Скачать книгу

Natürlich!«

      »Wie bitte?« dröhnte Professor Thierschs Stimme an sein Ohr. »Haben Sie den Verstand verloren, Daniel?«

      »Nein, Herr Professor, aber ich weiß, wer die Mutter von Frau Schütz ist.« Er holte weiter aus. »Vor fast neunzehn Jahren habe ich hier in Steinhausen meine Praxis eröffnet. Ich hatte gerade meinen Frauenarzt in der Tasche und daher ein wenig Mühe, als niedergelassener Arzt Fuß zu fassen. Meine Praxis lief also mehr schlecht als recht, und als ich eines Nachts in das knapp zwanzig Kilometer entfernte Schloß Hoheneck gerufen wurde, war ich mehr als erstaunt. Doch das hatte einen guten Grund. Das Fürstenpaar wollte einen jungen, möglichst unerfahrenen Arzt, der über die Vorkommnisse auf dem Schloß Stillschweigen bewahrte. Die Haltung des Fürsten schüchterte mich auch tatsächlich ein. Ich war zweiunddreißig und hatte noch nie im Leben mit Adligen zu tun gehabt.«

      »Würden Sie jetzt endlich zur Sache kommen?« fiel Professor Thiersch­ ihm unwillig ins Wort. »Ansonsten können Sie auch bei Adam und Eva anfangen.«

      »Entschuldigen Sie, Herr Professor. Da ist wohl die Erinnerung mit mir durchgegangen. Also, die junge Prinzessin… lassen Sie mich überlegen… Prinzessin Alix, ja, Prinzessin Alix lag in den Wehen. Sie hatte eine Affäre mit einem jungen Burschen gehabt und war schwanger geworden. Jetzt sollte das Baby geboren und dann sofort zur Adoption freigegeben werden. Passende Adoptiveltern hatte der Fürst bereits ausfindig machen lassen. Dann kam für alle Beteiligten der große Schock. Prinzessin Alix bekam Zwillinge – ein Mädchen und einen Jungen.«

      »Soll das heißen…, Leandra Krenn hat einen Bruder?« brachte Prof. Thiersch mühsam hervor.

      Dr. Daniel nickte, als könnte der Professor das sehen. »So ist es. Die Prinzessin hat es sich nicht nehmen lassen, ihren Kindern Namen zu geben. Das Mädchen sollte Leandra heißen, und der Junge Ahilleas.«

      »Mir scheint, die junge Dame hatte eine Schwäche für Griechenland«, warf der Professor ein wenig bissig dazwischen.

      »Der Vater der Kinder war Grieche. Sie hat ihn während eines Aufenthalts auf Kreta kennengelernt.«

      »Sie sind ja bestens informiert«, stellte der Professor trocken fest.

      Dr. Daniel senkte den Kopf. Nur zu gut erinnerte er sich noch an die junge Prinzessin, die so verzweifelt gewesen war, weil sie ihre Kinder hatte weggeben müssen.

      »Die Prinzessin hat sich mir anvertraut«, gestand er. »Sie wollte wissen, was aus ihren Kindern wurde und bat mich, sie auf dem Laufenden zu halten. Doch dem wurde bald ein Riegel vorgeschoben. Noch ehe ich das Schloß verlassen konnte, wurden die Kinder bereits weggebracht. Eine Woche später war auch die Prinzessin verschwunden, und jeder hüllte sich über ihren Verbleib in Stillschweigen.«

      Der Professor seufzte. »Das heißt, daß wir jetzt zwar wissen, wer die Mutter des Mädchens ist, und daß diese Leandra sogar einen Zwillingsbruder hat, aber dennoch haben wir keine Ahnung, wo wir anfangen sollen zu suchen.«

      »So ähnlich ist es, ja.« Dr. Daniel schwieg einen Moment, dann setzte er mit Entschlossenheit hinzu: »Aber ich werde nichts unversucht lassen, um wenigstens einen der beiden zu finden.«

      *

      Gleich am Tag nach Leandras Besuch in Dr. Daniels Praxis hatte der Arzt versucht, sie und ihren Mann noch im »Goldenen Löwen« zu erreichen, doch das junge Ehepaar war bereits abgereist – mit unbekanntem Ziel. Dr. Daniel war enttäuscht, hoffte aber, daß Leandra ihr Versprechen halten und wieder zu ihm kommen würde. Währenddessen wollte er versuchen, etwas über ihre Mutter und ihren Bruder herauszubekommen.

      Dazu benutzte er das folgende Wochenende. Sein erster Weg führte ihn nach Schloß Hoheneck. Er wußte, daß hier noch immer Fürst Bernhard regierte – mit harter, unnachgiebiger Hand, wie er es schon damals getan hatte. Und wie vor achtzehn Jahren hatte Dr. Daniel auch heute ein wenig Hemmungen, den goldenen Türklopfer zu betätigen.

      Der Butler öffnete und fragte nach seinen Wünschen.

      »Ich möchte Seine Durchlaucht bitte sprechen«, verlangte Dr. Daniel in höflichem, aber bestimmtem Ton.

      »Sind Sie angemeldet?« entgegnete der Butler ungerührt.

      »Nein, aber es ist außerordentlich wichtig. Es geht um Prinzessin Alix.«

      Dr. Daniel sah, wie der Butler förmlich erstarrte. Der Name der jüngsten Tochter war hier offensichtlich noch immer verpönt. Mit einer knappen Entschuldigung entfernte sich der Butler, kam aber wenig später zurück und führte Dr. Daniel in einen weitläufigen Salon. Es dauerte nur einen Augenblick, bis Fürst Bernhard eintrat und seinen Besucher mit kalten Augen musterte.

      »Ach, Sie sind’s«, erklärte er. »Wollen Sie jetzt noch Forderungen stellen? Mich erpressen?«

      Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Wenn ich das gewollt hätte, wäre ich früher gekommen. Nein, Durchlaucht, es geht nicht um Geld, es geht um Ihre Enkelin Leandra. Sie erinnern sich? Das kleine Mädchen, das Ihre Tochter Alix geboren hat. Fünf Minuten später kam auch der Bub zur Welt – Ahilleas.«

      Mit jedem Wort, das Dr. Daniel gesprochen hatte, hatte sich das Gesicht des Fürsten weiter verfinstert.

      »Schweigen Sie!« herrschte er den Arzt endlich an.

      »Ich denke nicht daran«, entgegnete Dr. Daniel entschlossen. »Es geht um Leandras Leben, und ich werde dieses Schloß nicht eher verlassen, bis ich weiß, wo sich ihre Mutter und ihr Bruder aufhalten.«

      Im Gesicht des Fürsten zuckte es, dann wandte er sich brüsk ab.

      »Ich kann Ihnen keine Antwort geben«, behauptete er. »Ich weiß nicht, wo Alix und der Junge sind.«

      »Damit lasse ich mich nicht abspeisen«, erklärte Dr. Daniel fest. »Leandra­ leidet an Leukämie. Sie hat höchstens noch ein Jahr zu leben, wenn keine Knochenmarktransplantation durchgeführt wird. Und die einzigen Spender, die dafür in Frage kommen, sind ihre Mutter und ihr Bruder. Also – wo ist Prinzessin Alix und wo ist Ahilleas?«

      Der Fürst atmete tief durch, dann drehte er sich um.

      »Wie haben Sie das Mädchen gefunden?« wollte er wissen. »Es war alles bestens arrangiert. Sie wurde zu einem Ehepaar nach Hannover gegeben.«

      »Helga und Manfred Krenn.« Dr. Daniel beobachtete den Fürsten genau und bemerkte das verräterische Zucken in seinem Gesicht.

      »Es war Zufall, Durchlaucht«, fuhr er dann fort. »Leandra kam in die Klinik, in der ich vor über zwanzig Jahren als Assistenzarzt gearbeitet habe. Sie weiß, daß sie sterben wird, und ihr letzter Wunsch ist es, ein Baby zu bekommen, damit wenigstens etwas von ihr in dieser Welt weiterlebt, und damit ihr Mann nicht völlig allein dasteht, wenn sie von uns gehen muß. Aus diesem Grund wurde Leandra vom Chefarzt der Klinik an mich verwiesen.«

      Fassungslos schüttelte Fürst Bernhard den Kopf, dann ließ er sich schwer auf einen der lederbezogenen Sessel fallen.

      »Alix ist tot«, gestand er leise. »Sie starb vor fünf Jahren bei einem Autounfall.« Er zuckte die Schultern. »Vielleicht war es auch gar kein Unfall. Nachdem ich ihr die Kinder genommen hatte, wollte sie wohl nicht mehr leben. Ich habe sie nach ihrer Hochzeit nie mehr gesehen, aber man sagte mir, daß sie bei allem, was sie tat, Kopf und Kragen riskierte.«

      Diese Nachricht erschütterte Dr. Daniel zutiefst. Niemals hatte er damit gerechnet, daß Prinzessin Alix tot sein könnte.

      »Und… Ahilleas?« fragte er in banger Erwartung.

      Der Fürst zuckte die Schultern. »Ich kann Ihnen die Adresse des Ehepaares geben, das ihn adoptiert hat. Seitdem habe ich nie wieder von ihm gehört.« Er schwieg kurz, dann setzte er voller Härte hinzu: »Ich wollte auch nichts von ihm hören.«

      Er stand auf, verließ den Salon und kehrte wenig später mit einem Notizzettel zurück.

      »Hier ist die Adresse«, erklärte er, dann bedachte er Dr. Daniel mit einem harten Blick. »Ich möchte Sie hier nie wieder sehen.«

Скачать книгу