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      »Deine Gesundheit geht allemal vor, Silvia«, erklärte er leise. »Mach dir keine Sorgen. Ich schaffe das schon irgendwie.«

      Dabei war sein Gesichtsausdruck nicht gerade dazu angetan, sich keine Sorgen zu machen.

      »Gibt es niemanden, der Ihre Kinder tagsüber versorgen kann?« fragte Dr. Scheibler.

      Richard Burgner schüttelte den Kopf. »Im Augenblick sind sie bei unserer Nachbarin, aber die ist über siebzig. Zwei kleine Kinder über längere Zeit zu betreuen, ist einfach zuviel für sie.«

      »Und… keine Großeltern in der Nähe?«

      Wieder schüttelte Richard den Kopf. »Ich selbst bin im Waisenhaus aufgewachsen, und meine Schwiegereltern sind seit vielen Jahren tot. Wir haben keine Verwandtschaft, Herr Doktor, und bisher waren wir ganz froh darüber. Man spart sich eine Menge Ärger.« Der kleine Scherz, den er versucht hatte, mißlang gründlich. Niemand konnte darüber auch nur lächeln. Dazu war die Lage viel zu ernst.

      »Wie alt sind Ihre Kinder denn?« wollte Dr. Scheibler wissen. Ihm war der Gedanke gekommen, daß die Burgner-Kinder tagsüber vielleicht hier betreut werden konnten. Womöglich gingen sie ja schon zur Schule, waren also bereits einen halben Tag beschäftigt und die restliche Zeit…

      »Zwei und vier«, antwortete Ri­chard.

      Im selben Moment verwarf Dr. Scheibler seinen Plan wieder. Kinder in diesem Alter brauchten nahezu rund um die Uhr jemanden. So etwas konnte er den Schwestern hier nicht zumuten. Sie hatten ohnehin Arbeit genug.

      »Herr Doktor«, mischte sich Silvia jetzt ein. »Könnte ich denn nicht gleich operiert werden? Ich habe gestern abend zum letzten Mal etwas gegessen.« Sie zuckte die Schultern. »Damit würden wir doch ein paar Tage gewinnen.«

      »Ich glaube, das ändert nicht viel an dem grundsätzlichen Problem«, befürchtete Dr. Scheibler. »Außerdem muß zuerst die Mammographie gemacht werden. Bis wir die Aufnahmen haben, vergeht ein Tag. Wir könnten also frühestens am Freitag operieren, aber so etwas macht der Chefarzt nur in Notfällen, weil über das Wochenende nur ein Arzt in der Klinik ist.«

      »Aber bei uns wäre es doch ein Notfall«, meinte Silvia.

      Dr. Scheibler mußte lächeln. »Sie kennen den Herrn Professor nicht. Der versteht unter einem Notfall etwas völlig anderes.«

      »Und wenn ich nach der Mammographie nach Hause fahre und am Montagfrüh wiederkomme?« schlug Silvia vor, doch auch diesmal schüttelte Dr. Scheibler den Kopf.

      »Tut mir leid, Frau Burgner, aber da spielt der Chef nicht mit«, meinte er. »Wir brauchen Zeit für die Operationsvorbereitung. Wenn Sie am Montag operiert werden wollen, müssen Sie hierbleiben.«

      Silvia senkte den Kopf. »Wie groß ist die Möglichkeit, daß der Tumor bösartig wird?«

      Dr. Scheibler umging eine direkte Antwort. »Ich weiß, woran Sie denken, aber da muß ich Ihnen dringend abraten. Mit einer solchen Geschichte ist nicht zu spaßen, und weder ihrem Mann noch Ihren Kindern wäre geholfen, wenn Sie die Operation jetzt ablehnen und in einem halben Jahr mit Krebs hierher zurückkommen.«

      Silvia und Richard tauschten einen Blick, dann hob Richard hilflos die Schultern.

      »Deine Gesundheit ist wichtiger«, wiederholte er. »Bleib hier in der Klinik, Silvia. Ich schaffe es schon irgendwie.«

      *

      Völlig niedergeschlagen kam Christian Schütz zu Dr. Daniel in die Praxis. Die erstaunten Blicke der im Wartezimmer sitzenden Patientinnen störten ihn nicht weiter. Seine Gedanken beschäftigten sich nur mit Leandra und der Tatsache, daß er ihren Zwillingsbruder einfach nicht finden konnte.

      »Sie müssen sich ein wenig gedulden«, meinte die freundliche Sprechstundenhilfe. »Dr. Daniel muß sich erst um seine Patientinnen kümmern.«

      Christian nickte. »Das ist ja klar. Außerdem habe ich viel Zeit – mehr als genug.«

      Es wurde dann auch fast Mittag, bis die letzte Patientin gegangen war und Christian ins Sprechzimmer gerufen wurde. Er begrüßte Dr. Daniel, dann ließ er sich mit einem tiefen Seufzer auf einen der beiden Sessel fallen, die vor dem Schreibtisch standen.

      »Ich kann nicht mehr«, stöhnte er leise auf. »Herr Doktor, ich weiß nicht weiter. Dieser Ahilleas bleibt unauffindbar, und Leandra verfällt von Tag zu Tag mehr. Seit sie die Hoffnung auf ein Baby aufgeben mußte, sieht sie in ihrem Leben keinen Sinn mehr. Dabei behauptet Professor Thiersch, daß die Medikamente bei ihr gut anschlagen, aber solange der Lebenswille fehlt…« Er zuckte hilflos die Schultern, dann wurden seine Augen feucht. »Und mich will sie auch nicht mehr sehen.«

      »Ich weiß, Herr Schütz«, entgegnete Dr. Daniel. »Professor Thiersch hat mich gestern angerufen. Und ich selbst bin sogar noch einmal zu Fürst Bernhard nach Schloß Hoheneck gefahren, aber er empfängt mich nicht mehr. Und ich glaube auch nicht, daß er Ahilleas’ derzeitigen Aufenthaltsort kennt.« Dr. Daniel seufzte. »Ich fürchte, wir stecken in einer Sackgasse, und nur der Zufall kann uns jetzt noch helfen.«

      Mit brennenden Augen sah Christian ihn an. »Glauben Sie daran?«

      »Wenn ich ehrlich bin – nein«, antwortete Dr. Daniel. »Wir haben wirklich alles versucht, und es ist ja möglich, daß Ahilleas ebenfalls nicht mehr am Leben ist. Oder er hält sich im Ausland auf. Die Chancen, ihn noch rechtzeitig zu finden, sind denkbar gering.«

      Christian sackte in sich zusammen. »Das heißt, daß Leandra sterben wird.«

      »Wenn sie sich selbst aufgibt – und das tut sie ganz offensichtlich –, dann hat sie kaum noch Chancen.«

      Christian schluchzte auf. »Aber wir müssen doch etwas tun. Mein Gott, sie ist erst achtzehn! Sie hat das Leben doch noch vor sich.« Entschlossen stand er auf. »Ich werde diesen Ahilleas finden. Und wenn ich die ganze Welt umkrempeln muß.« Der Blick, mit dem er Dr. Daniel jetzt anschaute, war zwingend. »Was können wir noch tun?«

      »Darüber zermartere ich mir schon die ganze Zeit den Kopf«, antwortete Dr. Daniel niedergeschlagen. »Ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung, welchen Weg wir noch gehen könnten.«

      Christians schlanke Gestalt reckte sich hoch. »Ich werde einen finden. Ahilleas lebt, das spüre ich. Und ich werde ihn auftreiben – selbst wenn ich jeden Kontinent zu Fuß ablaufen muß.«

      *

      Die Entschlossenheit, mit der Christian Schütz nach dem Zwillingsbruder seiner Frau suchte, erschütterte Dr. Daniel. Und so war er noch völlig mitgenommen, als er zum Mittagessen in seine Wohnung hinaufging. Er hatte kaum Platz genommen, als das Telefon klingelte.

      »Daniel!« meldete er sich.

      »Herr Doktor, entschuldigen Sie, daß ich Sie privat störe«, erklang eine aufgeregte Frauenstimme. »Hier ist Silvia Burgner.«

      Dr. Daniel war überrascht. »Frau Burgner? Ist etwas passiert?«

      »Nein, nein, das heißt, ja, eigentlich schon. Ich muß in der Klinik bleiben.«

      »Das haben Sie doch gewußt«, meinte Dr. Daniel. »Ich habe Ihnen gesagt, daß…«

      »Ja, Herr Doktor, darum geht es auch gar nicht. Es ist vielmehr…, mein Mann… Er ist völlig allein mit den Kindern.«

      Nur mit Mühe unterdrückte der Arzt einen Seufzer. Er kannte Richard Burgner nur vom Sehen, aber daß er ein derart hilfloser Mann sei, hätte Dr. Daniel nicht für möglich gehalten.

      »Frau Burgner, Sie müssen nur eine Woche in der Klinik bleiben. So lange wird Ihr Mann doch wohl ohne Sie auskommen.«

      »Das ist auch gar nicht das Problem. Mein Mann ist durchaus in der Lage, für die Kinder zu sorgen, aber… er hat sich erst vor kurzem selbständig gemacht. Wenn er sein Büro jetzt für eine Woche schließen muß, dann bedeutet das, daß er sein Geschäft mit ziemlicher Sicherheit nicht halten kann. Er hat so entsetzlich schwer gearbeitet, und jetzt, kurz bevor er Fuß fassen konnte, muß ich

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