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Exemplar des Memoirenwerks, das 1939 in vier Sprachen vorlag; nur eines der englischen Ausgabe, und das möchten sie verständlicherweise nicht mehr aus der Hand geben.

      Diese Episode ist typisch für die Schriften Berta Zuckerkandls zu diesem Zeitpunkt – und wird es ab den Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts wieder. Das Jahr 1970 stellt einen wichtigen Einschnitt dar: Erstmals werden die Memoiren, die Berta Zuckerkandl im Exil in Algier verfasst hat, in der Bearbeitung von Reinhard Federmann zugänglich. Er gibt sie unter dem Titel »Österreich intim« heraus, 1981 erscheinen sie bei Amalthea neu illustriert, 1988 legt sie der Ullstein-Verlag in einer Taschenbuchausgabe vor. Danach sind alle ihre Bücher lange Zeit vergriffen; wenn, dann sind sie nur in Antiquariaten aufzutreiben.

      Dass sich die Situation heuer, im März 2013, mit der vorliegenden Neuauflage von Österreich intim im Amalthea Verlag und der Herausgabe von Berta Zuckerkandls Fluchtbericht aus dem Jahr 1940 im Czernin-Verlag ändert, könnte man in die Nähe eines Jubiläums rücken. Am 13. April 2014 jährt sich ihr Geburtstag zum hundertfünfzigsten Mal. Der andere Anlass ist kein Festtag, sondern ein Gedenken. Denn der März 1938 bedeutet auch für Berta Zuckerkandl eine Zäsur. Der »Anschluss« Österreichs an Deutschland vor 75 Jahren zwingt sie dazu, den Staat, für dessen Interessen und Eigenständigkeit sie zeit ihres Lebens eingetreten war, schnellstens zu verlassen. Ihre Herkunft ist das assimilierte jüdische Bürgertum, aber auch aufgrund ihrer politischen Einstellung sieht sie sich gefährdet. Mit Hilfe ihres französischen Dichterfreundes Géraldy und ihres Schwagers Paul Clemenceau – ihre Schwester Sophie hatte 1886 den Bruder des französischen Politikers und späteren Staatsmannes Georges Clemenceau geheiratet – erhält sie die nötigen Papiere und besteigt mit ihrem Enkel Emile am 26. März 1938 den Zug nach Paris. Von diesem Zug aus sieht sie Salzburg das letzte Mal, und mit einem Abschied von Salzburg, 1937, enden auch die hier vorgelegten Memoiren. Ihr letzter Lebensabschnitt beginnt in Paris, setzt in Algier ab Herbst 1940 fort und endet am 16. Oktober 1945 wieder in Paris, wohin sie im September sterbenskrank zurückgekehrt ist.

      Reinhard Federmann hat seiner Publikation der Memoiren eine biografische Skizze, schlicht »Berta Zuckerkandl« betitelt, als Nachwort beigefügt. Als wichtiger Bestandteil von Österreich intim ist sie auch in dieser Ausgabe enthalten. Darin beleuchtet er ausgiebig den journalistischen familiären Hintergrund: Ihr Vater war der angesehene Journalist und Zeitungsverleger Moriz Szeps, ihr Bruder Julius wurde Chefredakteur der »Wiener Allgemeinen Zeitung«. In diesem liberalen intellektuellen Milieu entwickelte sich Berta Zuckerkandl als Journalistin. Aus der Perspektive der 1970er-Jahre bildet diese Berufung den roten Faden, an dem sich die Herausbildung Berta Zuckerkandls als öffentliche Person vollzieht.

      In den folgenden Jahrzehnten hat sich das Interesse an ihrer Person stärker auf ihre Funktion als Salonnière und Förderin moderner Kunst und Künstler konzentriert. Bereits im gastfreundlichen Haus der Eltern war ihre Mutter Amalie der Mittelpunkt eines Salons, der »Staatsmänner, Parlamentarier und Schauspieler ebenso anlockte wie Dichter, Schauspieler, Aristokraten, Weltdamen und einfache Frauen«. (S. 123) Im Elternhaus lernte sie Georges Clemenceau kennen, der sie mit der modernen französischen Kunst bekannt machte, und ihren späteren Ehemann, den Mediziner und Kunstliebhaber Emil Zuckerkandl. Vor ihrer Heirat begleitete sie ihren Vater als Sekretärin auf seinen Reisen. Die Offenheit ihres Elternhauses führte Berta als Gastgeberin zur Vollendung, sowohl in ihrem Haushalt mit ihrem Mann in der Nusswaldgasse in Döbling als auch ab 1916 in ihrem Salon in der Oppolzergasse, über dem heutigen Café Landtmann gelegen. Politiker, Künstler und Wissenschaftler österreichischer und internationaler, vor allem französischer Provenienz fanden hier ein wichtiges Kommunikationsforum.

      Von der Kunst der Secession und der Wiener Werkstätte über den Hagenbund bis zu den Salzburger Festspielen reichen die Strömungen und Kunstereignisse, mit denen der Name Berta Zuckerkandl verbunden ist. Vermittlungsversuche auf internationaler Ebene während und nach dem Ersten Weltkrieg, Interviews und Kontakte mit bedeutenden Politikern stehen auf der anderen Seite des Spektrums ihrer Aktivitäten. Die Verständigung zwischen Österreich und Frankreich ist ihr sowohl in der Kunst als auch in der Politik ein lebenslanges Anliegen.

      Ob als Journalistin, als Salonnière, als Kunstförderin: alle diese Rollen sind von ihrer zentralen Funktion als Kommunikatorin bestimmt. Sie stellt die richtigen und wichtigen Kontakte her, vermittelt, scheut keine Auseinandersetzung. Kommunikation, geistiger Austausch ist für Berta Zuckerkandl das Lebenselexier. Im Aufbau von Österreich intim spiegelt sich das wider. »Ich bin süchtig. Telefonsüchtig. … Viele Stunden meines Lebens verbringe und verbrachte ich am Telefon. Sie wissen, dass mir vieles anvertraut wird, und oft hat ein Anruf, ein Gespräch, eine Nachricht, eine Bitte den Anfang, den Höhepunkt oder das Ende schicksalhafter Wendung bedeutet. Diese Telefongespräche, soweit sie mir interessant erschienen, sind mir gegenwärtig.« (S. 13) So ist es kein Zufall, dass sie ihre Erinnerungen als Telefon-Tagebuch entwirft: Manche Kapitel leitet sie in Form eines Telefonats ein (im Entwurf noch stärker als in der redigierten Version), oder sie flicht ein Telefongespräch ein. Zumindest aber ein Gespräch. Oder sie verwendet eine andere Form der direkten Anrede und fügt Briefe ein. Entscheidend aber ist, dass sie das »Wiener Telefonbüchel« überhaupt in ihr zweites Exil in Algier retten konnte. Alle anderen Unterlagen sind entweder in Wien oder Paris verblieben. Ungenauigkeiten oder Abweichungen in den erinnerten Daten und Fakten sind unter diesen Umständen erklärlich.

      Briefe spielen eine wichtige Rolle, als sie auf Drängen der Familie ihre Erinnerungen festhält. Ludwig Ullmann berichtet darüber in seinen unveröffentlichten Memoiren Heimat in der Fremde. »Ich hatte zudem einen spirituell lebhaftesten Briefwechsel mit Berta Zuckerkandl aufgenommen, der mit ihrer Familie nach Algier entkommenen unbeugsamen Greisin. Sie begann, abgeschnitten von Freunden, Anregungen, Nachrichten eine wahre Robinsonade des Geistes mit der Niederschrift ihres zweiten Memoirenwerkes, entblößt aller literarischen Hilfsmittel. Was ich vermochte, trug ich nun zu dieser impulsiv erwägungsreichen Arbeit bei, mit Bestätigung, Ausfüllung, aber auch mit Erörterung des Vergangenen wie des gegenwärtig geistig Maßgebenden. Diese Briefe wuchsen zu einem Gedankenaustausch an, der konzentriertere schriftstellerische Spiegelung des tagtäglich Erlebten vollauf ersetzte. Er durchmaß das ›ideelle Material und versuchte vor allem die innere Linie unseres Österreichertums‹ aufrechtzuerhalten.«

      Ludwig Ullmann zählte zum Kreis von Berta Zuckerkandls Vertrauten. Ihre Freundschaft vertieften die beiden noch in vergeblichen Anstrengungen in Paris, die Emigranten jenseits von Parteienzugehörigkeit zu einen.

      Durch ihn wissen wir heute zumindest ein wenig über die Geschichte des Manuskripts in den ersten Jahren nach dem Krieg. Es fand sehr schnell einen Verleger. »Aus Wien habe ich den Antrag, zu einem im Erwin Müller Verlag im Dezember erscheinenden Buch der seligen Berta Zuckerkandl das Vorwort zu schreiben«, teilt Ludwig Ullmann im August 1946 aus New York seinem Freund Oskar M. Fontana mit. In weiteren Briefen lassen sich die Stadien des Verschwindens nachvollziehen. 1947 krankt der Verlag an Papiermangel. Im Mai 1948 klagt Ullmann darüber, dass Erwin Müller sich über seine Zuckerkandl-Einleitung ausschweige, im Mai 1949 beschwert er sich, dass das Vorwort einfach verschwunden sei. Und wir erfahren, dass er seine Kopie Emile Zuckerkandl überlässt, der das Manuskript zurückgezogen hat und es nun »bearbeiten« lässt.

      Es war ein sehr umfangreiches Manuskript, das aus Algier nach Wien gelangte, und das Inhaltsverzeichnis würde den Untertitel, der Österreich intim in jeder Ausgabe hinzugefügt war, auch inhaltlich rechtfertigen: Erinnerungen 1892–1942. Am Schluss stünde nämlich ein Epilog, und der handschriftliche Zusatz verspricht »Afrika 1942« vor der Landung (der alliierten Truppen). Ende der 1960er-Jahre taucht ein Typoskript mit dem Titel Abenteuer des Geistes auf, die angekündigte Bearbeitung der ursprünglichen Fassung. Reinhard Federmann nimmt sich seiner an. Er überarbeitet den Stil, kürzt, redigiert – und schafft eine Fassung, die auch heute noch ein lebendiges Bild von jenem Österreich vermittelt, in dem Berta Zuckerkandl ihr Abenteuer des Geistes lebte. Sie liegt hier vor.

      Theresia Klugsberger

      Ich danke der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur, Wien, für die Einsicht in den Nachlass Ludwig Ullmann

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