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durchstehen?« Fassungslos schüttelte er den Kopf. »Vergessen Sie es!«

      »Aber…«, begehrte Leandra auf, doch Professor Thiersch schnitt ihr mit einer energischen Handbewegung das Wort ab.

      »Vergessen Sie es!« wiederholte er und wandte sich erneut zum Gehen, aber nach wenigen Schritten drehte er sich um, und als er zu sprechen begann, hatte sein Ton alle Schärfe verloren. »Fahren Sie nach Steinhausen und wenden Sie sich an Dr. Robert Daniel. Er ist Gynäkologe und wird Ihnen sagen, welche Chancen Sie haben.« Bei den letzten Worten war seine Stimme wieder hart geworden, dann verschwand er endgültig.

      Leandra runzelte die Stirn. »Dr. Daniel?« Sie wandte sich dem Stationsarzt zu. »Wissen Sie, wer das ist?«

      Dr. Scheibler nickte, doch dann schränkte er ein: »Ich kenne ihn nicht persönlich, aber er hat vor etlichen Jahren hier als Assistenzarzt gearbeitet. Inzwischen hat er sich als Gynäkologe niedergelassen und hat einen ausgezeichneten Ruf.« Er schwieg kurz. »Sie sollten den Rat des Professors befolgen und sich an Dr. Daniel wenden.« Wieder machte er eine kurze Pause. »Noch besser wäre es allerdings, Sie würden hierbleiben.«

      Doch Leandra schüttelte den Kopf. »Mein Entschluß steht fest. Noch heute werde ich die Klinik verlassen.«

      *

      Die Vormittagssprechstunde war zu Ende. Mit einem tiefen Seufzer stand Dr. Robert Daniel auf. Es war heute wieder einmal anstrengend gewesen, und so freute er sich jetzt auf seine Mittagspause. Der Nachmittag versprach ihm nämlich nur wenig Erleichterung, wie er mit einem kurzen Blick auf den Terminkalender hatte feststellen können.

      Jetzt verließ er sein Sprechzimmer und trat ins Vorzimmer hinaus, in dem die junge Empfangsdame Gabi Meindl an der Schreibmaschine saß und gerade die letzten Worte tippte.

      »Ich bin gleich fertig, Herr Doktor«, beeilte sie sich zu versichern.

      »Schon gut, Frau Meindl«, entgegnete Dr. Daniel lächelnd. »Ich unterschreibe inzwischen die Briefe, die bereits hier liegen.«

      Es war seine Gewohnheit, die anfallenden Rechnungen und Briefe noch vor dem Mittagessen zu unterschreiben, was für die junge Empfangsdame gelegentlich mit einigem Streß verbunden war. Auch jetzt waren ihre Wangen leicht gerötet, als sie den letzten Brief vor ihren Chef hinlegte. Dr. Daniel las ihn gewissenhaft durch, dann setzte er seine schwungvolle Unterschrift darauf.

      »Gut«, meinte er. »Liegt sonst noch etwas an?«

      Gabi warf einen kurzen Blick auf ihren Notizblock. »Ja, Herr Doktor, Frau Deichmann hat angerufen. Sie hat so starke Unterleibsschmerzen, daß sie nicht in die Praxis kommen kann.«

      Dr. Daniel unterdrückte nur mit Mühe einen Seufzer. »Ich werde gleich nach dem Mittagessen zu ihr hinausfahren.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Schon gleich ein Uhr. In zwei Stunden begann die Nachmittagssprechstunde, und der Weg zu Frau Deichmann war weit. Er würde also wieder mal mehr oder weniger im Stehen essen müssen.

      »Frau Kaufmann«, wandte er sich an die eben hinzugekommene Sprechstundenhilfe. »Sie haben vielleicht gehört, daß ich zu Frau Deichmann muß. Ich bin nicht sicher, ob ich zur Nachmittagssprechstunde pünktlich sein werde, aber ich werde mich natürlich beeilen.«

      »Ist recht, Herr Doktor«, erwiderte die Sprechstundenhilfe. »Ich mache in der Zwischenzeit schon mal die nötigen Blutabnahmen, und soviel ich weiß, kommen zwei der angemeldeten Patientinnen ohnehin nur zum Schwangerschaftstest. Das kann ich ja auch allein erledigen.«

      Dr. Daniel lächelte. »Sie sind eine Perle, Frau Kaufmann.« Dann nickte er den beiden Damen zu. »Mahlzeit zusammen.«

      Immer zwei Stufen auf einmal nehmend lief er ins erste Stockwerk hinauf und betrat seine Wohnung. Es duftete herzhaft nach Gulasch, und Dr. Daniel bemerkte, wie hungrig er war.

      »Irene!« rief er in die Küche. »Kann ich gleich essen? Ich hab’s furchtbar eilig.«

      »Wie immer«, kam die Antwort von seiner Schwester, die ihm seit seiner Rückkehr nach Steinhausen vor einigen Monaten den Haushalt führte.

      »Gar nicht wahr«, verteidigte sich Dr. Daniel. »Ich versuche jeden Tag, mir zum Essen Zeit zu nehmen, aber manchmal…«

      »Meistens«, berichtigte ihn Irene. »Meistens schlingst du dein Mittagessen nur hastig hinunter, und das ist gar nicht gesund.«

      Dr. Daniel seufzte. Diesen Kommentar hörte er regelmäßig so alle zwei Tage.

      »Bitte, Irenchen, spiel jetzt nicht den Gesundheitsapostel. Ich hab’s wirklich eilig. Ich muß zu Frau Deichmann.«

      »Schon wieder?« entfuhr es seiner Schwester. »Meine Güte, du warst doch erst vorige Woche bei ihr. Ich glaube, die ruft dich nur zu sich, damit sie nicht allein ist.«

      »Damit liegst du gar nicht so falsch«, meinte Dr. Daniel, während er Nudeln auf seinen Teller häufte und sich dann vom Gulasch bediente. »Die arme Frau tut mir furchtbar leid. Sie hat eine glückliche Ehe geführt, doch ihr Mann ist schon in sehr jungen Jahren gestorben, und sie hat nie mehr geheiratet, weshalb ihr natürlich auch Kinder versagt blieben. Als sie noch jünger war, schien ihr das nicht so viel ausgemacht zu haben, doch jetzt setzt ihr diese Kinderlosigkeit ziemlich arg zu. Dazu kommt, daß sie keinerlei Verwandtschaft hat. Die gute Frau ist sechzig Jahre alt und steht völlig allein auf der Welt, und dabei hat sie ein so großes, gütiges Herz, das eine Menge Liebe zu verschenken hätte.« Er schwieg einen Moment, dann fuhr er fort: »Und wenn sie sich gar zu einsam fühlt, dann ruft sie bei mir in der Praxis an und behauptet, sie hätte starke Unterleibsschmerzen und könnte nicht kommen.«

      Irene lächelte. »Und du fährst sofort zu ihr, auch wenn du vor lauter Arbeit nicht mehr aus den Augen sehen kannst.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube, du bist der einzige Frauenarzt in Deutschland, der Hausbesuche macht.«

      »Ach komm, übertreib nicht.« Dr. Daniel warf einen raschen Blick auf die Uhr, dann leerte er seinen Teller und stand auf. »Also, ich muß los. Bis später.«

      Und noch ehe Irene etwas erwidern konnte, war er schon draußen.

      »Er arbeitet sich noch mal zu Tode«, murmelte sie.

      *

      Anna Deichmann saß in ihrem Wohnzimmer auf dem Sofa und starrte trübsinnig vor sich hin. Vor einer halben Stunde hatte sie sich aufgerafft und das Fenster geöffnet, weil es im Zimmer so stickig gewesen war. Jetzt strömte warme Augustluft herein, die Sonne lachte, und die Vögel zwitscherten um die Wette, doch Anna nahm das alles nicht wahr. In ihrem Herzen herrschte trostlose Einsamkeit.

      Das Klingeln an der Tür schreckte sie auf.

      »Es ist offen!« rief sie hinaus, und als gleich darauf Dr. Daniel eintrat, huschte ein Lächeln über ihr Gesicht.

      »Herr Doktor, schön, daß Sie gleich Zeit für mich gefunden haben«, erklärte sie, während sie ihm die Hand reichte.

      Dr. Daniel ergriff sie voller Herzlichkeit. »Das ist doch selbstverständlich, Frau Deichmann.« Er nahm auf einem der gemütlichen Sessel Platz. »Nun, wie fühlen Sie sich?«

      »Schlecht, Herr Doktor«, behauptete Anna. »Sonst hätte ich Sie ganz bestimmt nicht belästigt.«

      »Sie belästigen mich doch niemals, Frau Deichmann.«, verwahrte sich Dr. Daniel.

      Wieder huschte ein Lächeln über das verhärmte Gesicht der Frau, doch dann wurde sie ernst.

      »Die Schmerzen werden immer schlimmer«, behauptete sie. »Ich kann nachts nicht mehr schlafen, und tags­über weiß ich nicht, wie ich mich noch auf den Beinen halten soll. Herr Doktor, glauben Sie, daß ich operiert werden muß?«

      Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Nein, Frau Deichmann, bestimmt nicht.« Er stand auf. »Machen Sie sich bitte frei, und dann legen Sie sich ganz entspannt auf das Sofa. Ich werde Sie untersuchen.«

      Anna gehorchte. Sehr gewissenhaft tastete Dr. Daniel Gebärmutter und Eierstöcke ab, aber wie jedesmal ergab sich kein Befund, obwohl Anna Deichmann während

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