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      Howard Steenpool hatte plötzlich etwas Kühles, Metallisches im Genick, und eine süße, weiche Stimme nahm mir jede Sorge hinsichtlich des Steckbriefes ab.

      »Wenn Sie sich rühren, schieße ich,« sagte Wera Zubanoff … »Mr. Abelsen, binden Sie ihn … Er ist ein großer Schwindler.«

      Gowins schreckliches Geheul in der Wolfsgrube übertönte Weras schrillen Schrei. Steenpool hatte ihr durch einen Fausthieb nach rückwärts die Waffe aus der Hand geschlagen.

      Als vierter mischte sich jetzt der alte Giljake Chedee ein.

      2. Kapitel

       Die Fürstin Zubanoff

       Inhaltsverzeichnis

      … Der Bruder Athanasius bringt mir das Frühstück, und sein braunes gutmütiges Gesicht drückt wie immer tiefstes Staunen aus, weil ich jeden Morgen in meiner Zelle so und so viele Bogen von dem schönen gelblichen Papier vollschreibe.

      Wenn ich den Blick hebe, sehe ich rechts die schroffen Felswände mit ein paar armseligen Palmen, links den Klostergarten mit uralter Steinmauer. Noch weiter links den Friedhof dieses ältesten Klosters der Welt, von dem die Überlieferung besagt, an dieser Stelle habe sich einst der Garten Eden, das Paradies befunden:

      Das Herz der Welt!

      Es ist ein weiter Weg von Sachalin zu den kahlen, hellen Gebirgsmassen am Roten Meer – bis zum Kloster St. Antonius, dem ältesten der Christenheit. Es war ein Weg so sehr abseits der Heerstraße des Alltäglichen, daß ich nicht weiß, wo ich dieses Stück meiner jüngsten Vergangenheit beginnen, wie ich es für mich in Worte kleiden soll. Es ist zu viel des Romantischen, zu viel rein Menschliches dabei. Wo Leidenschaften aufeinanderprallen, wird das Alltägliche zum Abenteuer und das Bedeutungslose zu wilden Szenen.

      Hier inmitten dieser tausendjährigen Mauern in einem Raum, der nur dem Schemel Platz bietet, ruhe ich aus von den vielen Wochen der Seelennot und der Sorgen um andere.

      Bruder Athanasius erzählt mir von der reichen Rosinenernte dieses Jahres, und er berechnet, wie viel Kirchenwein man gewinnen würde, und – er raucht dabei, er raucht immer, seine Pfeife geht nur aus, wenn die Glocke zu den Andachten ruft.

      Zuweilen, wenn ich nachts schlaflos daliege und dem fernen Krächzen der zahllosen Raben lausche, die in den Klüften der weißen Abhänge nisten, erscheint mir alles wie ein wirrer Traum. Ich habe die Weltstadt Kairo, Metropole Ägyptens, Sammelpunkt reicher Nichtstuer, so nahe – – und doch so fern. Was besagen einhundertvierzig Kilometer?! Aber die Wälle und Klüften des ödesten aller Gebirge liegt zwischen St. Antonius und Kairo, keine gebahnte Straße, kein Schienenstrang sind in der Nähe, Touristen kommen selten hierher, und die Einsamkeit dieses weiten Hochtales hat mich wieder gesund gemacht.

      Auch die, mit denen ich hierher kam, sind entschwunden, ausgelöscht aus meinem Dasein. Ich bin abermals ganz auf mich selbst gestellt, und das Gefühl war mir stets Quelle der Kraft, unversiegter wie die Klosterquelle dort drüben, die den Garten und die Felder bewässert und vielleicht dazu beitrug, die Mär vom Garten Eden hierher zu verlegen.

      – Athanasius, einer der jüngeren der coptischen Mönche, ist gegangen, hat die Holztür leise zugedrückt und mich meinen Gedanken und Erinnerungen überlassen.

      Ich überlese die letzten Sätze und finde da den Namen Chedee.

      Ja, der Giljake Chedee mit seiner verrosteten doppelläufigen Vorderladerflinte kam Howard Steenpool zu Hilfe, obwohl dies gar nicht mehr nötig gewesen wäre. Steenpool stand schon allein seinen Mann, und Wera Zubanoff blieb schließlich nur ein Weib, mochte sie auch noch so sehr Tigerin spielen.

      Chedee ist ein mittelgroßer Kerl mit mächtigem Brustkorb und schmierigem, bräunlichem, faltigem, fast bartlosem Gesicht. Alles an ihm ist schmierig, und er trägt das graue Haar nach Giljakenart zum Zopf geflochten und verachtet im Sommer jede Kopfbedeckung.

      Es ist Juni und die schönste Jahreszeit für Nordostsachalin. Im August setzen schon die Fröste ein, die Nebel kommen früher, eigentlich bleiben sie nie aus.

      Chedee bevorzugt Robbenfelle als Stoff für seinen praktischen Anzug. Er hat sogar ein Hemd unter dem Jagdrock, und unter dem Hemd sieht man die behaarte Brust. Niemals sieht man ihn ohne seine Hunde. Bisweilen hat er fünf, bisweilen acht oder sieben, je nach dem die Bärenjagd seine vierbeinigen Helfer verminderte.

      Ob Chedee oder Gowin der Stärkere ist, die Frage bleibt offen. Jedenfalls hat Chedees brutaler Griff die Lage entschieden, und Wera schrie zum zweiten Male auf.

      Wera, geborene Baronin Ginnström, kann sich rühmen, daß ich sie sprachlos anstarrte, nachdem ich hochgeschnellt war und mich umgedreht hatte. Chedee fesselte ihr bereits die Hände auf dem Rücken und Steenpool sagte mißbilligend: »Sie sollten mich doch kennen, Fürstin …!! Mich erschreckt man nicht durch ein solches Spielzeug!« Und er versetzte der Pistole einen Fußtritt.

      Meine Landsmännin Wera war vielleicht die bestgewachsene Frau, die ich je sah. Alles an ihr war Ebenmaß und selbstbewußte, kraftvolle Schönheit.

      Ihr vor Ingrimm gerötetes, sonngebräuntes Gesicht erinnerte mich entfernt an eine berühmte spanische Tänzerin. Eine so kühne, scharfe Nase, so merkwürdig klare, leuchtende Augen in einem schmalen Antlitz mußten jeden Mann fesseln, und der Mund glich einer Rosenknospe, die von Dornen gehütet wird.

      Weras Blick ruhte voller Verachtung auf Steenpool, angeblich Oberinspektor, also Detektiv. Hatte Steenpool nicht eingestreut, daß er das Zuchthaus von Battersea in den Vereinigten Staaten kenne?! Ein merkwürdiger Beamter.

      Merkwürdig wie Chedee, der so trefflich Englisch spricht, merkwürdig wie der lallende Gowin mit der halben Zunge.

      Die Fürstin Zubanoff sagte mit beispiellosem Hochmut: »Sie sind ein armseliger Wicht, Steenpool, Sie sind eine feige schleichende Ratte!«

      »Nein,« sagte er nachsichtig, »ich war nur zu sehr Kavalier, Fürstin. Ich hätte getrost die Handschellen nehmen sollen. Stricke und Riemen sind nichts für Sie. Eisen, Stahl ist sicherer.«

      Ich stehe dabei, wie ein braver Bürger, der nachts plötzlich in eine wilde Diebesjagd verwickelt wird.

      Chedees Mund öffnet sich, und der braune Tabaksaft fliegt zwischen den Zahnlücken hindurch vor Weras Füße. Ein nicht wiederzugebender Ausdruck begleitet diese häßliche Geste der Geringschätzung.

      Steenpool betrachtet den Giljaken lange Zeit und fragt schließlich:

      »Du bist mir eine Neuerscheinung. Wer bist du?«

      Das wundert mich. Steenpool streift hier seit Monaten umher, sonderbar, daß er Chedee nie begegnet ist.

      Gowin heult wieder in seiner Grube, und Steenpool lacht.

      Chedee antwortet mit dem selbstverständlichen Selbstbewußtsein des freien Jägers:

      »Ich bin Chedee, der Giljake.«

      Der Oberinspektor (?) schmunzelt gutmütig. Seine verwaschenen Augen aber strafen das Schmunzeln Lügen.

      »Vielleicht bist du noch mehr, Chedee … Es ist hier ein feiner Vierklee beisammen … Gowin, Abelsen …«

      Er bricht ab, denn Wera Zubanoff hat einen seltsam pfeifenden Ton ausgestoßen und ist gelbgrau geworden und hat große irre Augen.

      Wir sehen sie an, und Steenpool kneift die Lider klein und zieht die Mundwinkel hoch.

      »Aha – Gowin!! Wohl eine Bekanntschaft von Charbin her, Fürstin … War Gowin damals noch in dem Besitz einer vollständigen Zunge?!«

      Die Röte steigt ihr jäh bis zu den Schläfen, und Chedee hustet eigentümlich.

      Wera blickt auf Steenpools Stiefel und sagt nur: »Ihre lächerlichen Trugschlüsse langweilen mich gründlich …«

      Allmählich langweilt auch mich

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