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abgewiesen.«

      »Was? Den Falotten, der mich immer anpumpt und dann mit meinem Geld den Damen Bouquetten schickt? ›Girardi, geh’‹, sagt er, ›leih mir zehn Gulden!‹ Da hab ich ihm geantwortet: ›Sein wir lieber gleich bös’!‹«

      »Na, was is, Schani«, rief er in das allgemeine Gelächter, »du hast mich hergelotst, weil du mir etwas Neues vorspielen willst?«

      »Gleich. Nur kann ich’s schon wieder nicht entziffern. Aber der Grünfeld ist ja da.«

      Strauß geht in sein Arbeitszimmer, kommt dann in den Salon, wo wir uns um das Klavier gruppieren. Er legt das Notenheft auf das Pult und Grünfeld sieht es sich durch. Leise beginnt er, zuerst wie suchend, dann mehr und mehr hingerissen.

      »Ich will den Walzer ›Frühlingswalzer‹ nennen«, sagt Strauß. »Vor ein paar Tagen, da ist auf den Stufen der Paulanerkirche ein armes altes Weib gesessen. So elend. Der Tod hat ihr aus den Augen geschaut. Einen Korb hat sie neben sich stehen gehabt. Und mit zittrigen Händen hat sie mir ein paar Blumen gereicht. Es waren nur Veigerln und Maiglöckchen. Aber nie, noch nie haben mich Blumen so trunken gemacht … Dass da der Tod sitzt und mir Frühlingsblumen reicht – das hat in mir eine Lust zum Leben geweckt, dass ich alle Nachtigallen hab singen hören …«

      Als wir gingen, gab Girardi Strauß einen Klaps auf die Schulter. »Sehr schön war’s, die Überraschung. Nur nicht für mich. Was ist dir denn eingefallen? Koloraturen und Triller und solche Turnübungen? Kann ich trillern? Mit dem Kehlkopf wackeln? … So a Gemeinheit! … Sicher hast du dabei wieder an die Madeln gedacht, du Gauner.«

      ARTHUR SCHNITZLERS ANFÄNGE UND EIN ABSCHIED

Mme. Paul Clemenceau, Paris Wien, 1894

      Liebste, ich danke Dir für Deine interessanten Zeilen. Dass Du Proust1 lange gesprochen hast, rührt mich seltsam, denn auch wir besitzen plötzlich einen Dichter, der seine Umwelt, seine Zeit und vor allem die Seelenart dieser Zeit schimmernd erstehen lässt. Mit so viel Grazie, Ironie, Bitterkeit, Humor und Geist, dass es, wäre es nicht absolut wienerisch, pariserisch sein könnte.

      Nun: Er heißt Arthur Schnitzler, dieser neue aufgehende Stern. Sehr jung, nahe der dreißig. Ich kenne von ihm eine Suite von Szenen, die nur lose zusammenhängen, doch geistig eine Einheit bilden. »Anatol2«, der Held, ist leichtsinnig, melancholisch, genusssüchtig, kultiviert. Du, die Gespräche zwischen ihm und seinem Freund, zwischen ihm und seinen Geliebten sind unnachahmlich in ihrem erotischen Charme, ihrem blendenden Esprit und ihrer tiefen psychologischen Einsicht.

      Dabei habe ich gar keine Ursache, für diesen Schnitzler Reklame zu machen. Er hat mich nämlich unlängst miserabel behandelt. Lass Dir das erzählen.

      Emil3 und ich sind bei Professor Schnitzler4, dem bekannten Laryngologen, Vater des jungen Dichters, eingeladen. Ich vergaß zu sagen, dass Arthur bereits praktizierender Arzt ist. Man geht spät zu Tisch, offenbar wartet die Hausfrau vergebens auf einen Gast. Der Platz rechts neben mir bleibt leer. Nach der Vorspeise tritt der Verspätete ein. Ein auffallend hübscher blonder Mann, sehr elegant. Eine Locke fällt ihm in die Stirn. Die Augen sehe ich nicht, denn er hat die Lider gesenkt. Eine kühle Verbeugung, dann setzt er sich zu mir. Er ist der Sohn des Hauses, Arthur Schnitzler.

      Das ist alles, was ich zunächst von ihm weiß, denn nicht ein Wort, kein einziges, hat er an mich gerichtet. So was ist mir noch nie passiert. Natürlich wende ich mich nach links zu meinem anderen Nachbarn, einem friedlichen alten Professor – und langweile mich tödlich. Die Stimmung ist überhaupt gedrückt. Man atmet auf, als die Hausfrau sich erhebt.

      Während des schwarzen Kaffees fällt mir auf, dass Professor Schnitzler sich mit Emil zurückzieht. Dann verabschieden wir uns. Kaum auf der Straße, fange ich zu wüten an. »Eine schöne Gesellschaft. Nicht um die Welt gehe ich noch einmal in dieses Haus. Dieser unartige, arrogante junge Mann – das ist doch ein Taubstummer … Zum Schluss habe ich ihm schon sagen wollen: ›Bitte, jetzt sprechen wir einmal von etwas anderem.‹«

      Emil hat mein Toben kolossal unterhalten. Erst als ich erschöpft schwieg, sagte er: »Wir haben Pech gehabt. Eine Stunde, ehe die Belustigung bei Schnitzler begann, hat es zwischen Vater und Sohn eine stürmische Auseinandersetzung gegeben. Du hast wohl bemerkt, dass der Professor Schnitzler sich mit mir zurückzog. Er erleichterte sein gekränktes Herz. Arthur, sein Stolz, sein Liebling, sollte in der Laryngologie sein Nachfolger werden, und da, plötzlich eröffnet ihm der Sohn vor einigen Tagen, dass er die Medizin an den Nagel hängen will. Er hat Stücke und Novellen geschrieben, die ihm eine Gewähr für sein Talent scheinen. Er ist tief unglücklich, wenn er seinen ärztlichen Beruf ausübt, und himmlisch glücklich, wenn er dichtet.

      Die Familie, die das Dichten als Nebenbeschäftigung gelten lässt, wie Klavierspielen oder Aquarellmalerei, ist außer sich. Da aber kein Zureden hilft, lenkt der Vater ein, bittet seinen Sohn, er möge ihn einiges lesen lassen. Arthur gibt ihm zwei Theaterstücke. Nun ist Professor Schnitzler Arzt und Freund aller Schauspieler und Sänger der kaiserlichen Theater. Du weißt, was der berühmte Sonnenthal5 im Burgtheater für eine Sonderstellung einnimmt. Für Schnitzler ist Sonnenthal so eine Art Gott. Deshalb hat er ihm, ohne Arthur davon etwas zu sagen, dessen Talentproben gebracht.

      Heute kam ein Brief Sonnenthals. Er lautet ungefähr so: ›Unter Freunden ist man sich unbedingte Aufrichtigkeit schuldig. Hier ist mein unumwundenes Urteil, es stimmt mit dem eines bedeutenden Kritikers, dem ich Einblick gegeben habe, überein. Leider ist Ihr Sohn schriftstellerisch völlig unbegabt. Darüber kann kein Zweifel herrschen. Abstruse, unverständliche Gedanken und Empfindungen, in einer höchst sonderbaren Sprache … Der so sympathische Arthur bleibe bei seiner Kunst, Menschen zu kurieren.‹«

      Den Effekt dieses Schreibens habe ich Dir schon geschildert. Jetzt warte ich, wer recht behalten wird. Mein Urteil wird von dem Benehmen des jungen Schnitzler mir gegenüber nicht berührt. Es lautet: Ein alter, wenn noch so berühmter Professor und ein alter, wenn noch so berühmter Schauspieler verstehen nichts von dem geheimnisvollen Wert literarischer Jugendsünden. Ich aber – ich bin jung – weiß also von der Jugend – und von Sünden … Mein taubstummer Tischnachbar wird mich nicht enttäuschen. Ich umarme Dich.

      Berta

      »Burckhard6 … Ich will Ihnen nur mitteilen … Sie haben mir ja unlängst die lustige Geschichte von dem häuslichen Schnitzler-Drama erzählt … Nun, Bahr hat mir ein Stück des so untalentierten Arthur Schnitzler gebracht. Ich habe es sofort angenommen.«

      »Was wird Sonnenthal dazu sagen?«

      »Was er sagen wird? Da ich ihm die Hauptrolle gebe, wird er im Brustton der Überzeugung tremolieren: Ich habe es ja immer gesagt … Arthur ist ein Genie.«

      »Und wie heißt das von Ihnen entdeckte Stück?«

      »›Liebelei‹ – darf ich Sie bei der Premiere mit dem Herrn Gemahl in meine Loge bitten?«

       Mme. Paul Clemenceau, Paris

      Liebste, das Leben läuft manchmal ab wie ein dilettantisch gezimmertes Theaterstück, in dem eine mathematische Gerechtigkeit alle menschlichen Beziehungen regelt: Der edle Sohn behält zum Schluss recht und wird berühmt; der Vater, dessen Machtwort das Streben des Sprösslings abzuwürgen drohte, steht beschämt beiseite und die Familie stimmt angesichts des jungen Ruhms ihres verlorenen Sohns ein Hosianna an.

      Dieses Stück Leben ging soeben in der Haupt- und Residenzstadt Wien in Szene. Du erinnerst Dich gewiss eines Briefes, den ich Dir vor drei, vier Monaten schrieb. Über einen taubstummen Tischnachbarn, der mich wütend gemacht hat. Heute ist er ein großer Name in der Weltliteratur, und das Burgtheater, von seinem Direktor Burckhard geführt, hat einer neuen Ära der österreichischen Dichtung den Weg gebahnt.

      Vorgestern war die Premiere. Über dem glänzend besetzten Haus lag etwas wie unbestimmte

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