Скачать книгу

Verkehrsunfall. Der Fahrer eines Kleinbusses miß­achtete die Vorfahrt und rammte den Wagen eines älteren Ehepaares. Der Mann war sofort tot, und die Frau trug schwere Verletzungen davon, trotzdem gibt es in dieser Beziehung keine nennenswerten Probleme mehr. Ich möchte sogar sagen, daß wir an ihr ein kleines Wunder vollbracht haben. Frau Kufner wird wieder ohne irgendwelche Beeinträchtigungen gehen können, obwohl gerade die Beine sehr in Mitleidenschaft gezogen worden sind…«

      »Kufner?« fiel Dr. Daniel ihm ins Wort. »Sie sprechen doch wohl nicht von Gertraud Kufner aus Steinhausen?«

      Dr. Breuer nickte. »Doch, Herr Daniel, genau von dieser Dame spreche ich. Kennen Sie sie?«

      »Kennen wäre übertrieben. Sie war vor Jahren einmal bei mir in der Sprechstunde, später haben wir uns nur noch beim Einkaufen oder in der Kirche mal gesehen«, entgegnete Dr. Daniel. »Der Tod ihres Mannes macht mich aber doch sehr betroffen. Soweit ich das beurteilen konnte, führten die beiden eine ausgesprochen glückliche Ehe. Sie verreisten auch oft gemeinsam, soweit ich informiert bin.«

      »Das stimmt, und das alles macht es auch so schwierig«, fuhr Dr. Breuer fort. »Sehen Sie, Herr Daniel, Frau Kufners körperlicher Zustand ist so gut, daß wir sie noch in dieser Woche entlassen könnten, aber ihr psychischer Zustand läßt das nicht zu. Seit dem Tod ihres Mannes sieht sie in ihrem Leben keinen Sinn mehr und wird von Tag zu Tag depressiver.«

      Dr. Daniel verstand, was Dr. Breuer ihm damit sagen wollte.

      »Wenn sich die beiden Frauen anfreunden würden, dann wäre vielleicht beiden geholfen«, sprach er die Gedanken des Chefarztes aus. »Frau Köster hätte jemanden, der ihre Hilfe nicht nur dringend brauchen, sondern sie wahrscheinlich auch annehmen würde, und Frau Kufner täte es gut, eine so resolute Frau wie Johanna Köster zur Freundin zu haben.«

      Dr. Breuer nickte. »Genau das denke ich auch. Aber natürlich müßten wir mit beiden Frauen vorher darüber sprechen.«

      »Das ist klar«, stimmte Dr. Daniel zu. »Ich werde mir jetzt zuerst mal Frau Köster vornehmen.« Er seufzte leise. »Trotz Ihrer Idee fürchte ich, daß mir kein angenehmes Gespräch bevorsteht.«

      *

      Johanna Köster freute sich sehr über Dr. Daniels Besuch. Der Arzt war ihr ausgesprochen sympathisch, und es beruhigte sie, daß Sandra bei ihm in Behandlung war.

      »Wie geht es Ihrem Fuß?« wollte Dr. Daniel wissen, während er sich einen Stuhl an Johannas Bett zog.

      »Ausgezeichnet, Herr Doktor. Ich fühle mich so gut, daß ich eigentlich schon entlassen werden könnte. Aber davon will der Chefarzt noch gar nichts hören.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß gar nicht, warum er mich hier so lange festhält.«

      Dr. Daniel errötete ein wenig. Wenn Johanna auch nur ahnen würde, daß er die eigentliche Ursache für ihren Krankenhausaufenthalt war, dann würde sie ihm sicher nicht mehr so aufgeschlossen gegenüberstehen.

      Dann konzentrierte er sich wieder auf das Problem, das er mit Johanna Köster zu besprechen hatte. Er räusperte sich, strich sich flüchtig durch das dichte blonde Haar und setzte dann eine sehr ernste Miene auf.

      »Frau Köster, ich muß mit Ihnen über Ihren Sohn und Ihre Schwiegertochter sprechen«, begann er.

      Johanna erschrak zutiefst. »Sind sie krank? Oder… meine Güte, kann Sandra nicht schwanger werden, weil in ihrem Körper… ich meine… geht es ihr denn so schlecht?«

      »Nein, Frau Köster, ganz im Gegenteil. Ihre Schwiegertochter ist kerngesund. Der Grund, daß sie nicht schwanger wird, liegt ganz woanders – nämlich im seelischen Bereich.«

      Johanna schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht glauben, Herr Doktor. Horst und Sandra führen eine ganz ausgezeichnete Ehe, und ich verstehe mich mit den Kindern ausgesprochen gut. Sie sind mein ein und alles, und das wissen sie auch.«

      Dr. Daniel begann zu begreifen, weshalb Horst Köster sich zu keinem klärenden Gespräch mit seiner Mutter hatte durchringen können. Sie war so felsenfest davon überzeugt, nur das Beste für ihren Sohn und ihre Schwiegertochter zu tun, daß es äußerst schwierig sein mußte, sie vom Gegenteil zu überzeugen, ohne sie damit zu verletzen. Und das wollte Dr. Daniel ja in jedem Fall verhindern. Johanna Köster mußte selbst einsehen, daß sie Horst und Sandra mehr Freiraum lassen mußte. Und dann kam Dr. Daniel plötzlich eine Idee.

      »Hatten Sie eigentlich eine Schwiegermutter?« wollte er wissen.

      Johanna lachte auf. »Ja, und was für eine! Meine Güte, was ging mir diese Frau auf die Nerven! Vor allem nach dem Tod meines Schwiegervaters. Stellen Sie sich vor, Herr Doktor, sie hat meinen Mann und mich täglich besucht. Und dann hat sie sich ständig in unsere Ehe eingemischt. Nichts konnte ich ihr recht machen. Ob es nun ums Kochen, Putzen oder um Horsts Versorgung ging – alles wußte sie besser. Und dabei behauptete sie auch noch, sie würde es nur gut meinen, aber…« Johanna stockte mitten im Satz. Erschrecken und eine Spur Entsetzen breiteten sich auf ihren Zügen aus. »Herr Doktor… bin ich etwa… auch so?«

      Dr. Daniel fühlte in diesem Moment so viel Mitleid mit dieser Frau, daß er am liebsten beruhigend den Kopf geschüttelt und ihr versichert hätte, daß sie das genaue Gegenteil ihrer Schwiegermutter sei, doch damit wäre weder Horst und Sandra noch Johanna selbst geholfen gewesen.

      »Ja, Frau Köster«, antwortete er leise. »So leid es mir tut, aber ich muß Ihnen gestehen, daß Sie Ihrer eigenen Schwiegermutter sehr ähnlich sind.«

      Tränen traten Johanna jetzt in die Augen. »Heißt das, daß ich… Horst und Sandra auf die Nerven falle?«

      Wie tröstend griff Dr. Daniel nach Johannas Hand. »Es ist viel schlimmer, Frau Köster. Ihre Schwiegertochter leidet so sehr unter Ihrer Bevormundung, daß sie nicht schwanger werden kann, wobei in diesem Fall die Tatsache, daß sie Sie liebt, noch erschwerend hinzukommt«

      In diesem Augenblick begann Johanna hilflos zu schluchzen

      »Nein«, brachte sie mühsam hervor. »Sie liebt mich ganz bestimmt nicht. Hassen wird sie mich… ja, hassen.«

      Spontan nahm Dr. Daniel die weinende Frau in die Arme und streichelte tröstend ihren Rücken, bis sie sich langsam wieder beruhigen konnte.

      »Hören Sie zu, Frau Köster«, erklärte er dann eindringlich. »Bei einem Menschen, den man haßt, fällt es sehr leicht, ihm zu sagen, daß er einem auf die Nerven geht. Einem Menschen, den man liebt, sagt man so etwas nicht, weil man ihn nicht verletzen will. Ich weiß also ganz sicher, daß Ihr Sohn und Ihre Schwiegertochter Sie über alles lieben. Aber Tatsache ist nun mal, daß Ihre Schwiegertochter allmählich auf eine schwere Psychose zusteuert, und das gibt Anlaß zu großer Sorge.«

      Johanna nickte. »Das heißt also, daß ich nach Stuttgart zurück muß.« Wieder rollten Tränen über ihre Wangen.

      Doch jetzt lächelte Dr. Daniel. »Nein, Frau Köster, ich glaube nicht, daß Sie eine so große Entfernung zwischen sich und Ihre Kinder legen müssen. Ich bin sogar ziemlich sicher, daß Sie weiterhin in Steinhausen bleiben können. Dr. Breuer und ich haben da nämlich eine ganz ausgezeichnete Idee.«

      Fragend sah Johanna Köster zu dem gütig lächelnden Arzt auf.

      »Hier in der Klinik befindet sich eine Frau, die vor einigen Wochen bei einem Verkehrsunfall ihren Mann verloren hat«, fuhr Dr. Daniel fort. »Sie selbst wurde bei diesem Unfall schwer verletzt und geriet durch den Verlust ihres Mannes in eine tiefe Depression. Der körperliche Zustand von Frau Kufner würde nun erlauben, sie noch diese Woche zu entlassen, doch Dr. Breuer fürchtet, daß die Frau immer weiter in ihr seelisches Tief rutschen wird.« Dr. Daniel machte eine kleine Pause. »Was halten Sie davon, wenn Sie sich um diese Frau ein wenig kümmern? Ich bin sicher, Frau Kufner würde sich freuen, eine… sagen wir mal eine etwas resolute Freundin an ihrer Seite zu haben, und sie läßt sich auch bestimmt gern ein bißchen von Ihnen verwöhnen. Wahrscheinlich braucht sie das sogar, um wieder völlig gesund zu werden.«

      Ein Lächeln stahl sich auf Johannas Gesicht.

      »Ja«, antwortete

Скачать книгу