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den lasse ich in Ruhe. Wollen wir Frieden schließen?«

      Hubert sah dem ehrlichen Burschen ganz erstaunt in das feuerrothe Gesicht; es war ein guter Zug darin, und Bertel ergriff ohne Zögern die dargebotene Hand. »Recht gern, Franz«, sagte er herzlich, »mir soll's recht sein; ich bin kein Freund von Zank und Streit.«

      So hatte die Schlägerei ein gutes Ende und in ihren Folgen trug sie vortreffliche Früchte. »Bertel hat den Franz gezwungen!« hieß es bald in der ganzen Anstalt, und das war wie ein Orden; denn Franz war für einen tüchtigen Raufer bekannt und also nicht gut mit ihm anzubinden. Niemand hielt den blonden Bertel ferner für einen Feigling und wagte ihn böswillig zu foppen; hatte derselbe doch auch jetzt an dem älteren Franz einen Kameraden zur Seite, der sich des jüngeren in allen Dingen annahm, denn er hing dem neuen Schüler mit immer wachsender Freundschaft an. Hubert war diese Freundschaft zwar ganz angenehm und schmeichelhaft, eigentlich aber wagte er nicht recht, dieselbe anzunehmen; hatte er nicht Esther gelobt, sie allein solle sein Kamerad sein und bleiben? Und war es nicht Wortbruch, wenn er hier nun doch eine neue Freundschaft schloß? Lange aber hielten solche Gedanken nicht vor; es war doch eben gar zu angenehm, nicht allein dazustehen unter so viel Schülern, und Esther selbst hatte sicher nichts dagegen. Sie konnte doch einmal nicht bei ihm sein, warum sollte er sich da nicht an jemand aus seiner jetzigen Umgebung anschließen? Esther blieb ihm ja doch immer so lieb, als sie ihm je gewesen war, das verstand sich von selbst. —

      Trotz dieser Ueberzeugung sprach er in seinen Briefen an Esther doch nicht viel von seinem neuen Freunde. Die Scene aber, welche ihr Brief veranlaßt hatte, berichtete er ihr getreulich, und Esther glühte vor Wonne und Stolz, daß ihr Bertel sich so tapfer gehalten hatte, und tief innen im Herzen regte sich etwas, wie ein Jauchzen, daß sie der Anlaß zu diesem ersten Kampfe Bertels gewesen war. Davon sagte sie aber Tante Booland nichts, als sie den Brief vorgelesen, sie wußte selbst nicht warum. Freilich ahnte Esther nicht, daß Bertel gerade in Folge davon, daß sie es war, die jenen Kampf veranlaßt hatte, von jetzt an sorgfältig vermied, wieder von ihr zu sprechen. Er fürchtete abermalige Neckereien seiner Kameraden, die ohnehin nicht ganz ausblieben; denn ab und zu erkundigte man sich nach seiner jungen Freundin, welche für die Knaben durch jene Schlägerei einen geheimnißvollen Reiz erhalten hatte. Bertel gab aber immer verlegene ausweichende Antworten, und wenn er Esther auch nicht völlig verleugnete, so wünschte er doch, die Sache todt zu schweigen, um die Neckereien der Jungens los zu werden. »Mädchen passen einmal nicht in eine Jungenpension, nicht einmal in Gedanken!« entschuldigte er sich heimlich, und wirklich verging jetzt mancher Tag, wo Bertel so von seinen Arbeiten und seinen Kameraden in Anspruch genommen wurde, daß er seiner kleinen Esther gar nicht gedachte. Dann aber fiel ihm sein Unrecht plötzlich wieder schwer auf die Seele, und nun schickte er ihr, wie um vor sich selbst sein Erkalten wieder gut zu machen, einen so herzlichen, kameradschaftlichen Brief, erzählte ihr so getreulich von seinem Lernen und Leben und Treiben, daß Esther voll Entzücken ihres lieben getreuen Kameraden gedachte, der sie unter all' den neuen Verhältnissen nicht vernachlässigte. Sie wollte ihm auch zeigen, daß sie seiner in treuer Anhänglichkeit gedachte, und trotz ihrer Abneigung gegen weibliche Handarbeiten mühte sie sich jetzt häufig ab, um für Bertel irgend etwas anzufertigen. Zum ersten Male im Leben zeigte sie Geduld und Ausdauer bei diesen Arbeiten. Die Knaben in der Pension trugen hellblaue Mützen mit roth und silbernen Bändern, und wenn das Band besonders schön war, so bestanden die silbernen Streifen aus kleinen gestickten Blätterchen. Eine solche Mütze hatte Bertel sich gewünscht, und Esther saß nun mit eiserner Geduld und nähte mit ihren kleinen ungeschickten Fingern unermüdlich Blättchen um Blättchen, so sauer ihr auch die ungewohnte Arbeit wurde. Endlich war das Werk vollendet und zu seinem nächsten Geburtstage prangte die Mütze unter Bertels Geschenken, die ihm nach der Pension gesandt wurden. Ein feuriger Dankesbrief lohnte Esther die gewaltige Mühe, und von nun an war sie immer mit irgend einer Arbeit für ihren kleinen Freund beschäftigt, zur stillen Freude Tante Boolands, die ihr getreulich beistand, wo die Schwierigkeiten gar zu groß wurden. Aber gut war es, daß Esther nicht erfuhr, wie Bertel alle solche Arbeiten vor seinen Schulkameraden verleugnete, um sich nicht neuen Neckereien auszusetzen. Die Mütze machte den Anfang. Als seine Geburtstagsgeschenke bewundert wurden, betrachtete sein neuer Freund Franz mit etwas neidischen Blicken den zierlichen Streifen an der Mütze.

      »Wer hat dies gestickt, Bertel?« fragte er neugierig. Bertel wurde roth und wandte sich ab. »Deine Mutter?« forschte Franz weiter. »Ja!« sagte Bertel kurz und fing ein anderes Gespräch an. Aber die Lüge brannte wie Feuer auf seiner Seele, und er schalt sich selbst wegen seiner Feigheit, die ihm nicht erlaubte, dem Spotte der Mitschüler zu trotzen. »Sie würden mir nimmer Ruhe lassen, und ich könnte die Mütze nie tragen ohne gefoppt zu werden!« rechtfertigte er sich vor sich selbst; aber gegen Esther hätte er diese Untreue nie eingestehen mögen. Aber freilich folgten diesem ersten Verleugnen bald andere, bis er sich schließlich gar kein Gewissen mehr daraus machte, alle Geschenke Esthers vor seinen Kameraden zu verheimlichen, nur um Ruhe zu haben.

      Esther war seit Bertels Fortgang viel stiller und ernster geworden. »Die wilde Hummel,« wie man sie im Hause nannte, saß jetzt oft stundenlang bei Tante Booland, ihr vorlesend oder auch wohl bei einer kleinen häuslichen Beschäftigung helfend. Nur manchmal sprang sie plötzlich rasch auf, rannte durch Hof und Garten oder hinüber nach dem Gutshofe, und dann kam sie mit roth geweinten Augen zurück. Aber selten nur sprach sie es aus, wie unsäglich Bertel ihr fehle, und wenn irgend jemand sie fragte, ob sie den Kameraden nicht sehr vermisse, dann zuckten ihre dunkeln Augenbrauen leise und sie sagte stolz: »Ein Junge kann nicht ewig mit Mädchen spielen, er muß fort und lernen, wenn er ein Gelehrter werden will.«

      Am liebsten hörte sie es, wenn ihr Vater über Bertel sprach. Jetzt, nachdem sein Schüler ihn verlassen, wagte der Prediger erst es auszusprechen, wie große Erwartungen er von Bertel hege, und was er für ein kluger, talentvoller Knabe sei. Seine Eltern lobten den Sohn zwar auch in unbegrenzter Weise, aber das hatten sie auch bisher schon gethan. Von Pastor Wieburg aber, dem strengen, schweigsamen Manne fiel ein Lob viel schwerer in die Wagschaale, als von allen anderen Menschen. Ihre eigenen Lehrstunden hatten für Esther allen Reiz verloren, seit sie allein lernte, und sie sah es nicht ungern, daß ihr Vater, durch körperliche Leiden belästigt, diese Stunden jetzt sehr beschränkte. Nur wenn sie dem Vater bei seinen Arbeiten helfen konnte, wozu die gelehrte Erziehung, welche sie erhalten, sie wohl befähigte, dann war sie eifrig und fleißig; und so verging ihr manche Stunde mit Vorlesen griechischer oder lateinischer Bücher, mit Nachschlagen oder Abschreiben, oder mit Niederschreiben von Dictaten, da der Vater seine schwachen Augen in dieser Weise gern schonte. Immerhin aber blieb für Esther jetzt viel mehr freie Zeit übrig als früher.

      »Nun wird das kleine Ding wohl endlich einmal ein Frauenzimmer werden!« sagte Frau Booland oft still für sich, wenn sie ihres Zöglings häufige Musestunden mit Behagen bemerkte. »Jetzt kann man doch mit gutem Gewissen noch andere Dinge von ihr verlangen.« Aber der Geschmack an diesen anderen Dingen wollte bei Esther noch gar nicht kommen trotz dieser freieren Zeit, und Frau Booland sah nun wohl, daß ein Kind in späteren Jahren schwer etwas lernt, wozu es nicht von früh auf angehalten wurde. Esther lag trotz ihrer 13 Jahre mit der Ordnung und Sauberkeit noch immer in ewiger Fehde, und alles andere war ihr lieber, als stricken und nähen oder sonstige weibliche Beschäftigungen; die Arbeit für Bertel ausgenommen. Hart konnte Tante Booland unmöglich zu ihrem Herzblättchen sein, und so that sie selbst lieber nach wie vor alle die Dinge, die Esther zukamen, um nur das arme Kind nicht allzusehr zu quälen. »Sie wird es schon von selbst machen, wenn sie einmal verständiger ist,« tröstete sie sich selbst, »ich kann ihr die liebe Jugend unmöglich dadurch verbittern.« Und so blieb alles so ziemlich beim Alten.

      Da brachte der Winter ein schweres Leid über die Bewohner des Pfarrhauses. Pastor Wieburg wurde von einem Schlagfluß zur Hälfte gelähmt und war unfähig, sich zu bewegen, ja fast zu sprechen und zu denken. Nun aber zeigte die wilde Esther plötzlich, daß ein braver Kern in ihr verborgen lag, und sie auch still und geduldig sein konnte. Vereint mit Frau Booland pflegte und versorgte sie unermüdlich den hülflosen Vater und übernahm Geschäfte, welche ihr bis dahin unerträglich oder langweilig gewesen waren. Stundenlang konnte sie still an dem Bette des Kranken sitzen, oder alles um ihn her ordnen und zurechtmachen, ohne ungeduldig zu werden, und oft stand sie selbst am Heerdfeuer, um ein Gericht zu überwachen, das sie ihm nach Frau Boolands Anweisung

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