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kluge, liebreizende Geschöpfchen, meine Wonne und mein Augentrost, die Gespielin des braven Bertel, soll die etwa Kammerjungfer der gnädigen Frau werden, damit sie nur nicht vergißt, daß sie kein von vor ihrem Namen hat und also nicht werth ist, in Gemeinschaft mit solchen hochgebornen Leuten die Füße unter den Tisch zu stecken? Nein, mein Goldkind, das litte ich nun und nimmer, da wollte ich mir lieber die Hände abarbeiten, um dich vor solcher Existenz zu bewahren. Aber so sind sie nun, diese vornehmen Leute! Den Sohn herzuschicken Tag für Tag, daß er von unserem Herrn Pastor die schönsten gelehrtesten Dinge lernt, von denen sie sich alle zusammen kein Tütelchen können träumen lassen, dazu sind sie nicht zu vornehm, das nehmen sie von dem armen bürgerlichen Pfarrer recht gern an Jahr für Jahr. Aber der Dank dafür, wenn er auch schließlich gegeben wird, hat einen gar unangenehmen Beigeschmack. Nun Estherchen soll's aber nicht merken, das liebe unschuldige Herz; sie soll nur die Freude von dem Geschenk haben, mir zähen Alten kann der Beigeschmack doch nichts mehr schaden.«

      Unter derartigen Worten und Gedanken hatte Frau Booland das Zimmer erreicht, in dem Hubert und Esther beisammen saßen. Bertel hatte seiner kleinen Freundin bereits den Plan mitgetheilt, den seine Mutter Frau Booland eröffnete; aber freilich in sehr anderer Weise, als Frau von Ihlefeld es gethan. So fand denn Tante Booland ihren jungen Liebling mit freudig strahlenden Augen und glühenden Wangen an Bertels Seite sitzend, und voll Entzücken flog sie ihrer braven Pflegemutter entgegen und verkündete ihr die erfreuliche Neuigkeit. Frau Booland lachte mit ihr durch ihre Thränen hindurch, dann aber führte sie beide Kinder zu Frau von Ihlefeld hinab. Hier hatte sie die Genugthuung, zu bemerken, daß Hubert, als seine Mutter anfing, auch gegen Esther von der bescheidenen Lebensstellung und Herkunft zu sprechen, an welche sie allein Ansprüche machen könne, plötzlich feuerroth wurde und heftig sagte: »Mama, laß doch, das ist ja alles ganz egal. Ich bin Esthers Bruder, und also ist Esther ebensoviel als ich. Sie hat mir versprochen, sie will als meine Schwester alles von mir annehmen, wenn sie etwas braucht, und als erstes Geschenk gebe ich ihr das hübsche kleine Haus, niemand anders, nicht wahr? So hast du's mir wenigstens versprochen, Mama. Esther hat sich auch schon bei mir bedankt; aber eigentlich braucht sie das gar nicht, da sie meine Schwester ist.«

      Frau von Ihlefeld war sehr roth geworden bei dem kindischen Gespräch ihres Sohnes; doch lächelte sie und sagte ausweichend: »Schon gut, lieber Bertel! Esther wird sich hoffentlich recht wohl in der neuen Heimath fühlen und ihr Vaterhaus nicht zu schmerzlich entbehren. Wir aber, mein liebes Kind, wollen dir auch ferner treu zur Seite stehen, das verspreche ich dir.«

      Dabei küßte sie das junge Mädchen liebevoll, und Esther weinte bald, bald lachte sie wieder, innig aber dankte sie für alle Liebe und Güte, die ihr zu Theil wurde. Und wie viel Grund hatte sie zu Glück und Freude! Der Gedanke, ihr liebes Dorf nicht verlassen zu müssen, in der Nähe von Bertel und dessen Eltern zu bleiben, und bei der Pflegerin ihrer Kindheit, der treuen Tante Booland, ferner leben zu können — es war eine schöne, beglückende Aussicht mitten in ihrer Trübsal, und sie gab sich diesem Glücke mit vollem Herzen hin.

      So sehen wir denn mit dem beginnenden Frühjahr unsere kleine Esther als Bewohnerin eines hübschen, freundlichen Häuschens, das rings von einem netten Gärtchen umgeben ist. Unmittelbar hinter dem Hause erhebt sich der dichte Laubwald, und in einiger Entfernung davon liegen die Häuser des Dorfes und der Gutshof. In nächster Nachbarschaft steht das Haus des Försters, und Esther sowohl als ihre treue Tante Booland sind hier wie im ganzen Dorfe liebe, gern gesehene Gäste. Ein harmlos glückliches, friedliches Dasein erblühte für Esther in dieser traulichen Häuslichkeit, sie selbst aber wuchs heran zu einem frischen, schönen, fröhlichen Mädchen, das alle Menschen lieb hatten.

      Mehr als ein Jahr war so vergangen, da durchlief eine schreckliche Kunde das Dorf Rahmstedt. Oft schon hatte man sonderbare Gestalten auf dem Gutshofe ein- und ausgehen sehen, schäbig gekleidete, jüdische Männer. Man sprach vom Verkauf des Gutes und von großen Verlusten, welche Herr von Ihlefeld gehabt habe, eines Morgens aber fand man den unglücklichen Gutsherrn erschossen in seinem Zimmer. Ein Brief an seine Gattin sagte dieser, daß sie am Bettelstabe wären in Folge unglücklicher Speculationen, in welche er sich eingelassen habe, und daß er nicht im Stande sei, diesen Schlag zu überleben. Auch sie und seinen armen Sohn habe er durch seinen Leichtsinn unglücklich gemacht, das könne er nicht mit ansehen. Dem Todten würden sie eher verzeihen als dem Lebenden, darum scheide er lieber von ihnen.

      Es war ein furchtbarer Schlag für die unglückliche Frau. Sie, die so stolz und erhaben über all' denen gestanden hatte, welche sie umgaben, sie mußte es nun ertragen, daß man sie von ihrer Höhe stürzte und sie hinausstieß in die Welt, arm und hülflos wie das ärmste Weib ihres Dorfes. Das ganze prachtvolle Gut ging in andere Hände über, und die arme Frau rettete von der ganzen Habe kaum so viel, sich vor der bittersten Noth zu schützen. Wie verzweifelt irrte sie durch die wüsten Zimmer des schönen Hauses, nicht wissend, wohin sie sich wenden sollte in ihrem grenzenlosen Elend; denn erbarmungslos achteten die hartherzigen Gläubiger wenig ihres Kummers. Suchte doch jeder so schnell wie möglich sich für seine Verluste an dem hinterlassenen Besitzthum schadlos zu halten, und obwohl der Todte noch nicht bestattet, wühlten doch schon fremde Hände in seinen Papieren und versiegelten die ganze Hinterlassenschaft. Da flogen hastige Schritte die Stufen der Freitreppe hinauf, und an das Herz der trostlosen Wittwe schmiegte sich weinend und zärtlich ein schlankes Mädchen. Es war Esther. Noch zitterte das Entsetzen über die fürchterliche Nachricht in allen ihren Gliedern; aber der unglücklichen Frau gedenkend kämpfte sie alle andern Gefühle nieder und gab nur dem einen Raum: der Mutter Bertels Hülfe und Trost zu bringen so viel in ihren Kräften stand. Und sie konnte es ja, dem Himmel sei Dank, konnte es durch die einstige Güte derer, denen sie nun helfen wollte. Jetzt war sie ja die Reiche ihren ehemaligen Wohlthätern gegenüber und konnte ihnen den Zins abtragen für so viele Güte und Liebe. O wie glücklich machte sie der Gedanke, und mit welchem Entzücken erfüllte sie diese Aussicht!

      Frau von Ihlefeld umschlang Esther mit einem Schrei der Verzweiflung, und dann brach sie in einen Strom von Thränen aus. Bis dahin hatte das Entsetzen über das furchtbare Schicksal, das sie betroffen, wie eine Felsenlast auf ihr gelegen und sie aller Thränen und aller klaren Gedanken beraubt. Beim Anblick des Kindes aber, das weinend an ihr Herz sank, wich der Bann, der auf ihr lastete, und sie fand erlösende Thränen. Als die arme Frau endlich ruhiger wurde, da schlang Esther ihre Arme um sie und zog sie mit sich hinaus aus den wüsten, unheimlichen Räumen, in denen so Schreckliches über sie gekommen war, und führte sie schweigend nach ihrem eigenen kleinen Hause am Walde.

      »Hier ist jetzt Ihre Heimath, liebe Tante Ihlefeld,« sagte Esther freudig. »Bertel hat mich seine Schwester genannt, so habe ich also ein Recht, unsere theure Mutter in meinem Hause zu haben und zu pflegen, denn es ist ja auch das Ihre. Nicht wahr, Tante Ihlefeld, Sie bleiben bei uns?«

      Frau von Ihlefeld verbarg ihr Gesicht in den Händen und weinte bitterlich. »O Kind, Kind,« schluchzte sie, »Gott segne dich, du bist ein braves Mädchen! O, was wird Bertel sagen!« Und wieder brach das unglückliche Weib unter der Last ihres Jammers zusammen. Aber in der jetzigen Umgebung fand sie doch eher Ruhe und Fassung, und Esther, wie auch die gute, einfache Frau Booland verstanden es, ihr das schwere Schicksal zu erleichtern.

      Und nun kam Hubert. Man hatte ihm erst nach und nach das schreckliche Schicksal mitgetheilt, das über ihn und seine Mutter hereingebrochen war, und der arme Knabe war wie vernichtet von der Nachricht. Einer seiner Lehrer begleitete ihn nach Rahmstedt, da er den Fassungslosen nicht allein lassen wollte, und es war ihm gelungen, den armen Bertel wenigstens so weit zu beruhigen, daß er der Mutter gegenüber seinen Kummer zu beherrschen versprach, um dieselbe nicht noch unglücklicher zu machen. Esther hatte mit großer Umsicht dafür gesorgt, daß Hubert bei seiner Ankunft den Gutshof gar nicht betrat. In ihrem Häuschen fand das erschütternde Wiedersehen statt zwischen Mutter und Sohn, und hier bereitete Esther auch für Bertel die Wohnung. So klein das Haus war, die unteren Räume genügten für sie und für Tante Booland, die oberen aber gehörten Frau von Ihlefeld und Bertel.

      Ein ganz neues Leben begann nun für unsere Esther. Sie hatte die Sorge für zwei geliebte Wesen übernommen, das forderte all' ihre Kräfte heraus sowohl des Geistes als des Körpers. Die Mittel zum täglichen Unterhalt waren sehr beschränkt; denn Frau von Ihlefeld rettete aus den Trümmern ihres Besitzthums nur einen ganz

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