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Geste legte Dr. Daniel ihm eine Hand auf den Arm. »Das ist vorbei, Stefan. Saskia ist außer Lebensgefahr, und auch wenn es noch eine Weile dauern wird… ich bin sicher, daß sie wieder ganz gesund wird.« Er schwieg kurz, dann meinte er: »So, mein Junge, jetzt iß erst mal in aller Ruhe, und dann geh unter die Dusche, und mach wieder einen Menschen aus dir.«

      Stefan nickte. »In Ordnung, Papa.« Er fuhr fort zu frühstücken, doch die Nervosität war ihm deutlich anzusehen. Und so war es kein Wunder, daß er bereits eine halbe Stunde später abfahrbereit war. Man sah ihm die durchwachten Nächte und die ausgestandene Angst und Sorge noch immer an, aber wenigstens erkannte man ihn jetzt wieder.

      Voll gespannter Erwartung betrat Stefan an der Seite seines Vaters die Intensivstation, doch an dem Bild der letzten Tage hatte sich nichts geändert. Saskia lag nach wie vor im Bett, und nur das Blinken der Monitore zeigte an, daß sie lebte. Allerdings waren alle Werte angestiegen. Stefan und Dr. Daniel konnten sich also mit eigenen Augen davon überzeugen, daß Saskia am Leben bleiben würde. Jetzt mußte sie nur noch aufwachen.

      *

      Doch die Tage verstrichen, ohne daß sich an Saskias Zustand etwas änderte. Alle Körperfunktionen waren intakt, trotzdem erwachte sie nicht aus ihrer Bewußtlosigkeit. Dr. Sommer stand vor einem Rätsel.

      »Das gibt es doch einfach nicht«, erklärte er zum soundsovielten Mal. »Sie atmet, ihr Herz schlägt, ihr Gehirn arbeitet… ich bin sogar ziemlich sicher, daß sie uns hören kann. Warum, zum Teufel, wacht sie nicht auf?«

      Es gab keine Erklärung für dieses Koma, und Dr. Sommer konnte sich noch so oft mit dem Fall beschäftigen, er kam auf keinen grünen Zweig. Saskia Felber blieb ohne Bewußtsein.

      Für Stefans Nerven wurden diese Tage zu einer wahren Zerreißprobe, und er war froh, daß er nie ganz allein bei Saskia war. Dr. Daniel, Karina und Dr. Daniels Schwester Irene wechselten sich regelmäßig ab, um Stefan in dieser schweren Zeit nicht sich selbst zu überlassen.

      Aber die Tage vergingen, und bei Saskias Zustand trat keine Änderung ein. Dr. Sommer ordnete an, daß sie von der Intensivstation auf die normale Station verlegte werden solle. Sie kam in ein ruhiges Einzelzimmer, von wo aus sie einen herrlichen Blick auf den Klinikpark mit seinen vielen Bäumen und Blumen gehabt hätte – wenn sie endlich aufgewacht wäre.

      Doch dieses trostlose Bild änderte sich nicht. Stunde um Stunde, Tag um Tag lag Saskia bewußtlos in ihrem Bett.

      Stefan hatte sich nach einem ernsten Gespräch mit seinem Vater entschlossen, wieder die Vorlesungen zu besuchen. Er würde es schwer haben, aber wenn er fleißig war, dann war es durchaus möglich, daß er das Examen trotz der vielen verlorenen Tage noch schaffen würde. Doch obwohl sich Stefan bemühte, hielt sich seine Konzentration in Grenzen. Er schaffte es nicht, Saskia aus seinen Gedanken zu verbannen, und so hielt er sich nach wie vor die meiste Zeit bei ihr auf. Er redete mit ihr, weil er der festen Meinung war, Saskia könnte ihn hören.

      »Gestern abend war ich in Steinhausen«, erzählte er. »Seltsam, noch vor ein paar Wochen hat es mich überhaupt nicht dorthin gezogen, aber jetzt… es hat mir gutgetan, mit Papa über dich zu sprechen.« Er schwieg kurz. »Ich verdanke ihm unheimlich viel. Nicht allein, daß er dir praktisch das Leben gerettet hat… ohne meinen Vater wäre ich in der Zeit, als du auf Leben und Tod dagelegen hast, vor die Hunde gegangen. Er hat mich zum Essen und zum Schlafen gezwungen, und manchmal habe ich ihn für seine Strenge nahezu gehaßt, aber jetzt… im Nachhinein betrachtet, bin ich ihm unendlich dankbar. Er hat dafür gesorgt, daß ich nicht zusammengebrochen bin.«

      Stefan seufzte, dann streichelte er liebevoll über Saskias dichtes, lockiges Haar.

      »Warum wachst du denn nicht endlich auf, Saskia?« fragte er leise, und in seiner Stimme klang Verzweiflung mit. »Du mußt meine Liebe doch spüren… sie sollte dir Kraft geben.« Von einer plötzlichen Schwäche ergriffen, ließ er seinen Kopf auf das Bett sinken, in dem Saskia lag.

      Er sah erst wieder auf, als sich die Zimmertür öffnete. Es war Karina.

      »Noch immer keine Veränderung?« erkundigte sie sich teilnahmsvoll.

      Stefan schüttelte den Kopf. »Seit drei Wochen liegt sie jetzt hier. Drei Wochen…« Er fuhr sich mit einer Hand über die Stirn – eine Geste, die seine ganze Niedergeschlagenheit widerspiegelte. »Wenn das so weitergeht, werde ich noch verrückt.«

      Mitfühlend legte Karina ihm eine Hand auf die Schulter.

      »Irgendwann wird sie wieder zu sich kommen, Stefan. Daran mußt du fest glauben.«

      Stefan seufzte wieder und lehnte sich wie haltsuchend an seine Schwester.

      »Der Glaube kann Berge versetzen«, murmelte er. »Glaubst du daran?«

      Karina antwortete nicht gleich.

      »Ich weiß es nicht«, erklärte sie dann ehrlich. »Aber ich glaube an Gott. Und ich bin sicher, daß er Saskias Leben nicht gerettet hat, um sie jetzt auf ewig im Zustand des Komas bleiben zu lassen.«

      Stefan blickte zu ihr auf. »Komisch, früher habe ich das nie bemerkt, aber… du hast die seltene Begabung, Menschen wieder aufzurichten. Ich glaube, von uns beiden wärst du die bessere Ärztin.«

      »Ach was«, wehrte Karina bescheiden ab. »Ich bin überzeugt von dem, was ich sage. Und wenn es dir ein bißchen Mut macht – um so besser.«

      »Du hast mir wirklich wieder Hoffnung gemacht«, erklärte Stefan.

      Doch diese Hoffnung hielt nicht lange an. Nur wenige Tage später war Stefan so niedergeschlagen wie nie zuvor. Die nervliche Anspannung, der er seit Wochen unterlag, schien langsam zuviel für ihn zu werden.

      »Stefan, du mußt ein bißchen zur Ruhe kommen«, erklärte Dr. Daniel wieder einmal. Mindestens zweimal am Tag kam er nach München, um nach seinem Sohn zu sehen.

      Mit dunkel umschatteten Augen schaute Stefan seinen Vater an.

      »Ach, Papa, wie stellst du dir das vor?« fragte er niedergeschlagen. »Glaubst du, ich könnte Saskia auch nur für eine Minute aus meinen Gedanken verbannen?« Er schüttelte den Kopf. »Ich muß hier bleiben.«

      Mitfühlend legte Dr. Daniel ihm eine Hand auf die Schulter. »Das verstehe ich ja, Stefan, aber du gehst mit Riesenschritten auf einen Zusammenbruch zu. Was du seit Saskias Unfall durchgemacht hast, hält niemand unbeschadet aus.«

      Stefan brachte ein ansatzweises Lächeln zustande. »Ich bin zäh, Papa, das weißt du doch.«

      Dr. Daniel sah ein, daß er hier nichts ausrichten konnte. Mit einer Hand fuhr er durch die dichten Locken seines Sohnes.

      »Stefan, Junge, ich will nicht, daß du dich hier kaputt machst.«

      »Keine Sorge, Papa, ich weiß schon, was ich aushalten kann.«

      Doch genau das bezweifelte Dr. Daniel ernsthaft. Er machte sich große Sorgen um seinen Sohn, stand der Angelegenheit aber entsetzlich hilflos gegenüber. Mit Medikamenten ließ sich hier nichts ausrichten. Stefan mutete sich einfach zuviel zu, und Dr. Daniel konnte nichts dagegen tun. Er wußte, daß seinem Sohn nur eines helfen konnte: Saskia mußte endlich aus dem Koma erwachen.

      *

      An einem klirrend kalten Januartag kündigte sich die Geburt von Marina Schermanns Baby an. Die junge Frau war gerade aufgestanden, um sich die Beine ein bißchen zu vertreten – das einzige, was Dr. Sommer und der Stationsarzt Dr. Heider ihr erlaubt hatten. In diesem Moment verspürte sie einen eigenartigen Schmerz, der langsam begann, sich steigerte und dann wieder abflaute. Es war genau so, wie die Hebamme, die Dr. Sommer ihr zur Geburtsvorbereitung geschickt hatte, den Wehenschmerz beschrieben hatte.

      »Oh, verdammt«, murmelte Marina. »Ich glaube, mein Baby kommt.«

      Ihre Bettnachbarin Helga Kaindl richtete sich auf. »Jetzt schon? Ist es nicht noch zu früh?«

      Marina nickte. »Doch. Zwei Wochen.« Sie kehrte langsam in ihr Bett zurück und drückte dann auf die Klingel, mit der man eine Schwester rufen konnte.

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