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für die Frauen immer das Schlimmste, und im Gegensatz zu vielen anderen Ärzten war es für Dr. Daniel durchaus nachvollziehbar, was dieser Haarausfall für die Patientinnen bedeutete.

      »Seit fast einer Woche schläft Melissa im Gästezimmer, weil sie glaubt, ich müßte mich vor ihr ekeln«, fuhr Patrick leise fort. »Sie schließt sich ein und will niemanden sehen. Auch den Kindern zeigt sie sich nicht.«

      »Hat sie denn noch keine Perücke?« wollte Dr. Daniel wissen. »Sie wußte doch, daß dieser Haarausfall nicht ausbleiben würde.«

      Patrick nickte. »Natürlich wußte sie es, und sie hat sich auch eine Perücke gekauft – eine sehr hübsche sogar. Aber sie ist überzeugt davon, daß man es merkt. Sie glaubt, jeder würde sehen, daß sie eine Perücke trägt.« Er senkt den Kopf. »Das ist aber nicht das Schlimmste. Melissa findet sich selbst häßlich und ist der festen Überzeugung, daß ich genauso denke.«

      Forschend sah Dr. Daniel ihn an. »Und? Denken Sie so?«

      »Um Himmels willen, nein!« wehrte Patrick sofort ab, und Dr. Daniel sah ihm an, daß er die Wahrheit sagte. »Ich liebe sie doch, und ich liebe sie so, wie sie ist.«

      »Und es ist Ihnen nicht gelungen, ihr das deutlich zu machen?«

      Niedergeschlagen schüttelte Patrick den Kopf. »Nein. Und zwar aus dem einfachen Grund, weil sie mich gar nicht mehr in ihre Nähe läßt. Sobald ich nach Hause komme, schließt sie sich im Gästezimmer ein, und meinen Worten glaubt sie nicht.«

      Dr. Daniel überlegte nicht lange. »Dann werde also ich versuchen, mit ihr zu sprechen.« Er stand auf. »Am besten noch heute.«

      Völlig fassungslos starrte Patrick ihn an. »Sie wollen wirklich…« Er schüttelte den Kopf. »Es ist schon nach acht. Sie wollen doch auch in Ruhe Ihren Abend genießen.«

      »Glauben Sie, ich könnte den Abend genießen, wenn ich weiß, daß es einer meiner Patientinnen so schlechtgeht?« Dr. Daniel lächelte. »Machen Sie sich um mich keine Gedanken, Herr Feller. Auf mich warten noch eine Menge Abende, die ich genießen kann.«

      »Ich glaube, es gibt in ganz Deutschland keinen solchen Arzt wie Sie«, erklärte Patrick voller Überzeugung.

      »Sagen Sie das nicht«, entgegnete Dr. Daniel. »Ich bin sicher, daß es einige Ärzte gibt, die ihren Beruf ernstnehmen und für die ein Patient wichtiger ist als der Feierabend. So, und nun kommen Sie.«

      Eine gute halbe Stunde später hielten sie vor dem Haus in Grünwald an. Alles war dunkel, nur in einem Zimmer brannte noch Licht.

      »Das ist das Gästezimmer«, erläuterte Patrick und wies auf das Fenster, durch dessen heruntergelassene Rolläden Helligkeit schimmerte.

      Dr. Daniel nickte. »Das dachte ich mir schon.«

      Hinter Patrick betrat er das Haus und ließ sich dann die Tür zum Gästezimmer zeigen.

      »Es ist vielleicht besser, wenn ich zuerst allein mit ihr spreche«, meinte Dr. Daniel.

      Patrick nickte nur, dann zog er sich ins Wohnzimmer zurück. Dr. Daniel sah ihm nach. Er konnte sich gut vorstellen, wie es jetzt in diesem Mann aussah. Er liebte seine Frau, und es mußte ganz entsetzlich für ihn sein, von Melissa zurückgestoßen zu werden, nur weil sie der Meinung war, er könne ihren Anblick nicht mehr ertragen.

      Entschlossen wandte sich Dr. Daniel jetzt der Tür zu und klopfte

      energisch.

      »Frau Feller!« rief er. »Ich bin’s, Dr. Daniel. Lassen Sie mich bitte einen Augenblick herein.«

      Sekundenlang herrschte Stille, dann erklang Melissas Stimme: »Ich will niemanden sehen. Lassen Sie mich also bitte in Ruhe.«

      »Das werde ich ganz bestimmt nicht tun«, widersprach Dr. Daniel. »Wenn Sie mich nicht ins Zimmer lassen, dann müssen Sie mir eben durch die geschlossene Tür zuhören. Ich habe Ihnen nämlich einiges zu sagen, und davon werde ich mich nicht abhalten lassen.«

      Wieder vergingen ein paar Sekunden, dann drehte sich der Schlüssel im Schloß. Dr. Daniel atmete auf. Es war schon ein großer Sieg, daß sie ihn ins Zimmer ließ. Er drückte die Klinke hinunter und öffnete dieTür.

      Mit dem Rücken zu ihm stand Melissa am Fenster. Sie trug einen flauschigen Bademantel mit Kapuze. Jetzt drehte sie sich langsam um. Sie hatte die Kapuze so weit ins Gesicht gezogen, daß nur noch Nase und Mund sichtbar waren.

      »Patrick hat Sie also um Hilfe gebeten«, erklärte sie leise. »Mitten in der Nacht zerrt er Sie nach München, nur um…«

      »Moment mal«, unterbrach Dr. Daniel sie. »Erstens ist es nicht mitten in der Nacht, sondern erst kurz vor neun Uhr abends, und zweitens brauchte Ihr Mann mich nicht hierher zu zerren. Es war meine freie Entscheidung, nach München zu fahren.«

      Melissa winkte ab. »Das ist doch einerlei. Sie sind jedenfalls hier und wollen mich nun davon überzeugen, wie schön ich bin.« Mit einem Ruck riß sie die Kapuze herunter. »Da, sehen Sie mich an. Ich bin häßlicher als jede Horrorfigur im Fernsehen.«

      Mit prüfendem Blick betrachtete Melissa den Arzt und erwartete, in seinen Augen Entsetzen zu sehen. Doch Dr. Daniel hielt ihrem Blick mit bewundernswerter Ruhe stand.

      »Sie sind ganz und gar nicht häßlich«, erklärte er schließlich.

      »Wie bitte?« stieß Melissa hervor, dann griff sie an ihren Kopf. Als sie die Hand wegnahm, hatte sie ein Büschel dunkler Haare zwischen den Fingern. »Sie haben mich vorher gesehen, und Sie wissen, was für schönes, dichtes Haar ich hatte. Und jetzt? Sehen Sie mich doch an.«

      »Das mache ich ja die ganze Zeit«, meinte Dr. Daniel. »Aber ich kann nichts Schockierendes sehen.« Er schwieg einen Moment. »Sie verlieren Ihre Haare, aber das wußten Sie schon vorher. Dr. Scheibler hat es Ihnen betimmt gesagt. Er hat Ihnen aber auch gesagt, daß Ihr Haar nach Abschluß der Therapie wieder wachsen wird.«

      In diesem Moment sackte Melissa in sich zusammen und brach in Tränen aus.

      »Natürlich hat er es mir gesagt«, schluchzte sie. »Aber ich dachte… ich hatte doch so dichtes Haar, und ich dachte… bei mir würde es nicht…«

      Tröstend nahm Dr. Daniel die weinende Frau in den Arm.

      »Ich kann mir wahrscheinlich nicht einmal vorstellen, wie schlimm das für Sie ist«, erklärte er leise. »Aber Sie dürfen sich nicht einreden, daß Sie jetzt häßlich sind. Sicher, diese kahlen Stellen am Kopf, die sich mit dem noch verbliebenen spärlichen Haarwuchs abwechseln, sehen nicht sehr reizvoll aus. Aber glauben Sie nicht, daß Ihre Gesundheit dieses Opfer wert ist?«

      »Wenn ich daran nur glauben könnte«, entgegnete Melissa verzweifelt.

      »Noch vor zwei Wochen haben Sie daran geglaubt«, hielt Dr. Daniel dagegen.

      Melissa nickte. »Vor zwei Wochen… ja. Aber jetzt. Wenn ich die ganze Zeit so herumlaufen muß…«

      »Das müssen Sie doch gar nicht.« Dr. Daniel sah sich im Zimmer um, dann entdeckte er die Perücke. Er löste sich von Melissa und holte die herrliche dunkle Haarpracht. Fordernd hielt er sie Melissa entgegen.

      »Hier, setzen Sie die auf«, verlangte er, doch Melissa schüttelte nur den Kopf.

      »Man sieht schon von weitem, daß das nicht meine echten Haare sind«, erklärte sie voller Überzeugung.

      »Nein, Frau Feller, das sehen nur Sie.«

      Zweifelnd sah sie ihn an. »Glauben Sie wirklich?«

      Dr. Daniel nickte. »Ich bin überzeugt davon.«

      Noch ein wenig zögernd ergriff Melissa die Perücke, dann trat sie vor den Spiegel und setzte sie auf. Kritisch betrachtete sie sich, bevor sie sich zu Dr. Daniel umdrehte.

      Leicht gewelltes dunkles Haar umschmeichelte das noch immer ein wenig schmale blasse Gesicht. Dr. Daniel lächelte ihr aufmunternd zu.

      »Sie sehen wunderhübsch aus,

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