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die eingeschaltete Heizung konnte ihn erwärmen. Es war, als wäre die Kälte in seine Knochen gedrungen.

      Es ging auf halb vier Uhr morgens zu, als die Geschwister Steinhausen und die Villa ihres Vaters erreichten.

      »So, Stefan, du wirst jetzt erst mal ein heißes Bad nehmen«, ordnete Karina an. Sie begleitete ihren Bruder ins Badezimmer, ließ Wasser einlaufen und gab ein paar Tropfen Lavendelöl dazu. Der Duft würde sich vielleicht entspannend und beruhigend auf Stefans angegriffene Nerven auswirken.

      Während ihr Bruder in der Badewanne lag, schlich Karina ins Schlafzimmer ihres Vaters. Sie zögerte einen Moment, bevor sie ihn weckte.

      Schlaftrunken richtete sich Dr. Daniel auf, dann erkannte er seine Tochter.

      »Karina? Was tust du hier denn mitten in der Nacht?« Und dann griff eine eisige Angst an sein Herz. »Ist Stefan etwas passiert?«

      Rasch schüttelte Karina den Kopf. »Keine Angst, Papa, mit Stefan ist alles in Ordnung. Es ist Saskia…« Sie setzte sich zu ihrem Vater aufs Bett. »Stefan wollte sie nach Freiburg begleiten, doch es kam zu einer Meinungsverschiedenheit zwischen ihnen, und Saskia ist blindlings aus dem Auto gesprungen, als Stefan an einer roten Ampel halten mußte. Ein Auto hat sie angefahren.«

      Dr. Daniel erschrak. »Meine Güte, das Mädchen ist schwanger! Ist sie schwer verletzt?«

      Karina nickte. »Ich fürchte, es steht schlimm um sie. Und Stefan ist völlig verzweifelt. Er hält sich für schuldig.«

      Mit einem Satz war Dr. Daniel aus dem Bett.

      »Das ist doch Unsinn!« entgegnete er, während er in seinen Morgenmantel schlüpfte. »Wo ist der Junge?«

      »Im Bad. Er hat so schrecklich gefroren, da dachte ich…«

      »Das war goldrichtig«, fiel Dr. Daniel ihr ins Wort. »Und jetzt geh bitte mal in den Keller. Im Gefrierschrank müßte noch Suppe sein. Stefan braucht etwas Warmes in den Bauch.«

      Karina gehorchte, als Stefan einehalbe Stunde später in einen flauschigen Bademantel gehüllt die Küche betrat, duftete es schon nach kräftiger Fleischbrühe. Stefan bedachte seinen Vater mit einem kurzen Blick, dann setzte er sich an den Tisch. Karina trat zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

      »Na, Stefan, fühlst du dich jetzt besser?« fragte sie leise.

      Stefan schüttelte den Kopf. »Ich friere nicht mehr so wie zuvor, aber sonst…« Er zuckte die Schultern.

      Dr. Daniel nahm inzwischen den Suppentopf vom Herd, füllte einen Teller mit heißer Fleischbrühe und stellte ihn vor Stefan auf den Tisch.

      »Hier, mein Junge, iß das. Das wird dir guttun«, meinte er.

      Doch Stefan schob den Teller zurück. »Ich mag nichts.«

      Er wollte aufstehen, doch Dr. Daniel hielt ihn zurück.

      »Du verläßt den Tisch erst, wenn du das aufgegessen hast«, erklärte er mitBestimmtheit, die keinen Widerspruch zuließ. »Eine Suppe kann in manchen Fällen die beste Medizin sein.«

      Stefan fügte sich ohne weiteren Kommentar, und insgeheim mußte er sich eingestehen, daß ihm die Suppe wirklich guttat. Sie wärmte ihn von innen heraus.

      Dr. Daniel und Karina leisteten ihm beim Essen Gesellschaft, doch das nahm Stefan gar nicht richtig wahr. Seine Gedanken waren bei Saskia.

      »Wenn sie stirbt, ist es meine Schuld«, flüsterte er.

      Da legte ihm Dr. Daniel eine Hand auf den Arm. »Rede dir das nicht ein. Karina hat mir erzählt, was passiert ist. Saskia ist erwachsen. Sie mußte wissen, wie groß die Gefahr ist, wenn sie auf einer belebten Straße einfach das Auto verläßt.«

      Hartnäckig schüttelte Stefan den Kopf. »In diesem Moment nicht. Sie war verärgert über meine Worte und…« Er vergrub das Gesicht in den Händen und schluchzte auf.

      »Onkel Schorsch hat gesagt, daß er ein bißchen schlafen sollte«, flüsterte Karina ihrem Vater zu.

      Dr. Daniel nickte. »Ja, das denke ich auch.« Er stand auf und nahm Stefan beim Arm. »Komm, mein Junge, du legst dich jetzt ins Bett.«

      Doch der junge Mann schüttelte nur den Kopf. »Nein, ich fahre nach München zurück. Ich will bei Saskia sein.«

      »Das kommt jetzt nicht in Frage«, widersprach Dr. Daniel mit Nachdruck. »Du wirst dich ein Weilchen ausruhen. Für Saskia kannst du im Augenblick wirklich nichts tun. Also, mein Sohn, zieh einen Schlafanzug an, und dann mach, daß du ins Bett kommst.«

      »Ach, Papa…«, begann Stefan abwehrend.

      »Widerspruch zwecklos. Komm, Stefan, du mußt jetzt ein bißchen zur Ruhe kommen.«

      »Und wie soll das gehen?« entgegnete Stefan heftig. »Glaubst du, ich kann Saskia einfach vergessen, wenn ich mich ins Bett lege?«

      »Ohne Medikamente bestimmt nicht«, meinte Dr. Daniel. »Hör zu, Stefan, du bekommst von mir ein leichtes Schlafmittel und…«

      »Ich lasse mir aber nichts geben!« fiel Stefan ihm dickköpfig ins Wort.

      »Doch.« Dr. Daniels Stimme wurde eine Spur strenger. »Du hast nämlich gar keine andere Wahl. Du legst dich jetzt ins Bett, und dann werde ich dir eine Spritze geben, haben wir uns verstanden?«

      Stefan blickte in die gütigen Augen seines Vaters und erkannte die eiserne Entschlossenheit, die jetzt darin lag. Mit einem tiefen Seufzer fügte er sich und ging nach oben in sein Zimmer. Als er im Bett lag, unternahm er noch einen letzten Versuch.

      »Kann ich mich nicht einfach so ausruhen?« wollte er wissen. »Ich habe Angst, daß ich nicht wach werde, wenn mit Saskia etwas ist.«

      Beruhigend lächelte sein Vater ihn an. »Ich habe nicht vor, dich zu betäuben. Du sollst nur ein bißchen schlafen. Keine Sorge, Stefan, wenn ein Anruf aus München kommt, dann kriege ich dich schon wach.«

      Stefan seufzte. »In Ordnung, Papa.« Er sah zu, wie Dr. Daniel die Injektion vorbereitete. »Was glaubst du, Papa, wird Saskia wieder gesund werden?«

      Dr. Daniel zuckte die Schultern. »Ich wünschte, ich könnte dir darauf die Antwort geben, die du hören möchtest, aber… ich weiß ja nicht einmal, in welchem Zustand sie war, als sie in die Klinik kam.«

      »Sie war mehr tot als lebendig«, flüsterte Stefan. »Wenn sie stirbt… meine Güte, wenn sie stirbt…«

      »Daran darfst du jetzt nicht denken, Stefan.« Dr. Daniel drückte den Kolben nach oben, bis eine kleine Fontäne aus der Injektionsnadel spritzte, dann trat er an das Bett seines Sohnes. »So, mein Junge, dreh dich bitte zur Seite.«

      Stefan schluckte. »Papa, muß das wirklich sein? Du weißt doch, daß ich vor Spritzen Angst habe.«

      »Und du weißt, daß ich durchaus in der Lage bin, Injektionen schmerzfrei zu setzen«, entgegnete Dr. Daniel ruhig. »Also, komm schon, Stefan. Es tut bestimmt nicht weh.«

      Mit einem tiefen Seufzer fügte sich Stefan, und dann fühlte er wirklich nur einen kaum wahrnehmbaren Stich.

      »Siehst du, Stefan, war doch gar nicht so schlimm«, meinte Dr. Daniel, während er noch mit dem Tupfer das Medikament in kreisförmigen Bewegungen im Muskelgewebe verteilte.

      Und als sich Stefan wieder auf den Rücken legte, bemerkte Dr. Daniel schon, wie seine Lider zu flattern begannen.

      »Ich habe Angst«, brachte er ein wenig mühsam hervor. »Papa, ich habe Angst! Wenn Saskia stirbt… während ich schlafe…«

      Gewaltsam versuchte er sich wachzuhalten. Da beugte sich Dr. Daniel über ihn und hielt ihm beide Arme fest.

      »Schön einschlafen, Stefan.«

      Die warme, tiefe Stimme seines Vaters schien ihn zu beruhigen. Dr. Daniel merkte, wie Stefans Widerstand allmählich nachließ. Stefan konnte die Augen nicht mehr länger offenhalten, die Anspannung fiel von ihm ab. Das Schlafmittel

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