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Peking-Paris im Automobil. Luigi Barzini
Читать онлайн.Название Peking-Paris im Automobil
Год выпуска 0
isbn 4064066114398
Автор произведения Luigi Barzini
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Am selben Abend suchte mich ein italienischer Gendarm im Hotel der Schlafwagengesellschaft auf und überbrachte mir ein Schreiben, das für mich auf der italienischen Gesandtschaft abgegeben worden war, sowie ein Briefchen.
Das Schreiben war von der Redaktion des „Corriere della Sera“ und ergänzte — nach beinahe zwei Monaten — die Depesche, die ich in Neuyork erhalten hatte. Es benachrichtigte mich, daß ich auf der „Itala“ des Fürsten Borghese an der Wettfahrt teilnehmen solle. Ich war sehr erfreut. Eine andere Notiz, die ich mit unverhohlener Genugtuung begrüßte, besagte, daß ich infolge eines zwischen dem „Corriere della Sera“ und dem „Daily Telegraph“ geschlossenen Vertrags ersucht wurde, einen regelmäßigen telegraphischen Nachrichtendienst über die Fahrt Peking–Paris auch für das große Londoner Blatt zu übernehmen.
Straße in Nankou.
Ich vergesse nie, daß ich mir meine ersten journalistischen Sporen in London verdient habe. Seit jener Zeit, die ich als Berichterstatter auf englischem Boden zubrachte und während der sich meine Seele an dem großartigen Schauspiel einer einheitlichen, sich über den ganzen Erdball erstreckenden Tätigkeit weidete, hatte ich ein Gefühl der Dankbarkeit und überzeugter Bewunderung für England, sowie der rückhaltlosen Anerkennung des englischen Journalismus in mir bewahrt. Ich betrachtete die Aufforderung, am „Daily Telegraph“ mitzuarbeiten, als einen schmeichelhaften Vertrauensbeweis und nahm sie mit ehrerbietiger Eile an.
Das mir von dem Gendarmen überbrachte Briefchen war vom Fürsten Borghese. Er war schon vor einer Woche eingetroffen. Er hieß mich willkommen und ersuchte mich um eine Begegnung am 6. Juni. Wir hatten uns nie im Leben gesehen, und da es uns beschieden sein sollte, monatelang zusammenzuleben und Brot und Mühseligkeit während einer langen, abenteuerlichen Reise zu teilen, so hatten wir beide ein lebhaftes Verlangen, uns kennen zu lernen. Ich würde sofort zu ihm geeilt sein, um ihn aufzusuchen, wenn er mir in seinem Billett nicht mitgeteilt hätte, daß er sich in diesem Augenblicke einige hundert Kilometer von Peking befinde, in der Absicht, die Straße nach Kalgan zu erkunden und zu erproben, ein genügender Grund, um mich zu geduldigem Warten zu veranlassen.
Ich blieb an jenem Abend bis tief in die Nacht auf der Veranda des Gasthofes sitzen und gab mich den Träumen meiner Phantasie hin. Ich erkannte mein altes Peking nicht wieder, die prachtvolle Hauptstadt der Starrheit, die ich vor sieben Jahren verlassen hatte. Damals war sie da und dort verwüstet infolge der Belagerung der Gesandtschaften und der Wiedervergeltung von seiten der zivilisierten Welt, aber sie war noch unberührt in ihrem Geiste und in ihrem Aussehen, sich selbst treu, seltsam, einzigartig, umgeben von der geheiligten Linie ihrer ungeheueren Mauern. Jetzt erhoben sich im Gesandtschaftsviertel in den vom Sonnenuntergange geröteten Himmel eine Menge Dächer europäischer Paläste und Villen, Kirchturmspitzen, Türme mit und ohne Uhren, das Profil einer modernen Stadt des Westens, das die in der Ferne sich erhebenden zierlichen Pagoden innerhalb der Umwallung der Kaiserstadt zum Teil verdeckte. Elektrische Lampen flammten in der Straße auf und beleuchteten die Uniformen vorübergehender europäischer Soldaten. In der Richtung auf das Hata-men-Tor ertönten die Pfiffe der Lokomotiven. Jeden Augenblick ließ sich im Innern des Hotels die Telephonklingel vernehmen, die die Klänge eines Orchesters übertönte. Und das Orchester, ein europäisches, spielte vor einer Versammlung chinesischer Würdenträger, die ohne Eßstäbchen aßen. Ich dachte daran, daß wir im Begriff standen, so vielen beklagenswerten Neuerungen noch das Automobil hinzuzufügen ...! China macht Fortschritte, sagte ich mit einem gewissen Bedauern zu mir selbst.
Der folgende Tag belehrte mich jedoch, daß China in der Tat keine Fortschritte gemacht hatte. Denn alle die Neuerungen, die so großen Eindruck auf mich gemacht hatten, waren gewissermaßen nur Gefangene, die in einer Art Europäisierungsanstalt eingeschlossen waren; sie gingen nicht über die Mauern des Gesandtschaftsviertels hinaus, das überdies stark befestigt war. Ringsherum lag unberührt, sich immer gleichbleibend, die unermeßliche Stadt, das Peking vergangener Jahrhunderte. Und in diesem Peking, in einem alten Palaste mit vielen Höfen, hielt ein Rat weiser und verehrungswürdiger Männer, der Wai-wu-pu, der Große Rat des Himmlischen Reiches, Wache gegen jede Entweihung durch den Westen.
An der Spitze des Wai-wu-pu stand der berühmte Na Tung, einst Haupt-Boxer, Ex-Zum-Tode-Verurteilter, dessen Kopf die Mächte als Bedingung des Friedens von 1900 gefordert hatten. Statt dessen war er eine Art Minister des Auswärtigen geworden und hatte natürlich seinen Kopf behalten — und in dem Kopfe seine Ideen! In diesem Augenblick war der Große Rat mit Eifer darauf bedacht, das Reich vor einem neuen, schrecklichen Feinde zu beschützen.
Dieser Feind hieß Ki-tscho oder „Kraftwagen“, eine anmutige Neubildung, die bei Gelegenheit zur Bezeichnung des Automobils entstanden war. Man sprach nur vom Ki-tscho, wie man einst vom „Huo-tscho“, dem „Feuerwagen“ (auf europäisch: Eisenbahn), gesprochen hatte. Weshalb kommen die Ki-tscho? Was wollen sie? Angstvolle Fragen, die den Wai-wu-pu in tiefes Nachsinnen über die Geschicke Chinas versenkten. In den Kopf eines chinesischen Mandarinen wollte der Gedanke nicht hinein, daß die Ki-tscho nur von Peking nach Paris fahren wollten, sogar ohne für dieses mühevolle Unternehmen Bezahlung zu verlangen. Um nach Paris zu gelangen, existierten raschere, sichere, bewährte Mittel. Es lagen sicher geheimnisvolle, uneingestehbare Gründe für eine derartige Seltsamkeit vor. Der Wai-wu-pu zweifelte nicht, daß Europa ein Experiment plane. Aber was für eins?
Prinz Tching, ein Mann von weitem Blick, neigte zu dem Glauben, die Europäer wollten die Möglichkeit studieren, mit Hilfe von Automobilzügen rasch mit China in Verbindung zu treten, ohne fernerhin genötigt zu sein, es um Eisenbahnkonzessionen zu ersuchen. Die angeblichen Automobilisten waren selbstverständlich alles Ingenieure unter dem Oberbefehl eines italienischen Fürsten. Das Projekt bedeutete den völligen Ruin der chinesischen Eisenbahngesellschaft, die die Linie nach Kalgan baute, eine Linie, die bereits bis Nankou geführt worden war. Und an dieser Gesellschaft war Prinz Tching mit Kapital beteiligt ...
Na Tung betrachtete die Dinge unter einem noch schrecklicheren Gesichtspunkte. Die Ki-tscho suchten nach seiner Meinung eine Straße zum Einbruche in das Reich. War nicht früher die Mongolei der Weg gewesen, auf dem die Gefahr nahte? Hatte nicht die Große Mauer zur Verteidigung des Reiches nach dieser Seite hin gedient? Welche Mauer hätte den Durchgang für ein Heer von Ki-tscho sperren können, das unter dem ersten besten Vorwand eines Boxeraufstandes von den Bergen herabsteigen und diesmal zur rechten Zeit kommen würde, um — o weh! — die dazu bestimmten Köpfe der diplomatischen Körperschaft abzuschneiden? Die Automobilisten, die sich an der Fahrt Peking–Paris beteiligten, waren selbstverständlich nichts anderes als unter dem Oberbefehl eines italienischen Fürsten stehende Offiziere.
Einen Beweis für den Ernst der Lage fand der Wai-wu-pu darin, daß die Gesandten von Frankreich, den Niederlanden, Italien und Rußland in Peking sich lebhaft für das Gelingen der Automobilfahrt interessierten. Namentlich die ersten drei bombardierten die gestrenge Versammlung mit offiziellen und offiziösen Noten, in denen sie die sofortige Ausstellung von Pässen für die Fahrt durch die Mongolei verlangten, ausgefertigt auf die Namen der Automobilisten, ihrer Landsleute (die entweder Ingenieure oder Offiziere waren). Was sollte man tun? Man mußte für das Wohl des Vaterlandes streiten, und der Wai-wu-pu stritt. Er begann mit der Verweigerung der Pässe.
Unsere Kulis an einem Haltepunkte.
Es fanden zahlreiche Besuche seitens der europäischen Sekretäre statt; der Wai-wu-pu bot ihnen Tee an, widerstand aber heldenhaft all ihrem Ansinnen. Im Grunde genommen war der Wai-wu-pu eigens zu dem Zwecke geschaffen worden, den Europäern nein zu sagen. Die Europäer verlangten Häfen, Bergwerke, Eisenbahnen, Universitätslehrstühle, Entschädigungen für mißhandelte Missionare, und China sah die Notwendigkeit einer Organisation der Verteidigung ein. Es hatte jenen Tsungli-jamen gesegneten Angedenkens ins Leben gerufen, dessen Hauptaufgabe darin bestand, alle europäischen Forderungen in der Schwebe zu erhalten, indem er die Antworten