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wandte Melissa den Kopf zur Seite. »Ach, lassen Sie mich doch einfach in Ruhe. Es hilft ohnehin nichts. Zuerst haben Sie gesagt, die Operation sei nötig, jetzt ist es Chemotherapie, und danach…« Sie winkte schwach ab. »Es ist doch alles sinnlos. Sterben muß ich ja sowieso.«

      »Nein, Frau Feller, so dürfen Sie nicht denken«, mischte sich Dr. Daniel in seiner ruhigen, besonnenen Art ein, der nicht anzumerken war, wie groß seine innere Anteilnahme war. »Dieses Taxol ist ein äußerst vielversprechendes Medikament. Es wird in Amerika seit Jahren mit Erfolg angewandt, und Ihre Chancen, den Krebs damit zu besiegen, stehen wirklich nicht schlecht. Aber Sie müssen auch selbst etwas dafür tun. Sie müssen Ihren Lebensmut wieder wecken, und Sie müssen an die Therapie glauben.«

      Voller Verzweiflung sah Melissa ihn an. »Wie soll ich das? Ich kenne dieses verdammte Medikament nicht, und ich weiß nur, daß ich Krebs habe. Eine tödliche Krankheit, die schon unzählig viele Menschen besiegt hat. Wie soll ausgerechnet ich eine Ausnahme sein?«

      »Was haben Sie für Vergleichsmöglichkeiten, Frau Feller?« entgegnete Dr. Daniel. »Sie wissen nur das, was in Zeitungen und Zeitschriften steht, und der tragische Todesfall eines Prominenten gibt für einen Journalisten nun mal viel mehr her als die Heilung etlicher Unbekannter.«

      Die Worte machten Melissa nachdenklich.

      »Heißt das… ich habe wirklich noch eine Chance?« fragte sie nach einer Weile des Schweigens.

      Dr. Daniel nickte. »Ja, Frau Feller. Wenn Sie an Ihre Heilung glauben, dann haben Sie mehr als nur eine Chance.«

      Wie suchend glitt Melissas Hand über die Bettdecke. Patrick bemerkte es und ergriff sie. In diesem Moment wandte Melissa ihm ihren Blick zu.

      »Was sagst du, Patrick? Glaubst du auch daran, daß ich gesund werde?«

      Patrick versuchte vergeblich, den entsetzlichen Kloß, der ihm im Hals steckte, hinunterzuschlucken, und so nickte er nur.

      Dr. Daniel stand auf und gab dem jungen Stationsarzt ein Zeichen, sich ebenfalls zu erheben.

      »Wir lassen Sie jetzt eine Weile allein«, meinte er dann. »Wenn Sie noch Fragen haben, steht Ihnen Dr. Scheibler jederzeit zur Verfügung, und wenn Sie mit mir sprechen möchten, dann rufen Sie mich jederzeit an – in der Praxis oder zu Hause.«

      »Danke, Herr Doktor«, brachte Melissa leise hervor, dann sah sie dem Arzt nach, und ein Gefühl der Sicherheit stieg in ihr hoch. Ein sehr schwaches Gefühl zwar noch, aber zum ersten Mal, seit sie die schreckliche Nachricht von ihrer Krankheit bekommen hatte, konnte sie daran glauben, daß sie irgendwann vielleicht doch geheilt sein würde.

      *

      »Das war ziemlich mutig von Ihnen«, meinte Dr. Scheibler, als er mit Dr. Daniel auf dem Flur stand. »Wie können Sie dieser Frau Heilung versprechen, wenn…«

      »Ich habe es ihr nicht versprochen«, verbesserte Dr. Daniel. »Ich habe ihr nur Mut gemacht, und den hat sie bitter nötig. Ihr Mann ist viel zu besorgt um sie, um wirklichen Optimismus ausstrahlen zu können. Außerdem hat er Angst, und das spürt Frau Feller. Seine Angst macht ihr wiederum noch mehr Angst. Und wenn sie sich erst mal beide in diesen Teufelskreis verstrickt haben, dann finden sie nie wieder heraus. Deshalb ist mir fast jedes Mittel recht, um in einem kranken Menschen Optimismus zu wecken, und ich glaube, es ist mir auch ein wenig gelungen.«

      Mit leiser Bewunderung sah Dr. Scheibler den Arzt an. Er selbst hätte es nie gewagt, Melissa Feller solche Hoffnungen auf Heilung zu machen, aber wahrscheinlich war er noch viel zu sehr Mediziner, um daneben auch noch Mensch zu sein. Dr. Daniel schien es jedoch geschafft zu haben, diese beiden Dinge zu vereinen. Wenn man Professor

      Thiersch glauben konnte, dann war er ein ausgezeichneter Arzt, besaß aber soviel Menschlichkeit, daß er in anderen automatisch Vertrauen weckte.

      »So, Herr Kollege, ich lasse Sie jetzt allein«, erklärte Dr. Daniel und riß Dr. Scheibler damit aus seinen Gedanken. »In meiner Praxis wartet haufenweise Arbeit auf mich. Aber wenn Sie mich brauchen sollten, stehe ich natürlich jederzeit zur Verfügung.«

      Dr. Scheibler lächelte ihn dankbar an. »Das ist sehr nett von Ihnen. Wissen sie, ich bin noch nicht sehr lange hier an der Klinik, und so fast aussichtslose Fälle wie der von Frau Feller verunsichern mich immer noch ein bißchen.«

      »Es gibt keine aussichtslosen Fälle«, belehrte Dr. Daniel ihn. »Man sollte die Hoffnung nie aufgeben – mag die Krankheit noch so schwer sein, und das gilt nicht nur für den Patienten, sondern auch für seinen behandelnden Arzt. Wenn der Arzt nämlich die Hoffnung aufgibt, dann spürt das der Patient ganz instinktiv und verliert ebenfalls die Hoffnung. Merken Sie sich das, Herr Kollege.«

      Dr. Scheibler nickte ernsthaft. »Ja, das werde ich mir ganz bestimmt merken.«

      »Ihre Patienten werden es Ihnen danken«, prophezeite Dr. Daniel, dann reichte er dem jungen Arzt die Hand. »Auf Wiedersehen, Herr Kollege.«

      Mit langen Schritten eilte Dr. Daniel den Flur entlang. In seiner Praxis war bestimmt schon wieder die Hölle los, aber Melissa Feller war ihm im Augenblick wichtiger als alles andere. Sie brauchte seinen Beistand so dringend, und das würde noch eine ganze Weile so bleiben, dessen war Dr. Daniel sicher.

      Nahezu in Rekordzeit legte er den Weg von München nach Steinhausen zurück und hielt den Wagen schließlich vor seiner Villa an. Er war so in Eile, daß er den roten VW-Käfer mit den schwarzen Punkten, der auf dem Patientenparkplatz stand, gar nicht bemerkte.

      Forschen Schrittes betrat er die Praxis, dann blieb er wie angewurzelt stehen, denn bei seinem Eintreten drehte sich die junge Frau, die am Schreibtisch der Empfangsdame gelehnt hatte, um.

      »Karina!« rief Dr. Daniel überrascht aus, als er seine Tochter erkannte. »Was tust du denn hier? Heute ist doch nicht Freitag.«

      Das junge Mädchen lachte. »Na, das ist aber eine herzliche Begrüßung. Außerdem müßtest du längst wissen, daß ich da bin, oder hast du etwa meinen Marienkäfer nicht gesehen?« Sie wies in die Richtung, in der der Parkplatz lag.

      »Ich habe gar nicht aufgepaßt«, gestand Dr. Daniel. »Weißt du, ich komme gerade aus München, deshalb bin ich für die Nachmittagssprechstunde reichlich spät dran.«

      »Es sitzen auch schon vier Damen im Wartezimmer«, mischte sich Gabi Meindl ein.

      Dr. Daniel küßte seine Tochter flüchtig auf die Wange. »Du entschuldigst mich, Karina, aber die Arbeit ruft. Geh inzwischen nach oben. Soviel ich weiß, hat Irene Apfelkuchen gebacken. Ich komme, sobald ich fertig bin. Und dann erzählst du mir, weshalb du so außerplanmäßig in Steinhausen aufkreuzt.«

      »Wird gemacht, Papa«, entgegnete sie, winkte der jungen Empfangsdame zu und verließ dann die Praxis.

      Dr. Daniel zog sich in sein Sprechzimmer zurück und bat Lena Kaufmann, die erste Patientin aufzurufen.

      Die Sprechstunde zog sich in die Länge, und so ging es schon auf acht Uhr abends, als Dr. Daniel endlich in seine Wohnung hinaufgehen konnte. Mit einem tiefen Seufzer ließ er sich auf das Sofa fallen.

      »Mein lieber Mann, heute bin ich aber geschafft«, stöhnte er.

      »Armes Papilein«, meinte Karina und streichelte im tröstend durch das dichte Haar. »Aber was tust du auch mitten in der Woche in München?«

      Dr. Daniel wurde ernst. »Ein schwieriger Fall, Karina. Eine fünfundvierzigjährige Frau, Mutter von zwei halbwüchsigen Mädchen, ist an Krebs erkrankt – sehr schwer sogar.« Er seufzte leise. »Meine Anwesenheit in München wird in den nächsten Wochen voraussichtlich noch öfter vonnöten sein.« Dann schüttelte er diese finsteren Gedanken gewaltsam ab. »Aber jetzt erzähl, Liebes. Warum bist du hier? Du hast doch nicht etwa dein Studium geschmissen?«

      Karina lachte auf. »Wo denkst du hin, Papa!« Sie schüttelte den Kopf. »Ach, weißt du, ich hatte gar keinen bestimmten Grund herzukommen. Eigentlich wollte ich nur mal sehen, wie’s dir geht.«

      »Von ein bißchen Streß abgesehen ganz gut.« Dann lächelte er. »Da ist

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