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      »Du wirst leicht erraten, was geschehen ist … Das Spieglein an der Wand, das hat mir gezeigt, wer die größte Hur’ ist im Land …«

      »Du bist krank. Hör auf mich – drei Wochen Sanatorium – dort wirst du dir das Kokain abgewöhnen …«

      »In ein Sanatorium, ich? Also auch du bist im Komplott. Ins Irrenhaus will mich die Odilon stecken. Und du, du – auch.«

      »Also, jetzt werd’ ich bös. Ich komme gleich zu dir.«

      »Ausgeschlossen. Niemand kann in meine Wohnung. Ich hab die Klingel ausgeschaltet. Und mich noch extra in meinem Zimmer eingesperrt. Jetzt kann sie mit ihren Amanten im Bett liegen – wo es ihr passt. Aber nicht bei mir! Ich hab einen geladenen Revolver – ich schieß sie nieder mitsamt ihren Amanten!«

      »Hallo … Professor Wagner-Jauregg3

      »Sind Sie’s, liebe Freundin?«

      »Ich hole mir bei Ihnen Rat. Was tut man, wenn ein Nervenkranker, ein Kokainist, sich in seinem Zimmer einsperrt und einen geladenen Revolver bei sich hat?«

      »Da muss größte Vorsicht angewendet werden. List – niemals Gewalt. Um wen handelt es sich?«

      »Um Girardi«

      »Oh, das tut mir leid. Ich stehe ganz zur Verfügung. Aber wie gesagt: Abwarten. Halten Sie mich bitte auf dem Laufenden.«

      »Hallo – hier Hotel Sacher. Ich verbinde mit Frau Odilon.«

      »Frau Berta, ich wohne im Hotel Sacher. Bin zu Hause meines Lebens nicht sicher. Der Wahnsinnige hat einen geladenen Revolver.«

      »Girardi ist doch der gutherzigste Mensch. Er würde niemals …«

      »Möglich. Aber diese Angst ist bei mir auf einen Schock zurückzuführen.«

      »Das alles hätten Sie vermeiden können.«

      »Nur keine Moralpredigten!«

      »Moral? Sie haben Girardi preisgegeben!«

      »Hätte ich nur nie geheiratet! Ich war frei … Er maßt sich Recht an, macht Szenen. Schleppt mich ans Grab seiner Mutter, dass ich dort schwören soll, treu zu bleiben … Oh, sein sentimentales Gewäsch! Ich hasse es!«

      »Jetzt geht es nur um eins: um seine Wiederherstellung. Er hat sogar gestern auf der Bühne versagt.«

      »Durchgefallen ist er. Seine Wut, weil ich als Madame Sans-Gêne Triumphe gefeiert habe … Er hat immer auf mein Talent herabgesehen.«

      »Lassen wir das, Frau Odilon. Ich möchte nur noch sagen, dass Girardi einige Wochen in ein Sanatorium muss.«

      »Ein Sanatorium? Damit er den nächsten Tag zurückkommt und mich erschießt? Ins Irrenhaus muss er – denn da gehört er hin.«

      »Um Himmels willen, das ist doch nicht Ihr Ernst?«

      »Eben habe ich bei dem Polizeipräsidenten vorgesprochen und ihm erklärt, dass mein Leben bedroht ist. Er wird Girardi festnehmen lassen. Nur verlangt er ein ärztliches Parere.«

      »Kein Arzt wird sich finden, der diese niederträchtige Lüge …«

      »Sie irren. Beweis, dass es keine Lüge ist: mein Theaterarzt, der einigen Szenen zwischen mir und Girardi beigewohnt hat. Er bestätigt seine Unzurechnungsfähigkeit. Jetzt wartet schon ein Ambulanzwagen, um ihn abzuholen – den Irrsinnigen …«

      »Ich kenne Sie nicht mehr, Frau Odilon.«

      »Hallo … Kann ich Frau Schratt sprechen? Roserl … Du bist am Telefon? Es ist etwas sehr Wichtiges …«

      »Ich weiß nicht, Tante, ob Frau Schratt momentan zu sprechen ist …«

      »Es geht um ein Menschenleben. Sag ihr: um Girardi.«

      »Hier Kathi Schratt … Die Roserl, ganz verrückt, schreit: Der Girardi stirbt … Was ist los?«

      »Eine Tragödie. Girardi wird von der Odilon zum Selbstmord getrieben. Sie will ihn ins Irrenhaus bringen. Der Polizeipräsident selbst steht ihr zu Diensten. Wenn Sie nicht intervenieren …«

      »Ich? Intervenieren? Recht geschieht ihm. Er hat sich an eine Dirne weggeworfen.«

      »So soll man der Odilon den Triumph lassen, dass sie sogar der Polizei gebieten kann?«

      »Das ist wahr. Diese freche Person! Was glaubt sie denn … Leut’ einsperren lassen, wie es ihr passt … Ja, recht haben Sie, der werden wir’s zeigen.«

      »Tausend Dank!«

      »Den Girardi will ich nie mehr sehen. Der soll mir nicht vor die Augen. Aber ich will das Möglichste tun.«

      »Hallo … Girardi, ich beschwör dich: häng jetzt nicht auf! Es ist Gefahr. Du musst unbemerkt entkommen … Verstehst du?«

      »Ich weiß schon. Vom Fenster übersehe ich die ganze Nibelungengasse. Polizei und ein Wagen warten auf mich, wie wenn man Verbrecher einbringt. Also: Irrenhaus … Du hast leicht reden. Das Haus hat nur einen einzigen Ausgang, wie soll ich entkommen?«

      »Der Modesalon Madeleine, im ersten Stock – die Ateliers sind im Nebenhaus, aber sie sind mit dem Salon verbunden. So kannst du über die andere Stiege hinuntergehen.«

      »Fabelhafte Idee. Der Sherlock Holmes kann sich vor dir verstecken. Aber: Die Spitzel unten, die erkennen mich doch gleich!«

      »No, so mach halt Maske. Wird dir nicht schwerfallen.«

      »Jesus – ich hab meine Perücke hier und den langen weißen Bart, schon für mein Grazer Gastspiel eingepackt. Vielleicht gelingt es mir noch, zu entkommen …«

Mme. Paul Clemenceau4, Paris Wien, 1892

      Liebste, es ist rührend von Dir, dass Du, die seit Jahren in Paris lebt, unsere herrlichen Mädchenjahre nicht vergisst. Und dass Dir Girardi noch immer wert ist. Deshalb habe ich Dir gleich geschrieben, was vorgeht. Auf Dein eben erhaltenes Telegramm antworte ich nun ausführlich.

      Der Anschlag gegen Girardi ist der Odilon misslungen. Er konnte sich, verkleidet, zu Kathi Schratt retten. Die ist heute die Einzige in Wien, die eine Aktion des Polizeipräsidenten verhindern kann. Roserl, meine Nichte, die trotz ihres jugendlichen Alters Gesellschafterin bei der Schratt ist, hat mir genau geschildert, wie diese Tragödie sich in eine Komödie gewandelt hat. So vermag ich Dir authentische Nachrichten zu geben.

      Es läutet am Gartentor der Villa Schratt in Hietzing. Diese Villa hat ihr der Kaiser geschenkt, weil seine Residenz Schönbrunn nur ein paar Schritt entfernt ist. Das Stubenmädchen meldet: »Ein alter Herr ist da, er bittet, die gnädige Frau sprechen zu dürfen.« Die Schratt ist sehr gutmütig, sie weist ungern einen Bittsteller ab. Der alte Herr tritt ein, geht auf die Schratt zu: »Kathi, ich bitt’ dich, erbarm’ dich meiner.«

      »Jesus, der Xandl!«, schreit die Schratt auf. Dann beginnen beide zu weinen. Roserl hat mir erzählt, dass nach der ersten Rührung, als Girardi den langen weißen Bart und die Perücke abnahm, alle zu lachen anfingen …

      Hierauf wurde getafelt, wie man nur bei der Schratt zu schmausen bekommt. Doch plötzlich sagt die Schratt zu Roserl: »Du gibst acht auf den verrückten Kerl da, dass er nicht wieder davonläuft. Ich geh zur Majestät. Denn sonst wird der Herr Polizeipräsident noch eine Hausdurchsuchung bei mir vornehmen.«

      Girardi war erschöpft eingeschlafen. Die Schratt (so erzählte sie es dann Roserl) ging zum Kaiser. Sie wird immer unangemeldet vorgelassen. Auch diesmal. Aber wer das Temperament der Schratt kennt, dem muss klar sein, dass dieser Besuch nicht glatt ablaufen konnte.

      »Majestät« (soll sie gesagt haben), »in Ihrem Staat geht es schön zu. Da befiehlt eine hergelaufene Komödiantin dem Polizeipräsidenten. Sie diktiert, wer in Wien verrückt ist und wer eingesperrt wird. Man muss sich ja schämen, in so einem Staat zu leben.«

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