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Er kannte sich hier ja schon bestens aus.

      »Herr Doktor, sagen Sie mir bitte die Wahrheit«, verlangte Anna und strich sich dabei mit einer fahrigen Handbewegung ein paar graue Strähnchen zurück, die ihr in die Stirn gefallen waren. »Bin ich sehr krank?«

      Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Nein, Frau Deichmann, Sie sind kerngesund, das kann ich Ihnen versichern.«

      »Aber… das kann nicht sein. Die Schmerzen sind wirklich unerträglich«, behauptete sie, konnte den Arzt dabei jedoch nicht ansehen.

      »Und diese Schmerzen kommen immer, wenn Sie sich sehr allein fühlen, nicht wahr?« meinte Dr. Daniel in sanftem Ton. Er wollte die einsame Frau keinesfalls verletzen. Dazu war sie ihm viel zu sympathisch.

      Anna Deichmann schluckte, dann wandte sie das Gesicht ab und brach in Tränen aus.

      »Es tut wirklich weh«, brachte sie unter Schluchzen hervor.

      Dr. Daniel griff nach ihrer rechten Hand und hielt sie fest.

      »Das glaube ich Ihnen, Frau Deichmann«, meinte er. »Es müssen sogar ganz schreckliche Schmerzen sein, aber nicht im Unterleib, sondern ein Stückchen weiter oben. Das Herz tut Ihnen weh, habe ich recht?«

      Anna zögerte, dann nickte sie. »Es ist…« Sie zuckte hilflos die Schultern. »Ich bin so allein…, keiner braucht mich…«

      Dr. Daniel schielte unauffällig zu seiner Uhr. In einer Viertelstunde würde die Nachmittagssprechstunde beginnen, aber er konnte Anna Deichmann jetzt nicht allein lassen.

      Mit einer sanften Geste streichelte er über ihre zitternde Hand.

      »Ich würde Ihnen so gern helfen, Frau Deichmann«, erklärte er. »Aber ich weiß nicht, wie. Das einzige, was ich Ihnen anbieten kann, ist, daß Sie mich anrufen, wenn Sie sich gar zu einsam fühlen – auch am Wochenende. Ich werde mir immer für Sie Zeit nehmen, das verspreche ich Ihnen.«

      In den gütigen grauen Augen der Frau leuchtete es auf.

      »Sie sind ein guter Mensch, Herr Dr. Daniel«, meinte sie, »und ich bin froh, daß es Sie gibt.«

      *

      Ganz im stillen hatten Leandra Krenn und Christian Schütz geheiratet. Und obwohl Leandra immer wieder von leichten Schwächeanfällen geplagt wurde, fühlte sie sich an Christians Seite wohler als in der Klinik.

      Überhaupt versuchte sie, sowohl den Aufenthalt im Krankenhaus als auch ihre schreckliche Krankheit zu vergessen und gab sich Mühe, ihr noch verbleibendes Leben zu genießen. Einzig den Rat des Professors, Dr. Daniel aufzusuchen, wollte sie beherzigen. Schließlich wollte sie ja um jeden Preis noch ein Kind bekommen.

      Unmittelbar nach der Hochzeit machten sich Christian und Leandra auf den Weg in das kleine Vorgebirgsdorf Steinhausen. Im Gasthof »Zum Goldenen Löwen« bekamen sie ein hübsches Doppelzimmer, und noch am selben Tag rief Leandra in der Praxis des Arztes an und vereinbarte einen Termin.

      »Stell dir vor, ich kann gleich morgen früh kommen«, erklärte Leandra, während sie den Hörer auflegte, dann ließ sie sich schwer auf den danebenstehenden Sessel fallen. »Wenn ich nur nicht immer so verdammt müde wäre.«

      Besorgt sah Christian sie an. »Vielleicht war deine Entscheidung doch falsch. In der Thiersch-Klinik…«

      »Davon will ich nichts mehr hören«, fiel Leandra ihm ins Wort. »Wir waren uns einig, daß wir unser restliches gemeinsames Leben genießen wollen – auch wenn es nur sehr kurz sein wird.«

      »Bist du sicher, daß du das kannst?« In Christians Stimme lag eine unüberhörbare Bitterkeit, dann seufzte er. »Ach, Liebes, ich bin todunglücklich. Ich will dich einfach nicht hergeben und…« Er senkte den Kopf. »Ich wünschte, du hättest zumindest versucht, dein Leben zu retten.«

      Mühsam erhob sich Leandra, kam auf ihn zu und legte ihre Arme um seinen Nacken.

      »Es gibt keine Rettung, Chris«, flüsterte sie. »Es wäre nur ein Hinauszögern gewesen. Keiner von den Ärzten hat das zugegeben, aber ich habe es gespürt.« Der Blick ihrer blauen Augen war zwingend. »Chris, ich will dieses Baby haben. Ich will, daß etwas von mir hierbleibt, wenn ich gehen muß.«

      Lange sah Christian sie an.

      »Ich bewundere dich für deinen Mut«, erklärte er dann leise.

      Doch Leandra schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht mutig, Chris – ganz im Gegenteil. Ich habe verdammte Angst. Ich habe Angst vor den Schmerzen und Angst vor dem Tod. Aber ich zwinge mich, nicht daran zu denken. Ich will ein Baby, aber das kann ich nicht haben, wenn ich in der Klinik bin. Dort hätten sie mich mit Medikamenten vollgestopft, bis ich gestorben wäre. Nein, Chris, ich habe meinen Entschluß noch nicht bereut, und ich werde es niemals tun, das schwöre ich dir.«

      *

      Am nächsten Morgen, gleich nach dem Frühstück, machten sich Leandra und Christian auf den Weg zu Dr. Daniel. Die Wirtin des »Goldenen Löwen« hatte ihnen erklärt, wie sie fahren mußten, und tatsächlich fanden sie die Villa, die ein wenig außerhalb des Ortes am Hang stand, auf Anhieb.

      »Mein lieber Mann, das ist ja eine feudale Hütte«, urteilte Christian, nachdem er sein Auto auf dem Patientenparkplatz abgestellt hatte. »So etwas sollte man sich leisten können.«

      Leandra ging nicht darauf ein. Sie war viel zu nervös, und die Angst, daß dieser Arzt ihr sagen könnte, sie dürfe wegen ihrer Krankheit vielleicht gar kein Baby bekommen, schnürte ihr die Kehle zu.

      Christian griff stützend unter ihren Arm, während sie auf die Villa zugingen, dann drückte er auf den Klingelknopf neben dem Schildchen »Praxis«. Mit einem dezenten Summen sprang die schwere Eichentür auf, und das junge Ehepaar gelangte in ein sehr modern eingerichtetes Vorzimmer.

      Die Empfangsdame sah ihnen mit einem unverbindlichen Lächeln entgegen.

      »Krenn…, nein, Schütz ist mein Name«, erklärte Leandra, dann zwang sie sich zu einem Lächeln. »Ich habe vor kurzem erst geheiratet, wissen Sie.«

      Die Empfangsdame lächelte höflich, dann sah sie in ihren Terminkalender.

      »Ach ja, Sie haben gestern angerufen«, erinnerte sie sich. »Bitte, nehmen Sie noch einen Augenblick im Wartezimmer Platz.« Sie wies schräg nach hinten. »Gleich die erste Tür rechts. Die Sprechstundenhilfe wird Sie holen, sobald der Herr Doktor frei ist.«

      Leandra bedankte sich und betrat an Christians Seite das Wartezimmer. Sie hatten sich kaum gesetzt, als die Tür schon wieder geöffnet wurde und eine vollschlanke Frau um die Fünfzig hereinschaute. Dem weißen Kittel nach zu schließen, konnte das nur die Sprechstundenhilfe sein.

      »Frau Schütz, bitte.«

      Auch Christian erhob sich. »Ich darf doch mitkommen, oder?«

      Die Sprechstundenhilfe nickte lächelnd. »Natürlich, Herr Schütz.«

      Dann hielt sie die nächste Tür auf und ließ das junge Ehepaar eintreten. Im selben Augenblick erhob sich hinter dem Schreibtisch ein stattlicher Mann von Anfang Fünfzig und reichte erst Leandra, dann Christian die Hand. Ein Blick in seine gütigen blauen Augen ließ Leandras Nervosität schwinden. Insgeheim hatte sie nämlich befürchtet, dieser Dr. Daniel könnte ein ähnlich autoritärer Mensch sein wie Professor Thiersch.

      »Nun, Frau Schütz, was kann ich für Sie tun?« wollte Dr. Daniel wissen, nachdem er dem jungen Ehepaar Platz angeboten und sich dann ebenfalls gesetzt hatte.

      Leandra atmete tief durch. »Professor Thiersch aus München hat Sie mir empfohlen.«

      In Dr. Daniels Augen leuchtete es kurz auf. Er erinnerte sich gern an seine Assistenzzeit unter dem strengen Chefarzt, bei dem er so viel gelernt hatte.

      »Ich war in der Thiersch-Klinik in Behandlung«, fuhr Leandra dann fort. »Ich… leide an Leukämie und habe jegliche Therapie abgelehnt.«

      Dr. Daniel runzelte die Stirn. »Wie bitte? Aber warum denn, Frau Schütz?«

      Leandra

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