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und Onkel Schorsch operieren seit über einer Stunde«, antwortete Stefan, dann lehnte er sich wie schutzsuchend an seine Schwester. »Meine Güte, wenn sie stirbt… wenn sie stirbt…«

      »Daran darfst du jetzt nicht denken, Stefan«, meinte Karina, während sie sanft durch die dichten dunklen Locken ihres Bruders streichelte. Und Stefan ließ es widerspruchslos geschehen. Es tat ihm viel zu gut, Trost und Wärme zu spüren.

      »Wieso operiert Papa mit Onkel Schorsch?« wollte Karina nach einer Weile des Schweigens wissen. »Soweit ich weiß, hat er doch schon seit Jahren nicht mehr am OP-Tisch gestanden.«

      »Papa ist überzeugt, daß bei Saskia innere Blutungen aufgetreten sind, und er hat Onkel Schorsch mehr oder weniger überredet, noch mal zu operieren… das heißt, ich habe ihn ebenfalls dazu gedrängt. Und ich wollte auch Papa bei dieser Operation dabeihaben.«

      Stefan senkte den Kopf. »Wenn er ihr nicht helfen kann, dann hätte niemand es gekonnt.«

      In diesem Augenblick betrat Dr. Daniel den Flur. Er trug noch den grünen Kittel, den er bei der Operation getragen hatte.

      Stefan sprang auf und ging ihm mit langen Schritten entgegen. Die Angst schnürte ihm förmlich die Kehle zu, und dieses Gefühl verstärkte sich noch, als er die Blutspuren auf dem grünen Kittel entdeckte. Er wußte, daß das völlig normal war, und wenn er als Student bei Operationen hatte zusehen dürfen, dann hatte es ihm auch nichts ausgemacht, doch in diesem Fall ging es schließlich um Saskia.

      Jetzt ergriff Dr. Daniel seine beiden Hände und hielt sie einen Augenblick lang fest.

      »Sie hat die Operation überstanden, Stefan«, erklärte er.

      Stefan atmete auf. Tränen traten ihm in die Augen, doch er schaffte es, sich zu beherrschen. Dennoch schwankte er leicht, und Dr. Daniel erkannte, daß er einem Schwächeanfall nahe war.

      Fürsorglich begleitete er seinen Sohn zu der Bank zurück, auf der Stefan und Karina bis vor kurzem gesessen hatten. Er streichelte seiner Tochter flüchtig über den Kopf, bevor er neben Stefan Platz nahm.

      »Es handelte sich tatsächlich um innere Blutungen«, begann er zu erzählen, »und einige Male stand es buchstäblich auf Messers Scheide, aber Saskia scheint eine eiserne Konstitution zu haben.« Er schwieg einen Moment. »Allerdings… ohne Operation wäre sie wohl innerhalb kürzester Zeit verblutet.«

      Mit einem schmerzvollen Aufstöhnen schlug Stefan beide Hände vors Gesicht. Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich wieder fassen konnte, dann stellte er die Frage, die ihm im Herzen brannte.

      »Wird sie… überleben?«

      Dr. Daniel atmete tief durch. »Das weiß ich nicht, Stefan. Sie hat die Operation zwar überstanden, aber sie schwebt nach wie vor in Lebensgefahr.« Einen Augenblick lang rang er mit sich, ob er Stefan gestehen sollte, daß es ihm und Dr. Sommer nicht mehr gelungen war, das Baby zu retten, ließ es dann aber bleiben. Für Stefan war im Moment nur Saskias Leben wichtig.

      Ein Zittern durchlief Stefans Körper nach diesen Worten, dann brach er in Tränen aus. Dr. Daniel legte einen Arm um seine Schultern und drückte ihn tröstend an sich.

      »Komm, mein Junge, ich bringe dich jetzt nach Hause«, erklärte er leise.

      Doch Stefan wehrte sich. Er wollte hierbleiben.

      In diesem Augenblick kam Dr. Sommer dazu.

      »Ich war im Unrecht«, gab er Dr. Daniel gegenüber offen zu. »Und ich bin froh, daß du mich zu dieser Operation überredet hast.« Dann warf er einen Blick auf Stefan, der mit seinen Nerven ganz offensichtlich am Ende war. »Bring deinen Jungen nach Hause, Robert, und versuch’, ihn ruhigzustellen. Er hat seit gestern abend Entsetzliches durchgemacht. Und für seine Freundin kann er nichts tun. Wir müssen abwarten…«

      Es war, als würden diese Worte Stefan zur Besinnung bringen. Abrupt stand er auf.

      »Ich weigere mich, von hier fortzugehen«, erklärte er, und nichts wies darauf hin, daß er noch vor ein paar Minuten einen Schwächeanfall gehabt hatte. »Ich bleibe bei Saskia, bis sie außer Lebensgefahr ist.«

      Dr. Daniel kannte seinen Sohn gut genug, um zu wissen, daß es ihm ernst damit war, trotzdem unternahm er einen Versuch, ihn umzustimmen.

      »Stefan, du solltest jetzt wirklich ein paar Stunden schlafen. Nachher kannst du…«

      »Nein, Papa, ich bleibe hier«, fiel Stefan seinem Vater ins Wort, dann machte er auf dem Absatz kehrt,ging auf die Türen der Intensivstation zu.

      »Das solltest du ihm nicht durchgehen lassen«, meinte Dr. Sommer. »Er weiß nicht, wie geschwächt er ist.«

      »Ich bleibe bei ihm«, erklärte Karina kurzentschlossen, doch Dr. Daniel schüttelte den Kopf.

      »Du mußt an dein Studium denken, Karina«, erklärte er, dann warf er einen Blick auf seine Armbanduhr. »Ich fürchte, in meiner Praxis wird schon die Hölle los sein, aber Stefan ist im Augenblick wichtiger.« Wieder wandte er sich seiner Tochter zu. »Ruf in der Praxis an, Karina. Frau Kaufmann soll die Termine verlegen. Morgen früh bin ich wieder pünktlich zur Sprechstunde in Steinhausen.«

      Karina nickte. »Geht in Ordnung, Papa.«

      »Das heißt, daß du auch hierbleiben willst«, meinte Dr. Sommer, dann zuckte er ergeben die Schultern. »Von mir aus. Ihr werdet schon wissen, was ihr tut und wieviel ihr aushalten könnt.« Er verabschiedete sich von Dr. Daniel und Karina, dann ging er langsam zur Tür. Auch er hatte schwere Stunden hinter sich und brauchte ein bißchen Ruhe.

      Dr. Daniel sah ihm nach, dann ging er, um sich umzuziehen, bevor er die Intensivstation betrat.

      Stefan saß an Saskias Bett und wandte keinen Blick von ihr. Es

      schien, als hätte er das Eintreten seines Vaters gar nicht bemerkt. Dr. Daniel betrachtete ihn eine Weile, dann wandte er sich einer Schwester zu und bat sie, ein Behelfsbett aufzustellen.

      Die Schwester war bereits informiert worden, daß Dr. Daniel wie ein in der Klinik angestellter Arzt zu behandeln sei, und so führte sie seine Anordnung widerspruchslos aus.

      »Brauchen Sie sonst noch etwas, Herr Doktor?« fragte die Schwester höflich, nachdem sie das Ersatzbett hereingefahren hatte.

      Dr. Daniel nickte. »Ja, mein Sohn muß unbedingt ein paar Stunden schlafen.« Er überlegte kurz und nannte schließlich den Namen eines Medikaments, mit dem er bereits gute Erfahrungen gemacht hatte.

      Die Schwester verschwand erneut und kam wenig später mit der vorbereiteten Spritze zurück. Dr. Daniel bedankte sich, dann trat er zu seinem Sohn, der von alledem offensichtlich nichts mitbekommen hatte.

      »Stefan, du mußt jetzt ein bißchen schlafen«, sprach Dr. Daniel ihn leise an, doch er schüttelte nur seinenKopf.

      Allerdings war Dr. Daniel nicht bereit, so rasch aufzugeben. Sanft, aber dennoch bestimmt nahm er Stefan beim Arm.

      »Komm schon. Ich habe dir hier ein Bett hereinstellen lassen, und ich bleibe hier, solange du schläfst. Sobald sich an Saskias Zustand etwas ändert, wecke ich dich.«

      Stefan seufzte. »Du gibst ja doch keine Ruhe.« Und dabei gestand er sich nur ungern ein, daß er zum Umfallen müde war.

      Er legte sich auf das Bett, und obwohl er normalerweise vor Spritzen eine Heidenangst hatte, sah er jetzt fast teilnahmslos zu, wie sein Vater an seinem Arm eine Vene auswählte und sehr langsam die wasserhelle Flüssigkeit injizierte.

      »Kriegst du mich auch bestimmt wach, wenn etwas passiert?« wollte Stefan nur noch wissen.

      »Ganz bestimmt«, sagte Dr. Daniel. »Mach dir darüber keine Sorgen.«

      Stefan schlief nahezu zehn Stunden, und als er erwachte, sah er, daß sein Vater von der Müdigkeit übermannt worden war. Mit einem Blick auf die Monitoren stellte Stefan fest, daß bei Saskia keine Veränderung eingetreten war. Sie stand noch immer an der Schwelle zwischen Leben und Tod.

      Stefan

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