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erklärte er dann, weil er seine Schwester ja doch liebte und ihr schlecht sagen konnte, wie es nach fast sechs Wochen, die sie jetzt bei ihm verbrachte, wirklich in ihm aussah. »Schließlich kenne ich dich ja schon seit deiner Geburt, und da gewöhnt man sich an vieles.«

      Martha schnappte hörbar nach Luft. »Du hast ein Gefühl wie eine Dampfwalze! Aber keine Angst, allzu lange falle ich dir nicht mehr zur Last.«

      Pfarrer Wenninger schwieg und hoffte, daß seine Schwester keine leeren Versprechungen machte.

      *

      Nach nur drei Wochen war Sandra Köster mit ihrer Kraft am Ende. War in Stuttgart das Zusammenleben mit ihrer Schwiegermutter schwierig gewesen, so gestaltete es sich jetzt zur Katastrophe. Mit ungebrochener Vehemenz mischte sie sich in sämtliche Angelegenheiten des jungen Ehepaars. Das fing beim Kochen an und endete beim Aufhängen eines Bildes. Wenn Horst zu Hause war, dann versuchte Johanna zumindest, sich zurückzuhalten, doch kaum fuhr ihr Sohn zur Arbeit, dann konnte Sandra keinen Schritt mehr tun, ohne von Johanna kontrolliert zu werden.

      »Warum putzt du denn jetzt die Küche? Ich habe immer zuerst die Treppe saubergemacht.«

      »Du willst schon wieder Gulasch kochen? So gern mag Horst es nun auch wieder nicht.«

      So ging es den ganzen Tag. Und dabei brachte Johanna nichts in bösem oder gar feindseligem Ton hervor. Alles, was sie sagte, klang freundlich, trotzdem brachte es Sandra fast zur Weißglut.

      »Ich halte das nicht mehr aus«, beklagte sie sich eines Abends, als sie neben Horst im Bett lag. Das Schlafzimmer war der einzige Ort, an dem sich das junge Ehepaar mal ungestört unterhalten konnte. »Deine Mutter gängelt mich wie ein kleines Kind.«

      »Sie meint es doch nicht böse, Sandra«, versuchte Horst seine Frau zu besänftigen.

      »Ich weiß, aber ich bin neunundzwanzig und durchaus in der Lage, einen Haushalt zu führen.«

      Horst seufzte. »Gut, ich werde bei Gelegenheit mit ihr darüber sprechen.«

      Doch Sandra wußte, daß diese Gelegenheit für ihren Mann niemals kommen würde. Man hätte Johanna buchstäblich mit der Nase auf die Fehler, die sie machte, stoßen müssen, und dazu war Horst einfach zu gutmütig.

      Und Sandra gestand sich ein, daß es ihr nahezu ebenso ging. Bei einer bösen, hartherzigen Frau hätte es ihr nichts ausgemacht, einmal gehörig Radau zu schlagen, doch bei Johanna war das einfach nicht möglich. Wahrscheinlich würde sie in Tränen ausbrechen, wenn sie auch nur ahnen würde, wie schwer sie ihrer Schwiegertochter das Leben machte.

      Aber es muß sich etwas ändern, dachte Sandra. So kann es auf keinen Fall weitergehen, wenn sie mich nicht zugrunde richten soll.

      *

      Seit mehr als einer Stunde lag Birgit Hertle im Bett und konnte keinen Schlaf finden. Die Schmerzen in ihrem Unterleib waren zu bohrend, und sie war sicher, daß sie morgen früh wieder Blut in ihrem Slip finden würde.

      Neben sich hörte sie die ruhigen, gleichmäßigen Atemzüge ihres Mannes Frank, und nur mit Mühe konnte Birgit einen Seufzer unterdrücken. Frank ahnte nicht einmal, was mit ihr los war… welche Ängste sie seit Wochen ausstand.

      Aber mit irgend jemandem muß ich darüber sprechen, dachte Birgit schon zum soundsovielten Mal, und jedesmal, wenn die Schmerzen kamen, nahm sie sich ganz fest vor, einmal mit ihrer Schwester zu reden. Monika war die einzige, zu der sie das nötige Vertrauen hatte, um über so intime Dinge zu sprechen.

      Doch wenn die Schmerzen dann abgeklungen waren, schob Birgit auch das Gespräch immer wieder hinaus und redete sich ein, daß alles nicht so schlimm sei und bestimmt von allein irgendwann abklingen würde.

      Aber morgen fahre ich ganz bestimmt zu Monika, nahm sich Birgit insgeheim fest vor. Ich muß wissen, ob es bei ihr genauso ist.

      Wieder wälzte sich Birgit auf die andere Seite und warf einen Blick auf den kleinen Wecker auf ihrem Nachttischchen. Ein Uhr morgens!

      Die Schmerzen ließen langsam nach, und Birgit wußte aus Erfahrung, daß sie bis in einer halben Stunde etwa wieder völlig schmerzfrei sein würde. Und wenn sie morgen früh die Blutspuren beseitigte, dann war alles wieder in Ordnung – bis zum nächsten Mal.

      Allmählich dämmerte Birgit in einen leichten Schlaf, aus dem sie wenige Stunden später hochschreckte, als Franks Wecker klingelte.

      »Schlaf weiter, Liebes«, flüsterte Frank und küßte sie zärtlich, dann stand er auf und ging leise ins Bad hinüber. Wenig später hörte Birgit die Dusche rauschen, während Frank ein fröhliches Lied vor sich hin pfiff.

      Alles könnte so schön sein, mußte Birgit unwillkürlich denken. Wir haben ein hübsches Haus, keinerlei Geldsorgen, und wir lieben uns noch wie am ersten Tag. Wenn nur diese schrecklichen Schmerzen nicht wären.

      Mit einem tiefen Seufzer stand sie auf und ging in die Küche hin­über, um für Frank und sich das Frühstück zu richten.

      »Biggi, warum bist du schon auf?« fragte Frank überrascht. »Meine Güte, es ist doch erst halb sechs.«

      Birgit winkte ab. »Ich konnte nicht mehr schlafen.« Sie zögerte. »Frank, könntest du heute ausnahmsweise mit dem Rad zur CHEMCO fahren? Ich würde Moni gern besuchen.«

      Frank nickte. »Klar. Grüß sie schön von mir.« Er setzte sich an den gedeckten Tisch und bestrich eine Scheibe Toast mit Butter und Honig. »Moni und Karsten könnten uns eigentlich auch mal wieder besuchen. Es ist bestimmt schon drei Wochen her, seit sie das letzte Mal hier waren.«

      Birgit lächelte. »Wir könnten ja auch mal zu ihnen fahren.«

      »Ach, was soll ich denn dort?« widersprach Frank. »In der kleinen Stadtwohnung erdrückt man sich ja gegenseitig. Und dann die beiden lebhaften Kinder… nein, nein, es ist besser, wenn sie zu uns kommen. Da können Sabine und Christoph im Garten herumtoben. Das macht denen doch viel mehr Spaß.«

      »Du hast recht«, stimmte Birgit zu. »Ich werde Moni einladen, wenn ich heute bei ihr bin.«

      »Prima.« Frank warf einen kurzen Blick auf seine Armbanduhr. »Himmel, ich muß mich ja beeilen. Der alte Bergmann ist sehr auf Pünktlichkeit bedacht.« Er schlüpfte in seine Jacke, zog dabei eine Grimasse. »Er zahlt zwar nicht viel, dafür stehen aber Überstunden an der Tagesordnung.«

      »Warum suchst du dir nicht endlich eine andere Stelle?« fragte Birgit, während sie ihn zur Tür begleitete. »Du bist ein erstklassiger Chemiker, Frank. Jede Firma würde dich mit Kußhand nehmen.«

      »Ich weiß«, seufzte Frank. »Aber bequemer als bei der CHEMCO könnte ich es gar nicht haben. Mit dem Auto bin ich in ein paar Minuten dort, und mit dem Rad fahre ich höchstens eine Viertelstunde. Und im Prinzip ist eine Chemiefabrik wie die andere.« Dann beugte er sich zu Birgit hinunter und küßte sie zum Abschied. »Bis heute abend, Liebling.«

      Birgit sah ihm noch nach, bis er an der Hauptstraße rechts abbog, dann kehrte sie ins Haus zurück und räumte den Frühstückstisch ab, bevor sie ins Bad ging. Sie ließ sich Zeit mit allem – wahrscheinlich, um das Gespräch mit Monika so lange wie möglich hinauszuzögern. Fast bereute sie ihren Entschluß von letzter Nacht schon, und für einen Augenblick war sie versucht, die Fahrt nach München doch bleiben zu lassen. Andererseits wußte sie ja, daß die Schmerzen wiederkommen würden, und als sie das Blut in ihrem Slip sah, festigte sich ihr Entschluß wieder. Sie mußte mit Monika sprechen.

      Eine halbe Stunde später war sie auf dem Weg nach München. Der Berufsverkehr, der jetzt verstärkt einsetzte, ließ teilweise nur Schritttempo zu, doch heute störte es Birgit nicht. Sie war sogar froh, daß es so langsam voranging. Auf diese Weise blieb ihr noch eine Art Galgenfrist.

      Aber schließlich erreichte sie doch das große Mietshaus, in dem ihre Schwester wohnte. Birgit warf einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett. Kurz nach acht. Das bedeutete, daß Sabine und Christoph schon in der Schule waren. Mit einem tiefen Seufzer stieg Birgit aus und drückte nach kurzem Zögern auf den Klingelknopf neben dem Schildchen Beck.

      »Ja,

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