Скачать книгу

hatte Inge Herzog am Bett ihrer Tochter Platz genommen. Mit brennenen Augen betrachtete sie das Mädchen, das sie zuletzt als Neugeborenes gesehen hatte – ein paar Minuten lang, dann hatte man es ihr weggenommen.

      »Leandra«, flüsterte sie und streichelte sanft über das zarte Gesicht.

      »Mutti«, erwiderte Leandra mit zitternder Stimme, dann bedeckte sie ihr Gesicht mit den Händen. »Ausgerechnet so mußt du mich sehen. Schläuche überall und dann… meine Haare…, ich hatte so schönes Haar…«

      Inge versuchte, ihre Tochter in die Arme zu nehmen, was bei den vielen Infusionsschläuchen, die aus ihrem Arm hingen, gar nicht so einfach war.

      »Mach dir darüber keine Gedanken, Liebling«, meinte sie. »Du bist doch mein Kind.« Und dann konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. »O Gott, ich hatte solche Sehnsucht nach dir. All die Jahre habe ich dich so entsetzlich vermißt.« Prüfend sah sie ihre Tochter an. »Hattest du es gut?«

      Leandra nickte voller Überzeugung. »Mama und Papa waren immer sehr lieb zu mir.«

      Inge atmete auf. »Dann ist es gut. Und wenn du erst gesund bist, dann ziehst du zu uns und…«

      »Mutti«, fiel Leandra ihr ins Wort. »Ich bin verheiratet.«

      Inge konnte ihre Überraschung nicht verbergen. »Verheiratet? Aber… du bist doch erst achtzehn! Ein halbes Kind noch!«

      Lächelnd schüttelte Leandra den Kopf. »Nein, Mutti, ein Kind bin ich nicht mehr. Und das mit der Hochzeit…« Sie wurde ernst. »Ich hatte mir auch alles anders vorgestellt, aber meine Krankheit…, ich wollte noch Mutter werden, bevor ich sterbe.« Sie tastete nach Inges Hand. »Aber jetzt bist du da. Jetzt darf ich weiterleben.«

      Inge wich ihrem Blick aus. Der Professor hatte ihr gesagt, daß sie als Spenderin nicht geeignet sei, doch das durfte sie Leandra nicht sagen, um ihren gerade neugewonnenen Lebenswillen nicht wieder zu zerstören. Und so zwang sie sich, ihre Tochter anzulächeln.

      »Ja, Liebes, jetzt wird alles gut.«

      Und dabei schickte sie ein Stoßgebet zum Himmel, daß mit Ahilleas’ Hilfe Leandras Leben doch noch gerettet werden konnte.

      *

      Am Sonntagvormittag bekam Silvia Burgner Besuch von ihrem Mann, den beiden Kindern und Anna Deichmann. Voller Herzlichkeit ergriff Silvia die Hand der Frau.

      »Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll, Frau Deichmann«, erklärte sie. »Wenn Sie nicht so selbstlos…«

      »Ach was«, wehrte Anna bescheiden ab. »Ich habe doch ohnehin nichts zu tun. Und die beiden Kleinen sind so lieb und brav – da macht die Arbeit doppelt Spaß.« Sie schwieg kurz, dann gestand sie: »Und Sie können sich gar nicht vorstellen, wie schön es ist, endlich mal wieder gebraucht zu werden.«

      Sie nahm Tanja und Stefan bei der Hand. »So, ihr zwei, wir werden die Mami und den Papi jetzt mal ein bißchen allein lassen. Hinter der Klinik soll es einen wunderschönen Park geben, da könnt ihr ein bißchen herumtoben. Vielleicht bringen wir auch einen Schneemann zustande, wenn wir alle zusammen helfen.«

      »Au fein!« jubelte Tanja, dann zog sie Anna an der Hand hinter sich her – so schnell, daß der kleine Stefan Mühe hatte, Schritt zu halten.

      Richard und Silvia sahen ihnen noch nach, dann wandte sich Richard seiner Frau zu und küßte sie zärtlich.

      »Ich weiß gar nicht, was wir ohne Frau Deichmann tun würden«, erklärte er. »Sie ist eine herzensgute Frau, und sie kann mit den Kindern so gut umgehen – erstaunlich, wenn man bedenkt, daß sie nie eigene Kinder hatte. Und kochen kann sie wirklich ausgezeichnet.«

      »Na, na, soll das vielleicht heißen, daß ich nicht kochen kann?« Silvia spielte die Beleidigte nur, und Richard kannte sie gut genug, um das zu wissen, trotzdem spielte er mit.

      »Aber, Liebes, du bist doch meine Meisterköchin!« versicherte er. »Und ich freue mich schon, wenn du endlich wieder zu Hause bist.«

      Silvia wurde ernst. »Ach, Richard, wenn ich das alles nur schon hinter mir hätte. Ich habe entsetzliche Angst vor dieser Operation. Wenn mir nun recht häßliche Narben bleiben?«

      Liebevoll nahm Richard sie in die Arme. »Keine Angst, mein Schatz, die machen so etwas sicher nicht zum ersten Mal. Und selbst wenn Narben bleiben würden – glaubst du, daß ich dich deswegen weniger lieben werde? Schließlich habe ich dich doch nicht wegen deiner Brust geheiratet.«

      Silvia lächelte ihn an. »Das hast du lieb gesagt.« Sie seufzte. »Dr. Scheibler hat mir auch schon xmal versichert, daß die Narben erfahrungsgemäß gut verheilen, aber ich habe trotzdem Angst.«

      In diesem Moment klopfte es, dann schaute Dr. Daniel zur Tür herein.

      »Darf ich stören?« fragte er lächelnd.

      Richard stand auf und kam ihm entgegen. »Natürlich, Herr Doktor.« Er reichte ihm die Hand. »Jetzt kann ich mich noch mal persönlich für Ihre Hilfe bedanken. Am Donnerstag hatte ich es ja leider sehr eilig, um ins Büro zu kommen.« Er schwieg einen Moment, dann fügte er leise hinzu: »Wenn Sie nicht auf die Idee gekommen wären, Frau Deichmann zu uns zu schicken…«

      Dr. Daniel winkte ab. »So eine große Heldentat war das nun auch wieder nicht. Es wurden lediglich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Frau Deichmann ist nicht mehr so einsam, und Sie können Ihrer Arbeit nachgehen, ohne sich um die Kinder sorgen zu müssen.« Dann wandte er sich Silvia zu. »Und wie fühlen Sie sich?«

      »Gerade habe ich mit meinem Mann darüber gesprochen«, gestand Silvia. »Ich habe entsetzliche Angst vor der Operation. Glauben Sie, daß da Narben bleiben?«

      Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Darüber sollten Sie sich wirklich keine allzu großen Gedanken machen, Frau Burgner. Gerade eine Quadrantenresektion, wie sie bei Ihnen durchgeführt werden soll, verläuft meistens ohne merkliche Narbenbildung. Ihre Brust wird lediglich ein bißchen kleiner werden.«

      »Na siehst du«, meinte Richard.

      Silvia seufzte. »Das hat mir Dr. Scheibler auch schon gesagt, aber…« Sie zuckte die Schultern. »Es ist wahrscheinlich ganz normal, daß man vor einer Operation Angst hat, oder?«

      Dr. Daniel nickte. »Da haben Sie recht. Und ich kann Ihnen versichern, daß Sie bei Professor Thiersch in den besten Händen sind.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »So, ich muß wieder los. Ich habe hier noch eine andere Patientin, die ich besuchen muß.« Er gab Silvia die Hand. »Alles Gute für morgen, Frau Burgner. Und in ein paar Tagen sehen wir uns bei mir in der Praxis zur Nachuntersuchung.«

      Dr. Daniel verabschiedete sich auch von Richard Burgner, dann verließ er das Zimmer und eilte den Flur entlang. Auf halbem Weg kam ihm Professor Thiersch entgegen.

      »Und?« fragte Dr. Daniel sofort. »Was ist herausgekommen?«

      Doch Professor Thiersch ging gar nicht erst darauf ein. »Wie geht’s Frau Burgner?«

      Dr. Daniel war verwirrt. Das einzige, was ihn jetzt interessierte, war, ob Ahilleas als Spender geeignet wäre. Heute mittag war er auf dem Münchner Flughafen eingetroffen, und Dr. Daniel hatte es sich nicht nehmen lassen, ihn – natürlich in Inge Herzogs Begleitung – persönlich abzuholen.

      Natürlich hatte es für Ahilleas kein Zögern gegeben. Ohne viele Vorreden hatte er sich sofort bereit erklärt, seiner Schwester Knochenmark zu spenden.

      »Ich war nie sehr glücklich als Einzelkind«, hatte er gemeint. »Ich werde also alles tun, um mir meine Schwester zu erhalten.«

      »Ich habe gefragt, wie es Frau Burgner geht«, wiederholte Professor Thiersch hartnäckig.

      »Gut. Sie hat Angst vor der Operation, aber…« Er stockte, dann begehrte er auf. »Das ist im Moment doch völlig unwichtig. Ich will endlich wissen…«

      »Ich weiß genau, was Sie wissen wollen«, fiel Professor Thiersch ihm ins Wort. »Aber ich werde Sie

Скачать книгу