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sie an den Wangen fest. Aber ein geschickter Chirurg ist nicht immer ein geschickter Bildhauer, und daher ist die Nase des Fürsten etwas unsymmetrisch geblieben. Im Scherze beklagt er sich darüber, schilt auf seine Nase, beschuldigt sie, bei Temperaturwechsel rot anzulaufen wie ein chemisches Barometer; aber diese seine Vorwürfe sind übertrieben; die leichte Unregelmäßigkeit der Physiognomie ist kaum sichtbar.

      Wir begrüßten uns, als hätten wir uns von jeher gekannt. Ein Handschlag, und wir begannen von der Fahrt zu sprechen. Wie war er auf den Gedanken gekommen, daran teilzunehmen? Sehr einfach. Alle drei bis vier Jahre unternimmt er eine große Reise, und dieses Jahr hatte er sich entschlossen, gerade nach Peking zu gehen, das er noch nie besucht hatte und wo ein Bruder von ihm, Don Livio, als Geschäftsträger an der Spitze der italienischen Gesandtschaft steht. Und da las er eines Morgens in Rom, während er beim Frühstück die Zeitungen durchblätterte, im „Matin“ von der seltsamen Herausforderung. Sie schien geradezu auf ihn gemünzt zu sein. Unverzüglich telegraphierte er an die Automobilfabrik „Itala“ und fragte an, ob sie geneigt wäre, ihm eine Maschine für diese Fahrt zu liefern, für die er die ganze Organisation, die Ausführung und die Kosten übernehmen wolle. Die Antwort lautete natürlich bejahend, und nun meldete er dem „Matin“ seine Beteiligung. Sofort begann er die Vorbereitungen.

Durch die Sanddünen bei Huai-lai.

      Durch die Sanddünen bei Huai-lai.

      Er nahm an den Versammlungen der Unterzeichner in Paris nicht teil, sondern beauftragte nur einen seiner Vertreter (es war Fournier, der Sieger der Automobilwettfahrt Paris–Bordeaux), sich über die Bedingungen zur Teilnahme an der Wettfahrt zu unterrichten. Es war nur eine einzige Bedingung zu erfüllen: die Zahlung von 2000 Franken an den Automobilklub von Frankreich (Kommission für Wettfahrten). Die 2000 Franken würden in Peking an die einzelnen Teilnehmer zurückgezahlt werden. Übrigens hatte der „Matin“ bereits eine ausdrückliche Erklärung veröffentlicht: „Es gibt weder Formalitäten, denen man sich zu unterwerfen hätte, noch Bestimmungen, die hinderlich sein könnten. Es handelt sich darum, von Peking im Automobil abzufahren und in Paris anzukommen.“

      Die vom Fürsten gewählte Maschine gehörte dem gewöhnlichen italienischen Typus von 35–50 Pferdekräften an. Am Motor und am Chassis waren keine Veränderungen angebracht; nur waren die Ecken des Rahmens und die Federn verstärkt worden, und die Maschine war auf höhere und stärkere Räder montiert worden als gewöhnlich. Um ihnen eine größere Widerstandsfähigkeit gegen das Einsinken zu geben, wurden die Räder mit Pneumatiks von größtem Durchmesser aus der Fabrik von Pirelli in Mailand versehen. Der Fürst hielt darauf, daß alles an dem Automobil italienischer Herkunft sei. Die Karosserie bestand aus zwei Vordersitzen für den Fürsten und den Chauffeur und einem Hintersitze für mich. Zu den Seiten meines Sitzes waren zwei lange zylindrische Behälter für das Benzin angebracht, jeder zu 200 Liter Inhalt, die mit eisernen Ringen befestigt waren. Hinter dem Sitze befand sich ein Kasten, ähnlich dem Protzkasten der Artillerie, zur Aufbewahrung der Werkzeuge und Ersatzstücke. Auf dem Kasten war ein dritter zylindrischer Behälter zur Aufnahme des Wassers angebracht. Das Gepäck mußte mit Stricken auf dem Kasten und dem Wasserbehälter festgeschnürt werden. Der Raummangel und die Notwendigkeit, den hinteren Teil des Automobils, der schon an sich zu schwer war, nicht übermäßig zu belasten, nötigten uns, das Gepäck auf das unentbehrlichste Mindestmaß zu beschränken, auf etwa 15 Kilo pro Person. Unter meinem Sitze war ein 100 Liter fassender Ölbehälter angebracht, von dem ein mit einem Hahn versehenes Ausflußrohr nach außen führte. Unter den Vordersitzen befand sich eine große Kiste zur Aufnahme des Mundvorrates, der zum großen Teil aus Büchsenfleisch aus Chicago bestand. Eine Eigentümlichkeit des Automobils waren die Schutzwände, bestehend aus vier langen, festen, eisenbeschlagenen und an den Tritten mit einem Scharnier befestigten Brettern, die leicht abgenommen werden konnten und gleichzeitig dazu bestimmt waren, beim Passieren von Wasserläufen, sowie in sumpfigem oder sandigem Gelände als Brücken zu dienen. Im ganzen hatte unser Fahrzeug, das keinem der sonst bekannten Automobile glich, ein seltsames und furchtbares Aufsehen. Es machte den Eindruck eines gepanzerten Wagens, eines Kriegswerkzeuges. Infolge der großen Benzinbehälter konnte es allerdings auch einen harmloseren Eindruck machen, indem es ein wenig an einen etwas komplizierten Sprengwagen erinnerte. (Näheres siehe Anhang II.)

      Zur Ergänzung der Vorräte während der Fahrt hatte der Fürst der russischen Firma Nobel den Auftrag gegeben, auf der Strecke Kiachta–Moskau in der Entfernung von etwa 250 Kilometer voneinander Depots anzulegen. Das Benzin und das Öl, das wir mit uns führen konnten, reichte für 1000 Kilometer aus, was genügte, uns eine gewisse Freiheit in unserem Reiseplan zu sichern. Das Haus Nobel ist Eigentümer fast aller sibirischen Petroleumquellen; es besitzt in jeder Stadt Sibiriens große Niederlagen und Raffinerieanlagen; es hat stets seine Spezialwaggons auf allen Eisenbahnlinien rollen und ganze Karawanen von Wagen auf allen Straßen. Die Firma interessierte sich lebhaft für den Versuch einer Durchquerung Sibiriens mittels des Automobils, an die sich in Zukunft eine Entwicklung des Automobilwesens in jenen Landstrichen und ein Verbrauch ihres Benzins knüpfen konnte. Niemand hätte also besser als Nobel unseren Versorgungsdienst organisieren können, für den die Arbeit seit März im Gange war.

      Die Russisch-Chinesische Bank, die ebenfalls ein unmittelbares Interesse an jeder Verbesserung der Verkehrsmittel und des Warenaustausches im fernen Osten hat, erleichterte dem Fürsten seine Aufgabe dadurch, daß sie ihm wertvolle Auskünfte über die Straßen, die Einwohner und über die Preise der notwendigsten Dinge gab. Sie tat noch mehr: sie übernahm die Beförderung des Benzins und des Öls durch die Mongolei und beauftragte ihre Filialen in Kalgan, Urga, Kiachta, Werchne-Udinsk und Irkutsk, uns in jeder möglichen Weise zu unterstützen. Die Russisch-Chinesische Bank verschaffte uns in der Tat auf der Anfangsstrecke unserer Fahrt die Annehmlichkeiten der herzlichsten Gastfreundschaft.

      Die Vorbereitungen wurden durch den Ankauf der besten Karten der zu durchfahrenden Landstriche vervollständigt: deutsche Karten von Ostchina, Karten des russischen Generalstabs im Maßstabe 1:250 000, herausgegeben von dem Kartographischen Institut in Petersburg, und Karten der Verkehrswege des Russischen Reiches, veröffentlicht vom Verkehrsministerium.

      In den ersten Tagen des April waren der Fürst, Ettore und die „Itala“ reisefertig und konnten Italien verlassen. Sie begaben sich in Neapel an Bord eines der Dampfer des Norddeutschen Lloyd, der einen vierzehntägigen Dienst nach dem äußersten Osten unterhält. Am Abend vor der Abfahrt befanden sich das Automobil und der Chauffeur bereits in Neapel.

      Der Fürst war noch in Rom geblieben, um die letzten Abschiedsbesuche und die letzten Geschäfte zu erledigen, als ihm ein Telegramm aus Paris zuging, das ihn in äußerstes Erstaunen versetzte.

      In Paris hatte die Verpflichtung, 2000 Franken einzuzahlen, die Schar der Teilnehmer erheblich gelichtet. Mehrere Unterschriften waren nur dem berechtigten Wunsche zu verdanken gewesen, den Namen des Teilnehmers in den Zeitungen gedruckt zu sehen. Sich bei einer Wettfahrt Peking–Paris Mitbewerber zu nennen und nennen zu lassen, war eine genügende Reklame; mehr zu tun, wäre des Guten zuviel gewesen. Die Übrigbleibenden, die Treuen fühlten sich entmutigt. Bei den langen Diskussionen stellten sich neue Schwierigkeiten heraus, tauchten neue Probleme auf. Man braucht in der Tat ein Projekt nur zu diskutieren, um es schließlich absurd zu finden; das Wesen der Diskussion besteht in den Einwänden. Die Begeisterung stärkt sich am Handeln, verschwindet aber beim Reden. Das Wort ist zu vernünftig, es sieht alle Hindernisse, alle Widerwärtigkeiten voraus, es ist pessimistisch. Würde jeder Held gezwungen, die tapfere Tat, die er sich zu vollführen anschickt, auch nur eine Minute lang zu diskutieren, so gäbe es kein Heldentum mehr ... Bei außergewöhnlichen Unternehmungen muß man die Lösung zahlreicher Probleme dem Augenblick überlassen: es gibt stets Unbekanntes, dem man gegenübertreten muß; man muß sich in das Abenteuer mit einer gewissen Dosis Unvernunft stürzen. Diese Unvernunft nennt sich Kühnheit. Die Kühnheit befindet sich mit dem gesunden Menschenverstande, der Logik, in allzu starkem Widerspruch, als daß sie einer eingehenden kritischen Prüfung standhalten könnte. Und hierin liegt vielleicht der Grund, warum die Teilnehmer an der Fahrt in Paris schließlich zu dem Entschlusse gelangten, nichts mehr von der ganzen Sache wissen zu wollen,

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