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      »Doch, natürlich. Es ist… ich bin im Augenblick ein bißchen durcheinander. Ich fürchte… ich habe einen Fehler gemacht.«

      Einen Moment herrschte Schweigen am anderen Ende der Leitung, dann fragte Dr. Daniel: »Haben Sie mit Professor Thiersch schon darüber gesprochen?«

      Dr. Heller schüttelte den Kopf, als könnte sein Gesprächspartner das sehen. »Nein, das… wage ich einfach nicht. Sie kennen den Professor. Außerdem war er bei der Operation dabei, und er hat gesagt, ich hätte gute Arbeit geleistet.« Er atmete tief durch. »Herr Kollege, verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Als Arzt weiß ich, daß der Eileiter von Frau Gerhardt nicht zu retten war, aber als Mensch… diese Frau hat solche Probleme, schwanger zu werden, und jetzt…« Er brachte den Satz nicht zu Ende.

      »Sie haben sich nichts vorzuwerfen, Herr Heller«, meinte Dr. Daniel beruhigend. »Das befruchtete Ei hatte den Eileiter doch bereits gesprengt. Sie mußten ihn entfernen, sonst wäre Frau Gerhardt gestorben. Und was die Schwierigkeiten betrifft, die Sie angesprochen haben… ich bin ziemlich sicher, daß es sich dabei nicht so sehr um ein körperliches Problem handelt. Ich habe Frau Gerhardt schon oft gesagt, daß sie sich zu sehr verkrampft um ein Baby bemüht, und solange sie diese Verbissenheit, mit der sie auf ihren großen Wunsch hinarbeitet, nicht ablegt, wird sie nur sehr schwer schwanger werden. Aber das ist nicht Ihr Problem, Herr Kolege. Sie haben getan, was nötig war.« Er schwieg kurz. »Wissen Sie, diese Eileiterschwangerschaft kam auch für mich sehr überraschend. Aber da ich jetzt weiß, daß bei Frau Gerhardt diese Gefahr besteht, werde ich künftig zusammen mit ihr ganz besonders darauf achten, daß wir eine mögliche Eileiterschwangerschaft frühzeitig bemerken. Dann kann der Eileiter nämlich gerettet werden.«

      Dr. Heller atmete hörbar auf. »Danke, Herr Kollege. Sie haben mir durch Ihre Worte sehr geholfen.« Er schwieg sekundenlang. »Ich weiß auch nicht so recht, was mit mir los war. Wahrscheinlich war es die Verzweiflung dieser Frau. Ich fühlte mich plötzlich schuldig.«

      »Dafür besteht nicht der geringste Grund«, betonte Dr. Daniel noch einmal. »Machen Sie sich um Frau Gerhardt keine weiteren Gedanken. Ich werde sie in den nächsten Tagen besuchen und mit ihr sprechen. Ich bin sicher, daß sie auch mit einem Eileiter schwanger werden kann.«

      *

      Nachdem Dr. Scheibler seinen Dienst angetreten hatte, führte ihn sein erster Weg ins Ärztezimmer und an seinen Schreibtisch. Hier lag noch immer die Akte von Patricia Gerhardt. Dr. Scheibler zögerte einen Moment, dann schlug er sie auf und sah auf den ersten Blick, daß der Operationsbericht noch immer fehlte. Das war für ihn der Beweis, daß Dr. Heller sich seines Fehlers bewußt war und diesen nun vermutlich irgendwie vertuschen wollte.

      Entschlossen griff Dr. Scheibler nach der Akte, ging raschen Schrittes ins Erdgeschoß hinunter und klopfte am Vorzimmer von Professor Thiersch.

      »Ja, bitte!« ertönte die Stimme der Sekretärin Herta Bogner.

      Dr. Scheibler trat ein. »Ist der Chefarzt schon hier?«

      Frau Bogner nickte. »Soll ich Sie anmelden?«

      Dr. Scheibler zögerte sekundenlang und warf dabei einen prüfenden Blick auf die Akte in seiner Hand. Was er zu tun gedachte, war Dr. Heller gegenüber nicht fair. Eigentlich hätte er zuerst mit ihm sprechen müssen. Etwas wie schlechtes Gewissen regte sich in Dr. Scheibler, doch sein Ehrgeiz, der Wunsch, endlich Oberarzt zu werden, war größer.

      »Ja, bitte«, antwortete er schließlich.

      Die Sekretärin drückte einen Knopf der Gegensprechanlage.

      »Was ist?« bellte Professor

      Thiersch am anderen Ende der Leitung hinein.

      »Dr. Scheibler wünscht Sie zu sprechen«, antwortete Herta Bogner.

      Der Professor knurrte etwas Unverständliches, bevor er entgegnete: »Na schön, herein mit ihm.«

      Dr. Scheibler atmete tief durch, dann klopfte er an die Zwischentür, die zum Nebenzimmer führte, und trat ein.

      »Entschuldigen Sie die Störung, Herr Professor«, begann er, »aber es ist wirklich dringend.«

      Professor Thiersch lehnte sich auf seinem Sessel zurück, bot Dr. Scheibler aber keinen Platz an. Dieser Umstand weckte in dem jungen Stationsarzt das unangenehme Gefühl, ein Schuljunge zu sein, der vom Rektor ausgeschimpft werden soll.

      »Also, Scheibler, was ist so dringend?« wollte der Professor wissen.

      Dr. Scheibler räusperte sich verlegen. Er hatte plötzlich ein sehr ungutes Gefühl – aber das hatte er in Professor Thierschs Gegenwart ja immer.

      »Es geht um den Fall Gerhardt«, erklärte er. »Patricia Gerhardt.« Er senkte den Kopf, als müßte er sich auf die Akte in seiner Hand konzentrieren, dabei wollte er nur dem durchdringenden Blick des Chefarztes ausweichen. »Es handelte sich bei ihr um eine Eileiterschwangerschaft, die operativ abgebrochen wurde. Aus den Unterlagen, die Dr. Daniel geschickt hat, geht eindeutig hervor, daß der Eileiter von Frau Gerhardt durch das befruchtete Ei noch nicht gesprengt war, trotzdem hat Dr. Heller den betroffenen Eileiter entfernt und der Frau damit zu fünfzig Porzent die Möglichkeit genommen, wieder schwanger zu werden. Darüber hinaus…«

      »Waren Sie bei der Operation anwesend?« unterbrach Professor Thiersch ihn im üblichen barschen Ton.

      Dr. Scheibler zögerte. Das war der einzig wunde Punkt an der Sache. Er wußte natürlich nur, was Patricia Gerhardt ihm erzählt hatte.

      »Nein«, gestand er, »aber die Sachlage…«

      »Und obwohl sie bei der bewußten Operation nicht einmal zugegen waren, maßen Sie sich an, Dr. Heller einen Kunstfehler zu unterstellen?« Wieder fiel Professor Thiersch ihm ins Wort, und diesmal spürte Dr. Scheibler schon den unterdrückten Zorn des Professors.

      Der junge Stationsarzt begann, sich äußerst unbehaglich zu fühlen.

      »Ich unterstelle ihm keinen Kunstfehler«, entgegnete er zögernd. »Es ist nur… ich glaube, daß Dr. Heller vorschnell gehandelt hat, und vermutlich ist ihm das auch durchaus bewußt. Warum sonst sollte er den Operationsbericht so lange zurückhalten?«

      Professor Thiersch beugte sich vor, die buschigen Augenbrauen zogen sich scharf zusammen und ließen auf der Stirn eine steile Falte entstehen. Wer ihn kannte, wußte, daß das ein Alarmzeichen war.

      »So, so, der Operationsbericht fehlt also noch«, erklärte er in ungewöhnlich ruhigem Ton – ebenfalls ein untrügliches Signal, daß alle Zeichen auf Sturm standen. »Woher beziehen Sie dann Ihre genauen Informationen?«

      Dr. Scheibler schluckte. »Frau Gerhardt sagte mir…«

      Professor Thiersch donnerte seine rechte Faust auf den Schreibtisch, was den jungen Stationsarzt unverzüglich verstummen ließ.

      »Frau Gerhardt sagte Ihnen…«, wiederholte er mit drohender Stimme und fügte in beißendem Spott Sarkasmus hinzu: »Frau Gerhardt war während der bewußten Operation zufällig in Narkose.«

      »Ja, natürlich«, beeilte sich Dr. Scheibler zu versichern. »Aber nach der Operation hat Dr. Heller mit ihr gesprochen. Und er hat gesagt, daß er den Eileiter hätte entfernen müssen. Meiner Meinung nach bestand dazu aber keine Veranlassung.«

      »Ihrer Meinung nach«, wiederholte Professor Thiersch bissig. »Und diese Meinung bilden Sie sich nach dem Schreiben eines niedergelassenen Arztes und den vermutlich dürftigen Aussagen einer Patientin. Wobei ich zu Ihren Gunsten anerkennen will, daß Dr. Daniel ein ausgezeichneter Gynäkologe ist, auf dessen Ausführungen man sich absolut verlassen kann. Sie haben nur eines übersehen, Scheibler. Zwischen dem Zeitpunkt, zu dem Dr. Daniel die Patientin zuletzt gesehen hat, und ihrem Eintreffen hier in der Klinik lag etwa eine halbe Stunde. Wissen Sie, was in einer halben Stunde alles passieren kann?«

      »Aber wenn Dr. Daniel schreibt…«, begann Scheibler, doch es gelang ihm nicht, den Satz zu beenden.

      »Schweigen Sie!« herrschte Professor Thiersch ihn an, dann stand

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