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eine Schublade und zog nach kurzem Suchen einen Zettel heraus.

      »Karl und Inge Herzog«, las er vor. »Schützenallee, Freiburg.« Er sah die elegante Dame vor sich an. »Aber…, das kann doch nicht wahr sein. Prinzessin…, Sie…«

      »Inge«, berichtigte sie. »Sagen Sie einfach Inge zu mir. Prinzessin Alix ist tot – offiziell und auch in meinem Herzen.« Sie zögerte. »Darf ich mich setzen?«

      Mit einer fahrigen Handbewegung bot Dr. Daniel ihr Platz an.

      »Ich hole jetzt den Kaffee«, erklärte Irene, die die ganze Szene verständnislos verfolgt hatte.

      »Ich begreife das alles immer noch nicht«, gestand Dr. Daniel.

      »Ich werde es Ihnen erklären«, versprach Inge Herzog. »Aber machen Sie sich auf eine abenteuerliche Geschichte gefaßt.«

      Irene servierte den Kaffee, dann zog sie sich diskret zurück und ließ ihren Bruder mit seinem Besuch allein.

      Inge griff nach der Tasse und trank einen kleinen Schluck, dann lehnte sie sich zurück.

      »Mein Vater hat mir meine Kinder weggenommen, und das habe ich ihm nie verziehen«, begann Inge zu sprechen. »Bei Leandra hatte ich keine Chance herauszubekommen, wo sie war. Alles war von meinem Vater bestens arrangiert worden. Nicht so bei Ahilleas. Er war nicht geplant, und so vergingen ein paar Tage, bis er von einem Freiburger Ehepaar adoptiert wurde. Ich selbst wurde auf unseren Landsitz nach Frankreich abgeschoben und hatte in meinem Onkel einen strengen Aufpasser. Doch es gab auch einen Verbündeten für mich: Gustav.«

      »Der Butler!« Allmählich begann Dr. Daniel zu verstehen. Der Butler Gustav hatte ihn empfangen, als er nach Schloß Hoheneck gekommen war, und ihm gegenüber hatte er ja verlauten lassen, daß er den Fürsten wegen Prinzessin Alix sprechen wollte. Vielleicht hatte Gustav sogar ge­lauscht und mitgehört, warum es gegangen war.

      Inge lächelte. »Ihr Gedankengang ist ausgezeichnet, Herr Doktor. Gustav hatte seine Ohren schon immer überall, und er verehrte mich wie eine Göttin. Die Tatsache, daß mir durch die Wegnahme meiner Kinder ein so tiefer Schmerz zugefügt worden war, ließ Gustav zu Vaters erbittertstem Feind werden. Er wollte mir nach Frankreich folgen, doch ich flehte ihn an, auf Hoheneck zu bleiben und herauszubekommen, was aus Ahilleas wurde.«

      Sekundenlang hielt Dr. Daniel den Atem an. »Heißt das…, Sie wissen, wo Ahilleas ist?«

      Inge nickte. »Und ob ich das weiß. Er ist mein Sohn, und seit fünf Jahren leben wir auch zusammen. Vorher besuchte ich ihn regelmäßig.«

      Völlig fassungslos schüttelte Dr. Daniel den Kopf. Er konnte das alles immer noch nicht fassen.

      »Warum suchen Sie so verzweifelt nach Ahilleas und mir?« fragte Inge jetzt und riß den Arzt aus seinen Gedanken.

      Überrascht sah er sie an. »Das wissen Sie nicht? Ich dachte, Gustav hätte alles gehört.«

      »Nein, leider nicht«, entgegnete Inge. »Meine Mutter hat ihn zu sich gerufen, bevor er etwas wirklich Wichtiges verstehen konnte.«

      Dr. Daniel wurde ernst. »Es sind schlimme Nachrichten, die ich für Sie habe, Prinzessin…, ich meine, Inge.«

      Die Frau erschrak sichtlich. »Ist Leandra… tot?«

      Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Nein, sie ist noch am Leben, aber sie ist schwer krank. Sie leidet an Leukämie, und wenn nicht bald eine Knochenmarktransplantation durchgeführt wird, dann stirbt sie. Sie hat schon jetzt keinen Lebenswillen mehr, denn der einzige Wunsch, den sie noch hatte, erfüllte sich leider nicht für sie. Sie wollte unter allen Umständen ein Baby. Deshalb kam sie zu mir.«

      Inge sprang auf. »Ich muß sofort zu ihr!«

      »Ich glaube, das wäre nicht richtig«, wandte Dr. Daniel ein. »Das Mädchen weiß nichts über seine Herkunft. Es ist sicher besser, wenn ich zuerst mit Leandra spreche – allein.«

      Inge nickte zerstreut. Ihre Gedanken waren schon wieder bei der schweren Krankheit ihrer Tochter.

      »Diese Transplantation…, warum wurde die nicht schon früher gemacht, wenn es für Leandra die einzige Überlebenschance ist?«

      »Genau aus diesem Grunde habe ich Sie und Ahilleas gesucht. Man braucht dazu nämlich einen nahen Verwandten – die Mutter, oder noch besser Geschwister des Patienten, weil sonst die Gefahr der Abstoßung besteht.« Er schwieg einen Moment, dann fragte er: »Ist Ahilleas auch hier?«

      Inge schüttelte den Kopf. »Wir leben auf Kreta – der Heimat meines Mannes. Aber ich kann Ahilleas sofort herkommen lassen, wenn es nötig ist.«

      Dr. Daniel nickte. »Die Chancen für Leandra stünden besser, wenn er ebenfalls hier wäre. Sie können gleich von hier aus telefonieren, wenn Sie möchten.«

      Dankbar nahm Leandra das Angebot an. Es war nur ein kurzes Gespräch, dann legte sie auf, während sich Dr. Daniel erhob.

      »Wir beide sollten vielleicht sofort in die Klinik fahren«, schlug er vor. »Und auf dem Weg dorthin können Sie mir erzählen…« Er stockte. »Tut mir leid, ich wollte nicht indiskret sein…«

      Inge lächelte. »Aber ich bitte Sie, Herr Doktor. Sie haben wohl das größte Recht zu erfahren, wie mein Leben verlaufen ist. Immerhin waren Sie im wichtigsten Augenblick an meiner Seite, und jetzt habe ich durch Sie meine Tochter wiedergefunden.«

      Dr. Daniel lächelte, dann hielt er ihr die Beifahrertür auf, bevor er sich ans Steuer setzte. Inge lehnte sich zurück und blickte ins Leere, während ihre Gedanken zurückglitten.

      »Wie gesagt, ich lebte auf unserem französischen Landgut, bis ich volljährig war«, begann sie. »Dann wollte mich mein Vater standesgemäß verheiraten, doch ich verstand es, meine Freier allesamt zu vergraulen. Dimitrios war der einzige Mann, den ich wollte, und irgendwann gab mein Vater seinen Widerstand auf und ließ mich nach Kreta ziehen. Ich glaube, er war froh, mich los zu sein.« Sie lächelte. »Zu diesem Zeitpunkt wußte ich durch den getreuen Gustav schon, wo sich mein kleiner Sohn aufhielt. Und so fuhr ich in regelmäßigen Abständen nach Freiburg, um Ahilleas zu sehen. Er war ein ganz herziges Kind und verkraftete es ausgezeichnet, zwei Mütter zu haben. Dann, vor fast genau fünf Jahren, waren Dimitrios und ich wieder einmal in Freiburg, um die Herzogs und Ahilleas zu besuchen. Die Herzogs benutzten diese Zeit wie jedesmal um ein paar Ausflüge zu zweit zu unternehmen, und an jenem Tag fuhren sie mit unserem Wagen, weil ihr eigenes Auto zur Reparatur war.« Inge senkte den Kopf. Die Erinnerung an die folgenden schlimmen Stunden und Tage war noch immer schmerzlich für sie. »Inge und Karl hatten einen schweren Unfall. Das Auto brannte völlig aus.«

      Dr. Daniel schluckte. Er konnte sich den Rest der Geschichte denken.

      »Die Toten wurden als Prinzessin Alix und Dimitrios Konstandinidis identifiziert, und Sie nahmen Inges und Karls Identität an.«

      Inge nickte. »Genauso ist es. Allerdings taten wir das nicht aus Eigennutz, sondern um zu verhindern, daß Ahilleas wieder in fremde Hände kam. Immerhin war er von den Herzogs adoptiert worden, und über die leiblichen Eltern war nichts bekannt. Es wäre mir schwergefallen zu beweisen, daß ich seine Mutter bin. Der Weg, den wir eingeschlagen haben, war einfacher.«

      »Wirklich?« entgegnete Dr. Daniel zweifelnd. »Sie brauchten neue Pässe und…«

      Abwehrend hob Inge beide Hände. »Darüber möchte ich nicht sprechen, Herr Doktor. Wie wir alles bewerkstelligt haben, ist unsere Sache. Wichtig ist nur, daß Ahilleas jetzt bei seinen Eltern lebt und glücklich ist.«

      Dr. Daniel dachte über diese Worte nach, und insgeheim mußte er der Frau an seiner Seite recht geben. Das Schicksal hatte sie und ihren Sohn wieder zusammengeführt, und nun wurde ihr auch ihre Tochter ein zweites Mal geschenkt – vorausgesetzt, die Knochenmarktransplantation würde klappen.

      Dr. Daniel stellte seinen Wagen auf dem Parkplatz ab, dann ging er an Inges Seite auf den Klinikeingang zu.

      »Daniel!«

      Beim Klang der barschen Stimme fuhr Dr. Daniel

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