denn gar oft unterliegt das Letztere der menschlichen Natur und wird zuweilen gänzlich aufgehoben, während jenes Geringes opfert, um die größere Masse zu retten. Diese Härte der Mächtigeren gegen die Schwächeren hat den Römern viel Unheil gebracht. Noch manches andere war ihnen gegen die säumigen Schuldner nach den Gesetzen gestattet. Wenn es mehrere Gläubiger gab, durften sie den Schuldner in Stücke zerhauen und je nach dem Betrag ihrer Schuld unter sich verteilen. Wenn dies auch ganz gesetzlich war, so wurde es doch nie angewendet. Wie hätten sie sich auch eine solche Grausamkeit erlaubt, sie, die selbst bei Verbrechern oft noch den Rettungsweg öffneten und die vom Capitolinischen Felsen Gestürzten, wenn sie davonkamen, am Leben ließen?

      36. Im Jahr der Stadt 261 (493 v.Chr.).

      Die Verschuldeten stellten, nachdem sie einen Hügel besetzt hatten, einen gewissen Gaius Sicinius an die Spitze; sie versorgten sich aus der Umgebung mit Lebensmitteln wie aus Feindesland, indem sie damit zeigten, dass die Waffen mehr als die Gesetze, die Verzweiflung mehr als das Recht vermögen. Die Väter aber [d.h. die Senatoren], die einen noch schwierigeren Kampf und unter den gegenwärtigen Umständen zugleich einen Angriff der Nachbarn fürchteten, boten ihnen durch eine Gesandtschaft an, all ihren Wünschen nachkommen zu wollen. Anfangs nun führten sie dreiste Reden, wurden aber auf seltsame Weise zur Ruhe gebracht. Wie sie nämlich so ohne Ordnung durcheinanderschrien, bat sie einer der Abgeordneten, [Menenius] Agrippa, eine Erzählung anzuhören, erhielt Aufmerksamkeit und sprach so: »Die anderen Körperteile des Menschen empörten sich einst wider den Magen: Sie selbst äßen und tränken nicht und hätten stets Mühe und Arbeit, ihm alle Dienstleistungen zu verrichten, er allein hätte keine Beschwernisse und ließe sich nur immer mit Speise füllen; endlich beschlossen sie, weder die Hände sollten die Speise zum Mund führen, noch der Mund sie annehmen, damit der Magen, der Speise und des Tranks ermangelnd, zugrunde ginge. Wie dies aber beschlossen und ausgeführt wurde, geriet erst der ganze Körper ins Stocken, dann fiel er ab und wurde ganz matt. Als die Glieder nun übel dabei fuhren, erkannten sie allesamt, dass von ihm auch ihr Heil abhinge, und gaben ihm seine Speise wieder.«

      Aus diesem Vortrag überzeugte sich die Menge, dass die Mittel der Reichen auch die Armen erhielten, ließ sich berichten und versöhnte sich, da sie Nachlass der Zinsen und der Pfandrückgabe erlangt hatte und dasselbe durch einen Senatsbeschluss bestätigt wurde.

      37. Die Sache schien außerhalb des menschlichen Bereichs zu liegen, und viele andere teils mit, teils gegen ihren Willen […]. Wenn viele sich zusammentun und eine Überlegenheit erringen, so sind sie vermittels eines klugen Einverständnisses für den Augenblick äußerst kühn, trennen sie sich aber, so wird der eine unter diesem, der andere unter jenem Vorwand zur Strafe gezogen. – Von Natur sind die meisten gegen ihre Amtsgenossen feindselig; denn es fällt schwer, dass viele, zumal wenn sie ein Amt bekleiden, zusammenstimmen. Alle ihre Kraft wurde zerteilt und aufgehoben; denn es war offenkundig, dass sie nichts ausrichteten, wenn auch nur einer von ihnen Einspruch erhob. Dadurch nämlich, dass sie ihren Posten nur dazu erhielten, um sich dem, der gegen andere Gewalt brauchte, zu widersetzen, wurde derjenige, welcher die Ausführung einer Sache verhinderte, mächtiger als diejenigen, welche sie betrieben.8

      38. Coriolanus. 261 (493 v.Chr.).

      Ein gewisser Marcius Coriolanus schlug nach einer glänzenden Waffentat gegen die Volsker, als er vom Konsul mit viel Geld und Gefangenen beschenkt wurde, alles andere aus und begnügte sich mit einem Kranz und einem Streitross, unter den Gefangenen erbat er sich einen, der sein Freund war, und man ließ ihn frei.

      39. Im Jahr der Stadt 263 (491 v.Chr.).

      Denn nicht leicht besitzt einer in allem gleiche Stärke, gleiches Geschick in Angelegenheiten des Kriegs und des Friedens. So sind die körperlich Starken gewöhnlich schwachen Geistes; was plötzlich errichtet wurde, pflegt nicht lange zu blühen. So wurde er, von seinen Mitbürgern zu den ersten Ehrenstellen gehoben und bald darauf verbannt. Er, der die Stadt der Volsker seiner Vaterstadt unterworfen hatte,9 brachte diese dagegen mit der Hilfe jener in die äußerste Gefahr.

      40. Im Jahr der Stadt 263 (491 v.Chr.).

      Als er sich um die Prätur bewarb und sie nicht erhielt, war er erbost auf das Volk; und da er gegenüber den viel vermögenden Tribunen aufsässig war, sprach er sich mit größerem Freimut aus, als ihm in Vergleich mit den anderen, die sich gleicher Verdienste zu rühmen hatten, zukam. Als eine große Hungersnot eintrat und Siedler in die Stadt Norbae geführt werden sollten, klagte das Volk wegen beidem die Vornehmen an, dass es durch sie der Nahrung beraubt und geflissentlich dem sicheren Verderben mitten unter den Feinden preisgegeben werde. Denn wo man sich einmal gegenseitig beargwöhnt, wird alles, was auch zum Besten geschieht, aus Parteienhass falsch gedeutet, und Coriolan, der auch sonst wohl dasselbe geringschätzig behandelt hatte, war dagegen, dass das Getreide, welches von den Königen in Sizilien unentgeltlich gesandt worden war, wie sie es verlangten, verteilt werden sollte. Die Volkstribunen, deren Macht er vor allem zu vernichten strebte, klagten ihn beim Volk an, als trachte er nach der Alleinherrschaft und verbannten ihn; obgleich alle Patrizier dagegen schrien, und sich entrüsteten, dass das Volk sich eines solchen Urteils wider einen der Ihrigen vermessen sollte.

      41. Aus dem Vaterland verbannt, ging er, in der Erbitterung über seinen Fall, zu den Volskern, obgleich sie seine ausdrücklichen Feinde waren. Er hatte sich als tapferer Mann bewährt und wartete wegen seines Ingrimms gegen seine Mitbürger auf günstige Aufnahme, indem er Hoffnung gab, dass er den Römern gleichen oder noch größeren Schaden zufügen würde, als ihn die Volsker erlitten hatten; denn der Mensch erwartet von denen, die ihm das größte Übel angetan haben, auch die größten Vorteile, wenn sie ihm nützen wollen und können.

      Denn er war sehr aufgebracht, dass sie sich, während das eigene Land in Gefahr war, nicht einmal des fremden Besitzes begeben wollten. Aber auch diese Botschaft machte auf die Männer keinen Eindruck; so verstockt hatte sie der Parteienhass gemacht, dass sie selbst angesichts der größten Gefahren nicht an Versöhnung dachten.

      42. Die Frauen aber, Coriolans Gattin Volumnia und seine Mutter Veturia, kamen unter einem Gefolge der angesehensten Römerinnen mit seinen Kindern zu ihm ins Lager; sie vermochten ihn aber nicht nur nicht zur Versöhnung mit seinem Vaterland, sondern nicht einmal zur Rückkehr zu bewegen. Er ließ sie, sobald er von ihrer Ankunft erfuhr, vor sich und erlaubte ihnen zu sprechen. Dies geschah auf folgende Weise: Die anderen schwiegen und weinten, Veturia aber sprach: »Was wunderst du dich, mein Sohn? Was bist du überrascht? Wir sind keine Überläufer, uns sendet das Vaterland – hörst du – als deine Mutter, deine Gattin, deine Kinder, wenn nicht als deine Beute. Zürnest du jetzt noch weiterhin, so töte uns als Erste. Hörst du uns? Was wendest du dich ab? Weißt du nicht, dass wir aufhörten, über das Schicksal der Stadt zu wehklagen, um dich zu sehen? Versöhne dich mit uns und höre auf, deinen Mitbürgern, deinen Freunden, den Tempeln zu zürnen. Falle nicht mit feindlichem Ungestüm über die Stadt her; belagere nicht die Vaterstadt, in der du geboren und erzogen wurdest und dir den großen Namen Coriolanus erwarbst. Gehorche mir, Sohn, lass mich nicht unerhört von dir scheiden, auf dass du mich nicht durch eigene Hand vor dir gemordet siehst.

      43. Mit diesen Worten weinte sie laut auf, zerriss ihr Kleid, entblößte ihre Brüste und lief auf ihren Leib zeigend: »Dieser hat dich geboren, Sohn, diese dich gesäugt!« Indem sie so sprach, brachen seine Gattin, seine Kinder und die anderen Frauen in Wehklagen aus, sodass auch er ergriffen war. Jetzt hielt er nicht mehr an sich, er umarmte und küsste die Mutter, indem er sprach: »Siehe Mutter, ich gehorche dir. Du besiegst mich, dir mögen’s auch alle anderen danken. Denn nicht anschauen mag ich sie, die so viele Wohltaten mir so vergalten. Nie kehre ich in die Stadt zurück. Du aber freue dich, da du’s so willst, auch an meiner statt des Vaterlands. Ich aber gehe weit von dannen!« Damit erhob er sich; und nahm aus Furcht vor dem Volk und aus Scham vor

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