Скачать книгу

plötzlich tanzt er Strauß-Walzer mit einer undefinierbaren Mischung aus schieberischem Elan und aristokratischer Lässigkeit, plötzlich steht er auf der Bühne, ohne Schule und schon ein Meister. Johann Strauß schreibt seine Operetten für ihn. Ein Akkord zweier Genies, wie er alle Jahrhunderte nur einmal vorkommt. Wollen Sie meine Freunde und mich begleiten? Wir gehen in die Strauß-Premiere. Da sind Sie sofort im Herzen eines Wiens, das eben nicht untergeht.«

       2 Berta Zuckerkandl als junges Mädchen

      In dieser Stunde begann eine geistige Verbindung, die vierzig Jahre, bis zu Bahrs Tod, von großer Bedeutung für mich gewesen ist. Er strahlte geistige Energie aus und saugte alles in sich ein. Romane, Theaterstücke, Essays, Philosophisches, Tagebücher, all das entsprang der leidenschaftlichen Gier, an der Welt teilzunehmen und diese Teilnahme in Produktivität zu verwandeln. Deshalb war Bahrs Erleben, Fühlen und Denken in stetem Fluss. Man warf ihm vor, wetterwendisch zu sein, sich in Gegensätzen und Widersprüchen zu gefallen. Als er einmal gebeten wurde, sich in ein Stammbuch einzutragen, setzte er unter den von jemand anderem geschriebenen Wahlspruch: »Immer derselbe« seinen eigenen: »Niemals derselbe«.

      Er durfte das, dieser Immer-Gegenwärtige. Er hat seine Wandelbarkeit selbst geschildert:

      »Die ganze Fläche dieser breiten Zeit möchte ich fassen, den vollen Taumel aller Wallungen auf den Nerven und Sinnen. Das ist mein Verhängnis. Doch darf ich mich trösten, weil es immerhin ein hübscher Gedanke und schmeichelhaft ist, dass zwischen Wolga und Guadalquivir heute nichts empfunden wird, das ich nicht verstehen, teilen, gestalten könnte. Und dass die europäische Seele kein Geheimnis vor mir hat.«

      ALEXANDER GIRARDI

       Wien 1892

      Premiere des »Zigeunerbaron« von Johann Strauß. Er dirigiert selbst, ganz besessen. Schon als er das Pult betritt und den Taktstock hebt, braust Jubel auf. Strauß, die dicht gelockten Haare rabenschwarz gefärbt, den schwarz gewichsten Schnurrbart aufgezwirbelt, fabelhaft elegant in dem wie angegossen sitzenden Frack, verbeugt sich im Zweivierteltakt.

      Endlich kann die Ouvertüre beginnen. Schmelzende ungarische Melodien, unterbrochen von wiegenden Walzerrhythmen.

      Girardi tritt auf, beinahe unkenntlich in der Maske eines ungarischen Schweinezüchters. Nur die herrlichen Augen kann er sich nicht verschminken. Im dritten Akt kehrt er, der sein Land tapfer verteidigt hat, aus der siegreichen Schlacht zurück. Und er beginnt seine Abenteuer zu besingen, bis ihm vor Rührung, weil er die geliebte Puszta wieder sieht, die Stimme bricht, sodass er mit einer Art Schluchzen schließt. Strauß ruft mit zitternder Stimme auf die Bühne: »Xandl, ich dank’ dir!« – Man hört ihn kaum in dem tosenden Beifall.

      Im Zwischenakt hatte eine reizende, pikante, eigenartige junge Frau in einer Parterreloge Platz genommen. »Die Odilon!1«, flüsterte man sich zu. »Die Odilon« – selten gelang es einer nach Wien verpflanzten Berliner Schauspielerin, populär zu werden, gar wenn ein leiser preußischer Dialektanklang die unbezwingbare Abneigung des Wieners gegen alles Preußische noch steigerte. Aber einem so vehementen Sex-Appeal, wie ihn die Odilon besaß, konnte die Wiener Sinnlichkeit nicht widerstehen. Sie war ein Sexualwunder. Doch war die hoch talentierte Frau ihrer Kunst leidenschaftlich ergeben. Bald waren die Odilon-Premieren große Mode, wozu nicht wenig beitrug, dass die rasch wechselnden Abenteuer des neuen Stars dem Wiener Tratschbedürfnis willkommene Nahrung boten.

      »Hallo! Bitt’, is die Gnädige zu sprechen? … Ah, Berta, du leihst mir dein süßes Ohr? – Du, mir is was passiert … Seit der G’schicht mit der Schratt2 hab ich so schön Ruh’ g’habt …«

      »Radi, mach dich nicht lächerlich – jede Woche bist du in eine andere verliebt.«

      »Verliebt – das ist etwas ganz anderes. Das waren so schlichte Sachen … Aber jetzt, seitdem ich diese Frau geküsst hab, weiß ich erst, was die von mir so oft besungene Liebe ist … Ich kann einfach ohne die Odilon nicht leben.«

      »Die Odilon? O Radi …«

      »Was, was? Kommst du mir am End’ mit einer Moralpredigt? Hast du denn kein gutes Wort für mich?«

      »Du hast recht. Ich war nur so überrascht – weil du der Inbegriff des Wieners bist – und sie – doch etwas preußisch angehaucht.«

      »Eine Frau hat keine Nationalität. Die hat nur ein liebes Gesicht und einen herzigen Mund und Augen, in denen man sich ertränken möcht’, und noch andere Sacherln, die auch nicht ohne sind. Und wenn die Odilon aus der Hölle käm’, mir ist sie das Paradies … Berta, ich heirat’ sie. Sie ist auch ganz verrückt nach mir.«

      »Du hast mir immer gesagt, dass du nur die Schratt hättest heiraten können. Weil ihr so wunderbar zueinander gepasst habt.«

      »Ja, die Kathi … Da waren wir noch wie die Kinder. Aber für einen Herrn Baron hat sie mich stehen lassen. Und das war ihr dann noch nicht nobel genug. A Majestät hat’s sein müssen … Aber auf einmal spür’ ich nix mehr, wenn ich von ihr red’ – ich denk’ nur an die Odilon.«

      »Ich werde sie morgen besuchen.«

      »Berta – ich hab’s immer gewusst. Auf dich kann ich mich verlassen.«

      Wie lange war sie ihm treu? Einen Monat? Eine Woche? Einen Tag? Eine Stunde? Wer könnte es sagen? Dieses nixenartige Geschöpf lockte einen Geliebten, umfing ihn, betörte ihn. Er gefiel ihr wohl eine Zeit lang, und gefiel er ihr, so geschah das in einem Taumel von Sinnlichkeit. Girardi verfiel ihr. Aber schon in den Flitterwochen machte sie den ahnungslosen Verliebten zum Hahnrei. Bald kamen anonyme Briefe, die Girardi argwöhnisch machten. Es begann ein Auf und Ab von Eifersuchtsqualen und Versöhnungen. Sie hatte stets ein Alibi bereit. Er hatte keine Ruhe mehr. Auf der Probe stürzt er plötzlich davon, rast nach Hause. Er durchwühlt ihre Schreibtischlade und sein Blick fällt auf die offene Mappe. Auf dem Bogen Löschpapier Schriftzüge: ihre Schriftzüge, deutlich zu erkennen. Aber er vermag sie nicht zu entziffern. Da blitzt es in ihm auf: Die Buchstaben stehen verkehrt, wenn man sie auf dem Löschpapier trocknet. … ein Spiegel! Einen Spiegel her! Ja, jetzt vermag er die Worte zu lesen: »Erwarte Dich heute Abend um acht Uhr. Der Idiot spielt. Er kann mir nicht nachspüren.«

      »Hallo … Verzeihen, gnädige Frau, wenn ich Sie behellige. Aber ich weiß, Sie sind mit Girardi befreundet. So wie ich. Er geht zugrund.«

      »Ich erkenne Ihre Stimme. Sie sind ein Kollege von ihm. Ich weiß, was Sie sagen wollen. Er ist seelisch und körperlich gebrochen.«

      »Diese Frau – Gott verzeih ihr, was sie an diesem herrlichen Menschen verbrochen hat. Umgebracht hat sie den Menschen und den Künstler. Gestern war Premiere. Er hat die Rolle kaum beherrscht. Was aber ärger ist: Er hat nicht mehr gewirkt. Sonst, wenn er nur die Bühne betreten hat, war das Publikum elektrisiert. Und gestern ist es das erste Mal geschehen, dass seine komische Szene totenstill abgelaufen ist.«

      »Hat Girardi es bemerkt?«

      »Er ist dann in seiner Garderobe gesessen, hat vor sich hingestarrt und hat das verdammte weiße Pulver geschnupft … ›Da vergess ich alles‹, hat er gesagt.«

      »Um Himmels willen, er nimmt doch nicht …«

      »Jawohl, Kokain schnupft er. Man hat es ihm einmal gegeben, als er Halsweh hatte und spielen musste. Jetzt schnupft er es, um seinen Jammer zu vergessen.«

      »Da muss etwas geschehen.«

      »Deshalb rufe ich Sie an.«

      »Ein paar Wochen Sanatorium, und alles wird gut.«

      »Hallo, hallo … Na, endlich Girardi! Warum meldest du dich nicht?«

      »Weil ich dich gleich erkannt hab. Gerade mit dir will ich jetzt nicht sprechen.«

Скачать книгу