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er zu Esther, als diese eines Tages seine bleichen Wangen sorgenvoll ansah und ihm wegen des zu großen Fleißes Vorwürfe machte. »Aber Gott weiß,« fügte er düster hinzu, »ob ich überhaupt einmal studiren kann, ich habe ja kein Geld dazu!« Da fuhr Esther angstvoll empor und blickte Bertel in das Gesicht. »Es muß dazu da sein, Bertel,« entgegnete sie fest. Bertel sah gedankenvoll vor sich nieder. »Esther,« sagte er tonlos, »meine Mutter und ich nehmen jetzt schon zu viel von dir an, ich weiß, du entbehrst selbst dabei. Aber zum Studiren reicht es doch nicht.«

      »Es muß aber geschafft werden, Bertel, denn studiren mußt du,« rief Esther abermals entschieden. »Und was meine sonstigen Ausgaben betrifft, darüber mache dir nur keine Gedanken. Bin ich nicht deine Schwester, Bertel? Und würdest du nicht dasselbe für mich thun?«

      Bertel nickte stumm mit dem Kopfe. »Du hast recht,« sagte er nach einer Pause, »von niemand anderm würde ich solche Opfer annehmen, von dir thue ich es mit Freuden.«

      Esther blickte ihren jungen Freund mit glücklichem Stolze in das feine Gesicht. »Leider bin ich ja kein Junge wie du,« sagte sie nachdenklich, »und kann nicht mit dir studiren; da mußt du es nun für uns Beide thun. Damit ich mein Schärflein aber auch beitrage, arbeite ich nun für dich, dann habe ich doch auch meinen Antheil an deinem Ruhme. Und habe nur keine Angst, ich werde schon die Mittel finden, wenn die Zeit da ist, wo du studiren sollst.«

      Bertel war von jeher so daran gewöhnt, Esther in allen praktischen Dingen für sich eingreifen zu lassen, daß er auch jetzt sich vertrauensvoll aller weiteren Sorgen entschlug. Schon als kleines Mädchen hatte sie dem Knaben alles abgenommen, was ihm unbequem oder lästig war; denn dem kleinen Gelehrten hatten alle praktischen Dinge von jeher schon Schwierigkeiten bereitet, und die rührige Esther griff überall zu. War für die Stunden ein Buch zu heften, oder Tafelstifte zu spitzen, Tinte einzugießen oder Linien zu ziehen, immer war Esther die geschäftige Martha. Und wenn sie dann beim Spiel in Wasser oder Koth gerathen waren, oder beim Klettern und Haselnüssesuchen sich das Haar zerzausten, so wußte Esther immer rasch dem Uebel abzuhelfen. Denn wenn sie selbst auch an Tante Booland eine gar nachsichtige Erzieherin hatte, so fand doch Bertel mit beschmutzten Kleidern oder wüstem Aussehen weniger gute Aufnahme bei seiner Mutter. »Esther wird schon helfen,« das war Bertels Trostspruch in allen Verlegenheiten seiner Kindertage, und »Esther wird schon helfen,« so hieß es auch jetzt, das verstand sich ganz von selbst, darüber brauchte Bertel sich keine Sorgen zu machen.

      Esther stand nach diesem letzten Gespräch lange am Fenster und war in tiefe Gedanken verloren. Als Kind hatte sie nie viel Worte darum gemacht, wenn sie Bertel die kleinen Sorgen abnahm, sondern eben einfach zugegriffen. Auch jetzt galt es, nicht erst lange mit ihm zu überlegen, wie sie ihm helfen sollte. Genug, daß sie es versprochen hatte. Es war Dämmerstunde und die Abendglocke läutete im Dorfe. Esther trat mit Hut und Tuch unter die Hausthüre und sagte zu Frau Booland, welche erstaunt fragte, wohin sie denn gehe: »Ich will der Frau Pastorin eine Probe des neuen Gestrickes bringen, Tante, ich komme bald wieder.« Und rasch eilte sie die Dorfstraße hinab dem Pfarrhause zu.

      Der neue Prediger von Rahmstedt war ein freundlicher, leutseliger Mann, der sich Esthers sowohl, als der unglücklichen Frau von Ihlefeld sehr thätig angenommen hatte. Auch seine Frau war herzlich und liebevoll zu Esther, und mit Frau Booland hatte sie sogar innige Freundschaft geschlossen. Gern weilte das junge Mädchen denn auch jetzt noch in dem ihr so theuren Pfarrhause. Auch die Kinder Pastor Krauses, zwei Knaben und ein Mädchen, hingen mit großer Liebe an Esther und empfingen dieselbe immer mit lautem Jubel; denn das junge, heitere Mädchen verschmähte es nicht, sich ihnen in Garten und Wald zu lustigen Spielen anzuschließen.

      Als Esther heute Abend das Pfarrhaus betrat, sagte sie der Frau Pastorin und den Kindern nur flüchtig guten Abend und eilte auf das Studirzimmer des Pfarrers. Die kleine Studirlampe brannte schon auf dem Schreibtische, der Geistliche aber ging in Gedanken verloren in seinem Zimmer auf und ab.

      »Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie störe, Herr Pastor,« sagte Esther eintretend, »aber ich möchte Ihnen heute eine große Bitte vortragen, die ich nicht aufschieben darf.«

      »Bitte, meine liebe Esther, sprechen Sie, Sie stören mich nicht,« entgegnete der Pfarrer freundlich, indem er des jungen Mädchens Hand ergriff und sie nach dem Sopha führte, wo er sich erwartungsvoll neben sie setzte.

      »Lieber Herr Pastor,« sagte nun Esther etwas zaghaft, »Sie sagten mir, daß Sie bald einige Knaben erwarten, die Sie mit Ihren Söhnen erziehen und unterrichten lassen wollen. Haben Sie für diese schon einen Lehrer engagirt?«

      »Nein Esther, noch nicht bestimmt, ich bin noch in Unterhandlung mit einem jungen Manne. Aber warum? Wollten Sie mir vielleicht einen vorschlagen?« entgegnete der Pfarrer.

      »Ja, Herr Pastor, das wollte ich allerdings und zwar mich selbst!« sagte Esther erröthend.

      »Wie, Sie selbst, liebe Esther? Wie soll ich das verstehen?« erwiederte Jener lächelnd.

      »Sie wissen vielleicht, daß mein Vater mich im Lateinischen und Griechischen, sowie in den Wissenschaften sehr sorgfältig unterrichtet hat,« sagte Esther nun muthig aufschauend. »Ich bin genöthigt, mir jetzt Geld zu verdienen, und durch Unterricht vermöchte ich das doch wohl am besten. Aber bei Mädchen könnte ich nicht Erzieherin oder Lehrerin werden; alte Sprachen lernen diese nicht, neue Sprachen aber sind mir fremd, und diese werden von einer Erzieherin gefordert. Knaben jedoch kann ich das lehren, was ich gelernt habe. Deshalb kam mir der Gedanke, mich Ihnen als Lehrerin anzubieten, vielleicht versuchen Sie es mit mir. Geht es nicht, so ist ein Wechsel ja bald gemacht. Sie würden mich unendlich glücklich machen, wollten Sie den Versuch wagen, Herr Pastor.«

      Pastor Krause blickte ganz erstaunt in Esthers brennend rothes Gesichtchen, das sich ihm erwartungsvoll zuwandte. »Mein liebes Kind,« sagte er sanft, »es ist eine Riesenaufgabe, für welche Sie, ein Mädchen, sich melden. Abgesehen davon, daß ich bezweifle, Ihre Kenntnisse würden ausreichen, so ist so ein Rudel wilder Jungen kein Spaß; ein zartes Mädchen ist dem nicht gewachsen.«

      »Ich bin kein zartes Mädchen, Herr Pastor,« sagte Esther lachend, »mein Vater hat mich nicht nur im Unterricht wie einen Jungen erzogen. Ich bin eigentlich immer ein wilder Bursche gewesen und würde mit den Jungens sicher auskommen.«

      Der Prediger sah von Neuem überrascht in Esthers flammendes Auge, und zum ersten Male fiel ihm der feste, energische Zug auf, der auf ihren Lippen ruhte. Er schüttelte nun lächelnd den Kopf und sagte: »Ja, liebe Esther, ein solcher Lehrer muß sich aber erst einer Prüfung unterziehen.«

      »Natürlich, ich bitte dringend darum,« entgegnete Esther rasch.

      »Gut, so mag es gleich geschehen, liebes Kind,« rief Pastor Krause und holte Bücher und Schreibzeug herbei, denn die Sache fing an, ihn aufs Aeußerste zu interessiren. Er ließ nun Esther lesen und übersetzen, richtete eine lange Reihe Kreuz- und Querfragen an sie, ließ sich kleine Vorträge über allerlei wissenschaftliche Gegenstände halten, und schließlich gab er ihr einige schriftliche Aufgaben, welche sie zu Hause ausarbeiten sollte. Sein Gesicht nahm während dieser Prüfung mehr und mehr den Ausdruck freudigen Staunens an, und als er endlich Esther entließ, reichte er ihr die Hand und sagte ernst: »Sie haben mich wahrhaft überrascht, Esther. Ich weiß nicht, was ich mehr anstaunen soll: Ihre trefflichen Kenntnisse oder Ihren verehrten Lehrer. Jedenfalls kann ich wegen Ihres Wissens die Knaben Ihnen überantworten; aber wir wollen uns Beide die Sache doch noch weiter überlegen. Wenn Sie mir die Arbeiten bringen, sprechen wir weiter davon.«

      Aber als Esther einige Tage darauf das Studirzimmer mit ihren Ausarbeitungen wieder betrat, kam ihr Pastor Krause äußerst herzlich entgegen und sagte: »Esther, ich glaube, ich engagire Sie auf der Stelle. Ich habe noch viel über Sie nachgedacht und ich meine, Sie sind der Sache gewachsen. Alles, was ich über Sie gehört, zeigt mir, daß Sie ein Mädchen sind, stark an Seele und Geist, und ein solcher Lehrer ist einer Schaar Knaben wohl gewachsen. Sie werden schon mit den Bürschchen fertig werden, und im Uebrigen stehe ich Ihnen ja zur Seite.«

      So trat Esther denn wenig Wochen darauf ihr neues Amt im Pfarrhause an. Drei fremde Knaben waren mit den beiden Söhnen des Pastors ihre Schüler, und der Unterricht ging vortrefflich. Pastor

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