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höchsten Respect vor ihr; denn nicht nur, daß sie im Unterricht eifrig und tüchtig war, sie verstand auch, die oft unbändigen, übermüthigen Burschen vortrefflich im Zaume zu halten. Gerade daß sie selbst der tollen und wilden Streiche eine solche Menge gemacht hatte, schärfte ihren Blick für die Streiche ihrer Zöglinge, die oft ganz verblüfft waren, wie schnell Esther ihre Pläne und Absichten durchschaute. Für sie selbst aber erschloß sich eine reiche Quelle der Freude durch diese Thätigkeit, und lehrend lernte sie selbst alles das wieder, was im Laufe der Jahre ihrem Gedächtnisse entschlüpft war.

      Und mit welch' freudigem Stolze empfing sie dann die Einnahmen, die ihr aus ihrer Lehrerthätigkeit erwuchsen! Mit leuchtenden Blicken zeigte sie eines Tages Frau von Ihlefeld ihren kleinen Schatz, den sie in Jahresfrist für Bertel gesammelt hatte.

      »Du gutes Kind, welche Opfer bringst du!« seufzte die Wittwe traurig. »Wenn ich selbst doch nur nicht so gänzlich aller Mittel beraubt wäre! Immer habe ich noch gehofft, eine alte Schuld, die mein armer Mann ausstehen hatte, würde noch einmal einlaufen; aber auch diese Hoffnung ist sicher vergebens.«

      »Eine Schuld, liebe Tante?« fragte Esther erstaunt. »Warum fordern Sie dieselbe denn nicht ein? Wer ist denn der Schuldner?«

      »Das ist ja eben das Unglück,« entgegnete Frau von Ihlefeld klagend. »Der Schuldner ist todt, und durch ein unbegreifliches Versehen ist der Schein verschwunden, der die Schuld bestätigt. Ein Vetter meines Mannes, der uns vor einigen Jahren besuchte, bedurfte zu einem Unternehmen eines Kapitals, das mein Mann ihm vorschoß. Ich selbst war dabei, als sie es in meinem Zimmer besprachen und ich sah, wie der Vetter die Schuldverschreibung aufsetzte. Wo dies Papier dann aber hingekommen ist, weiß ich nicht; mein Mann suchte oft danach, besonders nachdem die Nachricht vom plötzlichen Tode des Vetters eintraf. O mein Gott, jenes Kapital von 15 Tausend Thalern hätte meinen unglücklichen Mann vielleicht gerettet! Aber da der Schuldschein verschwunden war, hat er nicht gewagt, von dem Erben des Vetters jene Summe zu fordern. Und so ist alles Wünschen vergebens, das Geld ist und bleibt verloren.«

      »Wer ist denn der Erbe dieses Vetters, Tante?« fragte Esther. »Ein Kaufmann in Südfrankreich, in Nîmes glaube ich,« entgegnete Frau von Ihlefeld. »Er heißt Richard und ist ein Neffe unseres Vetters Etienne de Villemaud.«

      »Und Sie glauben, er wisse nichts von der Schuld?« forschte Esther.

      »Augenscheinlich hat der Vetter die Summe nicht als Schuld verzeichnet, und sein schneller Tod hat alle Mittheilungen über seine Verhältnisse unmöglich gemacht,« sagte Frau von Ihlefeld niedergeschlagen. »Herrn Richard kann niemand die Summe abfordern, der den Schuldschein nicht vorzeigt. Aber während wir im Wohlstand lebten, sorgte ich mich wegen solchen Verlustes wenig, und mein Mann hat mir bis zum letzten Augenblick alles verborgen gehalten, was ihn bekümmerte. Ich ahnte ja nie, daß mit dem unseligen Gelde so viel Glück und Frieden zu Grunde gehen könne.«

      Esther suchte das Gespräch auf einen anderen Gegenstand zu lenken, denn Frau von Ihlefeld wurde durch solche Erinnerungen stets von Neuem aufgeregt. Im Stillen aber konnte sie den Gedanken an jenen verschwundenen Schuldschein nicht los werden. Fast das ganze Besitzthum der Ihlefeld'schen Familie war in fremde Hände übergegangen. Wenn der Schein in irgend einem Schranke oder Fache verborgen lag, so war er unwiederbringlich für Bertel und dessen Mutter verloren. Und doch welcher Besitz wäre für Bertel eine solche Geldsumme! Aber es war eine Thorheit, sich mit solchen Gedanken abzugeben. Wäre der Schein nur irgendwie zu finden gewesen, so hätte Herr von Ihlefeld in seiner Noth und Verzweiflung sicher alles daran gesetzt, ihn zu entdecken. Das Verschwinden des Scheines war eben ein Unglück wie alles andere, was über die Familie hereingebrochen. Es war das Beste, nicht mehr daran zu denken. —

      Jetzt bezog Hubert die Universität, und Esther übergab ihm mit freudigem Stolze ihre so tapfer erworbenen Schätze.

      »Du bist und bleibst eben mein bester Kamerad, Esther,« sagte Bertel, die Summe freudig annehmend. »Ich kann dir nicht besser danken, als indem ich alle meine Kräfte opfere, um das schöne Ziel zu erreichen, das mir vorschwebt. Aber nie, und wenn ich hundert Jahr alt werde, will ich vergessen, welche Hand es war, die mir zu dem Ziele verhalf. Ich weiß, mein Glück ist auch das deine, darum nehme ich deine Opfer ohne Zögern an. Gott segne dich für alles, was du an mir thust, Esther!«

      Die Einzige, die sich mit all' diesen Arbeiten, Mühen und Opfern Esthers nicht ganz einverstanden erklärte, war Frau Booland. Sonst fand sie immer alles vortrefflich, was ihr Liebling unternahm; aber die jetzige Thätigkeit ging doch etwas gegen ihren Sinn. »Das arme junge Blut quält sich da Tag für Tag mit den wilden Jungens ab, statt ihre Jugend in Ruhe und Freude zu genießen,« sagte sie eines Tages in einer traulichen Stunde zu ihrer jetzigen Freundin, der Pastorin Krause. »Ihre Söhne sind freilich auch dabei, liebe Pastorin, und ich selbst bin wohl mit daran Schuld, daß der Herr Pastor dem braven Kinde das Amt anvertraute; warum lobte ich sie auch immerfort so gegen ihn, besonders nachdem Esther sich um die Stelle bemüht hatte, und er mich über das Kind ausforschte. Aber lügen kann ich einmal nicht und weß das Herz voll ist, deß geht der Mund über. Aber jetzt geht er mir auch wieder über, denn mein Herz ist voll Jammer um das liebe Goldkind, das noch nichts als Arbeit in seinem jungen Leben kennen gelernt hat. Und Gott weiß, ob ihr all' ihre Mühe und Quälerei einmal ordentlich gedankt wird; denn wenn das Unglück die arme Frau von Ihlefeld auch ordentlich gebeugt hat, die gnädige Frau bleibt sie noch immer bis in die kleine Fußzehe hinab, und da habe ich so meine Gedanken. Estherchen ist und bleibt halt eben Bürgerblut, das aber erkennt die Frau nie für Ihresgleichen, und wenn das Kind noch tausend Mal mehr für sie thäte.«

      »Aber Hubert denkt doch nicht so, liebe Frau Booland, das sollte Sie trösten,« entgegnete die Pastorin.

      »Nein, stolz ist der nicht, das muß wahr sein!« sagte Frau Booland den Kopf erhebend. »Aber, aber, so wie er sollte, ist er doch auch nicht. Alles was Esther für ihn thut, nimmt er ruhig hin, als verstände sich das ganz von selbst so. Danken mag er ihr wohl, denn er ist ein lieber, weicher Junge; aber er hat keine Idee, und frägt auch weiter nicht danach, was Esther alles opfert, nur um ihm das Leben leicht zu machen. Das Mädchen ginge mit Freuden für ihn durch das Feuer, und er? Nun ja, wenn er dadurch Nutzen hätte, würde er sie auch ruhig gehen lassen. Lieb hat er sie, das ist gewiß; aber immer nur, wie man einen guten Kameraden lieb hat, und so nennt er sie ja auch immer. Die leidenschaftliche Liebe aber, die meine kleine Esther von Kindesbeinen an schon für den hübschen Jungen gehabt hat, und die jetzt wie ein stilles Feuer das ganze Mädchen durchglüht, davon hat der junge Herr keine Ahnung. Ach ich weiß es nicht, aber mir ist das Herz oft gar zu schwer, denke ich an Esthers Zukunft. So ein Prachtmädchen verdiente ein herrliches Schicksal; aber, aber, wie wird das einmal werden? Ich hörte neulich einige Worte, als Esther dem Bertel das Ersparte mitgab; es war so recht bezeichnend. »Ich weiß, Esther,« sagte Bertel, »mein Glück ist auch das deine, darum nehme ich deine Opfer ruhig an.«

      »Nun ja, mein Glück ist auch das deine! Da liegt's. Aber ob ihr Glück auch das seine ist? Davon schweigt die Geschichte, und erst die Zukunft kann es lehren.«

      »Legen wir alles in Gottes Hände, meine liebe Frau Booland,« sagte die Pastorin tröstend. Die brave Schullehrerswittwe nickte still mit dem Kopfe und eilte ihrem kleinen Waldhause zu, an dessen Thür sie ihr Goldkind, wie gewöhnlich, wenn sie ausgegangen war, freudig erwartete.

      Ein Jahr verstrich Esther noch in gewohnter Thätigkeit, da rief sie eines Tages Pastor Krause in sein Studirzimmer. »Meine liebe Tochter,« sagte er freundlich, »Sie haben den Ihnen anvertrauten Posten während der ganzen Zeit mit seltener Treue und Tüchtigkeit ausgefüllt, so daß Sie stolz auf Ihre Schüler sein können. Aber jetzt muß ich das Amt leider aus Ihren Händen nehmen, denn die Knaben sollen auf das Gymnasium in der Stadt, für dessen Oberklassen sie jetzt reif sind. Nun will ich Sie aber trotzdem doch nicht zu Athem kommen lassen, mein liebes Kind. Ich habe eine Aufforderung aus England erhalten, einen jungen Lehrer dorthin zu schicken, welcher in einer vornehmen Familie einige Knaben zu unterrichten versteht. Auf meine Anfrage, ob der Lehrer nicht ein junges Mädchen sein könnte, welches so viel Kenntnisse besitzt, daß sie meine Söhne zum Gymnasium vorbereitet hätte, erhielt ich eine Antwort, welche sich außerordentlich erfreut über solches Anerbieten ausspricht. Eine sehr bedeutende Summe

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