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Ich bin ja verheiratet.«

      »Ein netter Kerl, dein Chris«, urteilte Ahilleas. »Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden.«

      Ein glückliches Leuchten huschte über Leandras Gesicht. »Ich liebe ihn sehr.« Dann wurde sie ernst. »Und ich habe schon oft bereut, daß ich ihn in den ganzen Wochen, die ich hier lag nicht zu mir ließ. Er mußte doch denken, daß ich ihn nicht mehr mag, und dabei hatte ich solche Sehnsucht nach ihm. Aber ich wollte nicht, daß er mich sterben sieht…«

      »Das weiß er«, meinte Ahilleas. »Chris ist viel feinfühliger, als du zu wissen scheinst. Wir haben vor ein paar Tagen lange miteinander gesprochen. Er weiß genau, wie es in dir ausgesehen haben muß.«

      Leandra atmete auf. Sicher, Christian hatte ihr in den letzten Tagen immer wieder versichert, daß er verstand, weshalb sie ihn nicht in ihrer Nähe geduldet hatte, doch sie hatte insgeheim vermutet, er würde nur aus Rücksicht so sprechen.

      Ahilleas warf einen Blick auf seine Uhr. »So, jetzt werde ich in mein Zimmer zurückgehen.« Er hätte Leandra gern auf die Stirn oder auf die Wange geküßt, doch das durfte er im Augenblick nicht, und so sagte er nur: »Schlaf gut, und mach dir keine Sorgen. Es wird alles gut.«

      *

      Am nächsten Morgen fand dann endlich die geplante Knochenmarktransplantation statt. Dr. Daniel hatte sich den Vormittag von Terminen freigehalten, um bei der Operation anwesend sein zu können. Und Professor Thiersch hatte ihm ohne Zögern die erste Assistenz übertragen.

      Es war für Dr. Daniel ein ungewohntes Gefühl, nach so vielen Jahren wieder an einem Operationstisch zu stehen, doch was man bei Professor Thiersch einmal gelernt hatte, das vergaß man nie mehr im Leben. Auch bei Dr. Daniel war es so. Die Arbeitsweise des Professors war ihm noch immer so vertraut, als hätte er erst gestern mit ihm im OP gestanden.

      »So, das war’s«, erklärte der Professor, nachdem er das benötigte Knochenmark aus Ahilleas’ Brustbein angesaugt hatte. Dann wandte er sich Dr. Daniel zu. »Machen Sie sich wieder keimfrei, und kommen Sie dann auf die Isolierstation – Zimmer 5.«

      Als Dr. Daniel den Raum betrat, war Professor Thiersch schon damit beschäftigt, die Infusion anzu­schließen. Mit großen Augen sah Leandra ihm zu, dann suchte ihr Blick Dr. Daniel.

      »Wie geht es meinem Bruder?« wollte sie wissen.

      »Er schläft noch, und vermutlich wird er so ziemlich den ganzen Tag verschlafen«, antwortete Dr. Daniel lächelnd. »Aber keine Sorge, mit Ihrem Bruder ist alles in Ordnung.«

      Leandra atmete auf, doch Dr. Daniel spürte, daß sie noch etwas auf dem Herzen hatte. Er trat näher zu ihr, und sehr gern hätte er ihre Hand genommen, um ihr ein wenig Geborgenheit zu vermitteln, doch im Augenblick durfte Leandra keinen näheren Kontakt zu anderen Menschen haben. Wenn sie in ihrem jetzigen Zustand auch nur einen Schnupfen bekommen würde, könnte es für sie den Tod bedeuten.

      »Nun, Frau Schütz, was wollen Sie noch von mir wissen?«

      Wieder richtete Leandra den Blick ihrer großen blauen Augen auf Dr. Daniel.

      »Glauben Sie, daß ich jetzt gesund werde… und ein Baby haben kann?« fragte sie, und in ihrer Stimme klang ein wenig Angst mit.

      Dr. Daniel zögerte. Er war sich der Anwesenheit des Professors nur zu bewußt. Doch dann schob er alle Bedenken beiseite. Dem jungen Mädchen mußte Mut gemacht werden.

      »Ja, Frau Schütz, ich bin sicher, daß Sie gesund werden«, meinte er. »Und Sie werden auch ein Baby haben, wenn Sie erst die Strapazen der letzten Zeit überwunden haben.«

      Professor Thiersch warf ihm einen kurzen Blick zu, enthielt sich aber jeglichen Kommentars, dann richtete er sich auf.

      »So, Frau Schütz, das Schlimmste haben Sie bald überstanden«, meinte er. »Und wenn sich Ihr Blut normalisiert hat, dann können Sie wieder in Ihr altes Zimmer zurück.«

      »Wann darf ich denn nach Hause?« wollte sie wissen.

      »Na, da gedulden Sie sich mal noch ein bißchen«, erklärte Professor Thiersch­, dann verließ er das Zimmer, während sich Dr. Daniel einen Stuhl ans Bett zog und sich setzte.

      »Professor Thiersch will ganz sichergehen«, erklärte er. »Er wird Sie erst dann entlassen, wenn er Sie für geheilt hält. Aber keine Sorge, das wird nicht mehr allzu lange dauern. Das Knochenmark Ihres Bruders wird sich schnell vermehren und gesunde Blutzellen bilden.«

      »Glauben Sie, daß ich Weihnachten nach Hause kann?«

      Dr. Daniel rechnete kurz nach, dann nickte er. »Ja, Frau Schütz, ich denke schon.«

      *

      Schon nach den ersten Wochen bemerkte Silvia Burgner, daß sich ihr Leben von Grund auf ändern würde – doch es war eine angenehme Veränderung. Gleich nachdem sie aus der Klinik gekommen war, war sie über Annas Anwesenheit sehr froh gewesen, denn es war gar nicht daran zu denken, daß sie ihre Pflichten gleich wieder in vollem Umfang aufnehmen konnte. Und Anna half auf so unscheinbare Weise, daß Silvia sich überhaupt nicht eingeengt fühlte.

      Und so dauerte es auch nicht lange, bis sich zwischen den beiden Frauen eine intensive Freundschaft entwickelt hatte. Schon längst waren sie zum vertrauten Du übergegangen, und Silvia stellte mit großer Freude fest, daß sie plötzlich mehr Zeit für ihre Kinder hatte. Und auch ihren kleinen Hobbys wie Stricken und Lesen konnte sie des öfteren nachgehen, weil Anna ihr einen großen Teil der Hausarbeit abnahm.

      Trotzdem konnte sich zumindest Anna nicht rückhaltlos über das Ganze freuen. Irgendwie rechnete sie noch immer damit, daß sie das Haus der Burgners eines Tages wieder würde verlassen müssen.

      Eine Woche vor Weihnachten faßte sie sich dann ein Herz und sprach das Thema an. Und sie stellte dabei fest, daß Silvia und Richard schon darauf gewartet hatten.

      »Wie soll das mit uns nun eigentlich weitergehen?« wollte Anna wissen, und die Angst griff ihr dabei mit eisiger Hand ans Herz.

      Silvia und Richard wechselten einen Blick.

      »Darüber haben wir auch schon nachgedacht«, gab Silvia offen zu.

      »Ja, und ich glaube, wir haben eine Lösung gefunden«, fügte Richard mit einem sanften Lächeln hinzu.

      Der liebevolle Ton, in dem Richard mit ihr sprach, wärmte Annas Herz immer wieder aufs neue. Und plötzlich wußte sie, daß sie sich umsonst Sorgen gemacht hatte. Silvia und Ri­chard würden sie nicht mehr wegschicken – niemals mehr.

      »Wir möchten das Dachgeschoß unseres Hauses ausbauen«, fuhr Ri­chard jetzt fort. »Auf diese Weise hättest du dein eigenes Reich, wenn du dich mal zurückziehen möchtest. Schließlich braucht doch jeder von uns einen gewissen Freiraum, nicht wahr?«

      Ein strahlendes Lächeln erhellte Annas Gesicht. »Dann darf ich also wirklich bei euch bleiben?«

      »Natürlich«, bekräftigte Richard. »Was hattest du denn gedacht?«

      Silvia schlug in die gleiche Kerbe. »Unser aller Leben ist doch viel ausgefüllter geworden, seit wir zusammen sind.«

      Anna ließ die Worte in sich nachklingen. Ja, Silvia hatte recht. Ihr Leben war jetzt wirklich ausgefüllt. Sie hatte nach dreiunddreißig Jahren endlich wieder das Gefühl, gebraucht zu werden, und das war das Schönste, was es auf dieser Welt gab.

      *

      Zwei Tage vor Weihnachten gab Professor Thiersch endlich grünes Licht für Leandra. Sie durfte nach Hause, doch der Chefarzt schärfte ihr ein, sich noch sehr zu schonen.

      »Aber ich werde gesund bleiben…, ich werde leben, oder?« fragte Lean­dra, die durch diese Bemerkung schon wieder verunsichert worden war. Sie konnte noch immer nicht so recht an ihre Heilung glauben.

      Professor Thiersch nickte. »Ja, Frau Schütz, Ihr Blut ist gesund, und ich bin sicher, daß es das auch bleiben wird.« Mit einer Herzlichkeit, die er nur äußerst selten zeigte, ergriff er Lean­dras Hand. »Ich wünsche Ihnen alles

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