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»Schau mal, das haben Stefan und ich heute früh durch Zufall gesehen«. Sie legte die Zeitung auf den Tisch und wies auf eine Anzeige.

      Ihre Verlobung geben bekannt – Rainer Bergmann und Anke Richter

      »Na, das ist ja eine Überraschung«, urteilte Dr. Daniel. »Ich schätze, da wird die Hochzeit auch nicht mehr fern sein. Wenn ein Mann wie Rainer seine Verlobung öffentlich bekanntgibt, dann gedenkt er auch zu heiraten.«

      Karina lehnte sich in ihrem Sessel zurück und blickte mit einem verträumten Lächeln vor sich hin. »Das wird bestimmt eine tolle Hochzeit.« Sie sah ihren Vater an. »Glaubst du, daß wir eingeladen werden?«

      Bedächtig wiegte Dr. Daniel seinen Kopf hin und her. »Das kann ich mir kaum vorstellen. Immerhin habe ich die CHEMCO mehr als einmal öffentlich kritisiert, und da Rainer das Werk eines Tages übernehmen wird, müßte er auf mich nicht besonders gut zu sprechen sein.«

      »Da hast du zwar recht«, stimmte Karina ihm zu, »aber es könnte ja sein, daß er sich genau aus diesem Grund mit dir gut stellen will.« Sie grinste. »Allerdings fürchte ich, daß ihm das nicht gelingen wird.«

      Da seufzte Dr. Daniel. »Ach, weißt du, Karina, gegen Rainer habe ich eigentlich gar nichts einzuwenden. Er ist ein netter Kerl. Ich bin nur nicht damit einverstanden, wie die CHEMCO geleitet wird – abgesehen davon, daß diese unsinnige Chemiefabrik überhaupt nicht in unseren idyllischen Ort paßt. Und darüber hinaus ist die medizinische Versorgung im Werk einfach unter aller Kritik.«

      »Mir mußt du das nicht erzählen«, meinte Karina. »Die CHEMCO ist vielen hier ein Dorn im Auge. Andererseits gäbe es ohne das Werk eine Menge Arbeitslose mehr.«

      Dr. Daniel winkte ab. »Das stimmt natürlich, aber… ach, laß uns nicht weiter darüber diskutieren. Es führt ohnehin zu nichts.« Er lächelte Karina an. »Du bleibst doch hoffentlich über Nacht, oder?«

      »Natürlich, Papa. Ich fahre morgen früh von hier aus gleich zur Uni.«

      »Das ist schön. Wie geht’s Stefan? Der Lausebengel läßt sich ja überhaupt nicht mehr blicken.«

      Karina lachte. »Du kennst ihn doch, Papa. In München gibt’s für mein Bruderherz einfach mehr Action.«

      Drohend hob Dr. Daniel den Zeigefinger. »Hoffentlich leidet sein Studium nicht unter so viel Action.«

      »Bestimmt nicht.« Dann wurde Karina ernst. »Er arbeitet sehr viel, und soweit ich weiß, gehört er zu den besten seiner Klasse.«

      Dr. Daniel nickte zufrieden. »Das freut mich zu hören. Und wie steht’s bei dir?«

      Karina zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht. Manchmal habe ich das Gefühl, daß dieses Jurastudium nicht so ganz das Richtige für mich ist, dann wieder…« Sie winkte lächelnd ab. »Vergiß es, Papa. Im Augenblick ist alles so stressig. Wahrscheinlich bin ich deshalb ein bißchen unzufrieden.«

      Besorgt runzelte Dr. Daniel die Stirn. Solche Worte kannte er von seiner Tochter gar nicht. Bisher war sie mit ihrem Studium doch immer zufrieden… ja, richtig glücklich gewesen. Und jetzt auf einmal…

      »Unzufrieden? Warum denn, Karina?«

      Sie zuckte die Schultern. »Ich weiß auch nicht. Irgendwie scheint für Stefan alles leichter zu sein. Er wird einmal Gynäkologe werden und deine Praxis übernehmen. Wenn ich mein Studium hinter mir habe, dann muß ich mir etwas völlig Neues aufbauen, und davor habe ich ehrlich gesagt ein bißchen Angst.«

      Dr. Daniel lächelte. »Aber, Kleines, so weit ist es doch noch lange nicht. Und du glaubst ja wohl nicht, daß ich dir jegliche Unterstützung versagen werde.« Dann wurde er ernst. »Außerdem ist es noch gar nicht sicher, daß Stefan jemals meine Praxis übernehmen wird.«

      Karina winkte ab. »Ich weiß schon, welch große Töne mein Bruderherz immer spuckt, aber das solltest du nicht zu ernst nehmen. Mensch, Papa, er wäre doch dumm, wenn er die Praxis nicht übernehmen würde.«

      »Tja, das dachte ich früher auch«, seufzte Dr. Daniel. »Er bräuchte sich nur ins gemachte Nest zu setzen.« Er zuckte die Schultern. »Aber vielleicht ist es gerade das, was er nicht will.« Dann lächelte er. »Oder er hat sich nur wieder über mich geärgert und deshalb gesagt, daß er die Praxis nicht will. Stefan kann ja manchmal recht empfindlich sein, was mich betrifft.«

      »Da hast du recht«, stimmte Karina ihrem Vater zu. »Warte nur mal ab, bis er seinen Facharzt in der Tasche hat, dann wird er mit Freuden in der Praxis mit einsteigen.«

      *

      Melissa Feller erholte sich von der Operation relativ schnell, und so ordnete Professor Thiersch früher als geplant den Beginn der Chemotherapie an. Wieder schickte er Dr. Scheibler vor, um die letzten Fragen der Patientin zu klären, denn der Professor wußte sehr gut, daß er für diese Art von Gesprächen nicht über den richtigen Tonfall verfügte.

      »Nun, Frau Feller, wie fühlen Sie sich heute?« erkundigte sich der junge Stationsarzt, als er das Zimmer seiner Patientin betrat.

      Melissa richtete sich im Bett auf. Noch immer war ihr Gesicht sehr blaß, und sie wirkte schmal und zerbrechlich.

      »Wie soll ich mich wohl fühlen, Herr Doktor?« fragte sie zurück. »Ich weiß, daß ich Krebs habe und daß ich über kurz oder lang doch daran sterben werde – auch wenn Sie und Dr. Daniel das bestreiten.«

      Dr. Scheibler fühlte sich einen Moment lang völlig hilflos, weil diese Frau ihre Lage so realistisch einschätzte. Genau das war aber für die Chemotherapie denkbar schlecht.

      »Sie müssen ganz fest daran glauben, daß Sie wieder gesund werden«, meinte Dr. Scheibler und spürte, wie schwach dieses Argument für sie klingen mußte.

      »Daran glauben«, wiederholte Melissa voller Bitterkeit, dann winkte sie ab. »Sprechen wir nicht mehr darüber. Sagen Sie mir lieber, was Sie jetzt weiter mit mir vorhaben.«

      Dr. Scheibler zog sich einen Stuhl an Melissas Bett und setzte sich.

      »Wir beginnen morgen mit der Chemotherapie. Es handelt sich dabei um das Medikament Taxol, das aus der pazifischen Eibe gewonnen wird.« Er atmete tief durch. Jetzt kam der schwierigste Teil. »Gerade bei Eierstockkrebs wurden damit schon große Erfolge erzielt, allerdings… es gibt auch Nebenwirkungen.«

      »Die Haare werden mir ausgehen«, erklärte Melissa, bevor Dr. Scheibler es noch aussprechen konnte.

      Der junge Arzt nickte. »Ja, aber ich kann Sie da beruhigen. Nach Abschluß der Therapie werden sie wieder wachsen. Und selbstverständlich bekommen Sie von der Krankenkasse eine Perücke bezahlt.«

      In diesem Augenblick brach Melissa in Tränen aus. »Was hilft mir denn das? Glauben Sie, mein Mann kann mich noch lieben, wenn ich aussehe wie Frankensteins Großmutter?«

      Dr. Scheiblers Herz zog sich vor Mitleid zusammen. Impulsiv griff er nach Melissas Hand und drückte sie sanft.

      »Frau Feller, Ihr Gesicht wird sich doch nicht verändern.« Er seufzte leise. »Ich kann mir vorstellen, wie schlimm es für Sie ist, Ihre Haare zu verlieren, aber wenn Sie wieder gesund werden, dann ist das doch…«

      Mit tränennassen Augen sah sie zu ihm auf. »Und wenn ich nicht gesund werde?«

      »So etwas sollten Sie nicht einmal denken.«

      »Sie haben leicht reden!« stieß Melissa voller Bitterkeit hervor. »Was glauben Sie denn…«

      Ein Klopfen an der Tür unterbrach sie, und im nächsten Moment trat Patrick ein.

      »Wo sind Angi und Bea?« fragte Melissa sofort.

      Patrick lächelte entschuldigend. »Sie wollten in den Reitstall gehen, und ich dachte…«

      »Bei meinen Kindern bin ich also schon vergessen«, fiel Melissa ihm ins Wort.

      Patrick erschrak zutiefst. »Melissa, um Himmels willen, was redest du da für einen Unsinn! Angi und Bea sprechen jeden Tag von dir, und sie können es kaum noch erwarten,

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