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einer Tafel, die für fünfzig Personen ausgereicht hätte. Wenn sie zu dritt in diesem Zimmer saßen, dann fühlte sich Anke völlig verloren.

      Liebevoll legte Rainer einen Arm um die Schultern seiner jungen Frau. »Ich weiß, daß du diese gemeinsamen Mahlzeiten nicht besonders liebst, aber immerhin führen wir sonst ein sehr eigenständiges Leben, obwohl wir mit meinem Vater im selben Haus wohnen.«

      Wieder nickte Anke nur. Von einem eigenständigen Leben hatte sie eine völlig andere Vorstellung gehabt. Es kam nämlich nicht gerade selten vor, daß Martin Bergmann ganz überraschend in der Wohnung seines Sohnes auftauchte. Anke hatte dann immer das Gefühl, als wolle er sie kontrollieren, und vermutlich war das auch so.

      »Helga, legen Sie bitte das blaue Kleid für mich bereit«, wies Anke ihre Zofe an.

      Das junge Mädchen knickse artig. »Sehr wohl, gnädige Frau.«

      Eine Viertelstunde später ging Anke an Rainers Arm die breite, geschwungene Treppe hinunter und betrat das riesige Eßzimmer. Martin Bergmann hatte bereits am Ende der langen Tafel Platz genommen und blicke seinem Sohn und seiner Schwiegertochter mit mißbilligendem Blick entgegen.

      »Ihr kommt spät«, hielt er ihnen vor.

      »Tut mir leid, Vater, aber ich bin erst vor einer knappen Stunde aus dem Werk gekommen«, erklärte Rainer, während er Anke einen Stuhl zurechtrückte. Dann nahm er auf der gegenüberliegenden Seite Platz.

      »Vor einer Stunde«, grummelte Martin Bergmann. »Dann könntet ihr seit mindestens einer halben Stunde hier sein.«

      Rainer erwiderte nichts auf diesen Vorwurf, und sein Vater erwartete anscheinend auch keine Antwort, denn jetzt winkte er mit einer knappen Handbeweung dem Butler zu. Dieser wiederum forderte eines der Mädchen auf, die Vorspeise zu servieren.

      Das Abendessen ging wie gewöhnlich schweigend vorstatten. Erst als die Dessertschalen abgeräumt waren, richtete Martin Bergmann den Blick seiner kalten blauen Augen auf Anke.

      »Und? Bist du noch immer nicht schwanger?«

      Anke erschrak vor den Worten und dem scharfen Ton, in dem sie gesprochen worden waren, so sehr, daß ihr das Glas, das sie gerade in der Hand gehalten hatte, entglitt und auf dem kostbaren Marmorboden in tausend Scherben zerbrach.

      »Vater! Ich bitte dich«, fuhr Rainer den herrschsüchtigen alten Mann an. »Das ist doch wirklich eine Sache, die nur Anke und mich etwas angeht!«

      Dienstbeflissen kehrte eines der Mädchen die Glasscherben zusammen, während sich Martin Bergmann nun seinem Sohn zuwandte.

      »Findest du?« Sein Gesicht war dabei starr wie eine Maske. »Ich bin der Meinung, daß ich ein Recht darauf habe zu erfahren, wann ich nun endlich Großvater werde.«

      Rainer erwiderte den durchdringenden Blick seines Vaters mit der gleichen Kälte. Und seine ruhige Stimme gab nichts von der Wut preis, die in seinem Innern tobte.

      »Keine Angst, Vater, das wirst du schon rechtzeitig erfahren.« Dann stand er auf, ging um die Tafel herum und ergriff auf besonders sanfte Weise den Arm seiner jungen Frau. »Komm, Liebes.«

      An der Tür drehte er sich noch einmal kurz um. »Gute Nach, Vater.«

      Auch Anke zwang sich zu einem Abschiedsgruß, dann verließen sie das Eßzimmer endgültig und kehrten in ihre Räume zurück.

      »Er benimmt sich manchmal unmöglich«, erklärte Rainer und nahm Anke dabei zärtlich in die Arme. »Aber glaub mir, Liebling, er meint es nicht so. Er kann es nur nicht mehr erwarten, endlich Enkelkinder zu bekommen.«

      »Enkelsöhne«, verbesserte Anke voller Bitterkeit. »Mit einem Mädchen könntest du ihm keine Freude bereiten, abgesehen davon…« Sie stockte. Nein, in der Stimmung, in der sie sich jetzt befand, konnte sie mit Rainer nicht über das große Problem sprechen, das auf ihrem Herzen lag und sie beinahe zu erdrücken drohte.

      »Abgesehen davon?« hakte Rainer nach.

      »Nichts von Bedeutung« wehrte Anke ab, dann fuhr sie sich mit einer fahrigen Handbewegung über die Stirn. »Ich bin schrecklich müde. Macht es dir etwas aus, wenn ich früher zu Bett gehe?«

      Rainer küßte sie liebevoll. »Nein, natürlich nicht. Ich werde mich auch hinlegen. Schließlich hatte ich heute einen anstrengenden Tag.«

      Doch als Anke neben Rainer im Bett lag und seine gleichmäßigen Atemzüge hörte, war ihre eigene Müdigkeit wie weggeblasen. Unruhig wälzte sie sich von einer Seite auf die andere, und ebenso wälzte sie ihr Problem. Sie muße unbedingt mit Rainer sprechen – und das so bald wie möglich. Aber was würde dann sein? Würde er des Nachts weiterhin neben ihr liegen?

      Tränen stiegen Anke in die Augen, und unwillkürlich tastete sie neben sich, bis sie Rainers Wärme spüren konnte. Er seufzte im Schlaf und drehte sich auf die andere Seite.

      »Wenn ich dich verliere, dann will ich nicht mehr leben«, flüsterte Anke vor sich hin und kuschelte sich dabei ganz nah an ihren Mann, doch noch immer gelang es ihr nicht einzuschlafen. Stunde um Stunde lag sie wach und starrte in die Dunkelheit. Erst gegen Morgen fiel sie in einen unruhigen Schlaf, aus dem sie schon wenig später wieder erwachte.

      Das Bett neben ihr war leer, doch sie konnte Rainers Wärme noch fühlen. Anscheinend war er gerade erst aufgestanden. Einer plötzlichen Eingebung folgend, sprang Anke aus dem Bett. Sie mußte Rainer endlich die Wahrheit gestehen – jetzt, auf der Stelle, bevor sie der Mut wieder verlassen würde.

      Ohne anzuklopfen stürzte Anke ins Badezimmer, blieb dann aber wie angewurzelt stehen. Der Raum war leer. Nun gut, dann würde er es eben beim Frühstück erfahren.

      Anke duschte in Windeseile und zog dann nur Jeans und eine weiße Bluse an. Ihr Schwiegervater sah sie in solch salopper Kleidung nicht sehr gern, doch das war Anke im Augenblick egal. Beim Frühstück war Martin Bergmann ohnehin nur selten dabei.

      Rasch lief Anke die Treppe hinunter und trat dann forsch ins Eßzimmer, doch das erste, was sie sah, war ihr Schwiegervater, der am Ende der langen Tafel saß und ihr mit mißbilligendem Blick entgegensah.

      »Was hast du denn schon wieder für einen Aufzug an?« tadelte er mit barscher Stimme. »Los, geh nach oben und zieh dich um.«

      Er behandelt mich wie ein ungezogenes kleines Mädchen, mußte Anke unwillkürlich denken.

      »Wo ist Rainer?« fragte sie dann, ohne auf Martin Bergmanns Befehl zu reagieren.

      »Im Werk«, antwortete er knapp. »Es hat am frühen Morgen einen Zwischenfall gegeben. In einem der Labors ist Chlorgas ausgetreten.«

      Erschrocken schlug Anke die Hände vor den Mund. Sie wußte zwar nicht genau, wie gefährlich das war, aber allein der Ausdruck Gas jagte ihr schon Angst ein.

      »Ist jemand verletzt?« fragt sie atemlos.

      Martin Bergmann zuckte nur die Schultern. »Keine Ahnung. Und jetzt zieh dich endlich um, damit wir frühstücken können.«

      Fassungslos starrte Anke ihren Schwiegervater an. Dieser Mann war wirklich kalt wie Eis. Ein Menschenleben war in seinen Augen offensichtlich nicht viel wert, und unwillkürlich mußte Anke daran denken, was Rainer ihr über seine Mutter erzählt hatte.

      Alexandra Bergmann mußte eine zarte, warmherzige Frau gewesen sein, die an der Seite ihres Mannes kein besonders schönes Dasein geführt hatte. Bis zu Rainers Geburt mußte es noch einigermaßen erträglich gewesen sein, doch als Martin Bergmann erfahren hatte, daß Alexandra keine weiteren Kinder mehr bekommen konnte, hatte er sie nur noch mit Verachtung gestraft. Die sensible Frau mußte daran zerbrochen sein, doch nicht einmal ihr Tod vor fast fünfzehn Jahren hatte Martin Bergmann erschüttern können. Für ihn war es nur eine Art ausgleichende Gerechtigkeit gewesen, und die große Trauer seines Sohnes hatte ihn nicht weiter gerührt. Seiner Meinung nach mußte auch Rainer lernen, nur für die Zukunft zu leben.

      Während Anke den hartherzigen Mann vor sich betrachtete, fragte sie sich, wie er einen so zärtlichen und liebevollen Sohn zustande gebracht hatte. Und

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