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freilich, eine Bedingung ist dabei, welche Ihnen vielleicht Schwierigkeiten machen wird: man wünscht, daß Sie auch fertig französisch sprechen. Doch auch das wird sich einrichten lassen. Die Stelle ist erst in einem halben Jahre anzutreten, bis dahin lernen Sie alles. Die Schwester meiner Frau hat eine französische Pension in Genf und wird Sie mit Freuden als lieben Gast bei sich aufnehmen. Den Ausfall, den Ihre Einnahmen in dieser Zeit erleiden, deckt die Aussicht auf baldige größere Summen, die Ihnen in England zufließen werden. So denke ich, sind die Wege gebahnt, und Sie sind mit mir zufrieden, liebe Esther. Habe ich Recht?«

      »O sehr, sehr, lieber, guter Herr Pastor,« rief Esther, welche jetzt wie aus einem Traum erwachte. Hastig ergriff sie die dargebotene Hand Pastor Krauses. »Verzeihen Sie mir nur, daß ich nicht augenblicklich mit Entzücken aufjuble,« sagte sie und eine Thräne glänzte in ihrem Auge. »Aber eine Trennung von meinen Lieben ist mir ein gar zu beängstigender Gedanke. Ich war ja noch nie auch nur einen Tag vom Hause fort, und nun.... Aber haben Sie Geduld mit mir, Herr Pastor! Ich werde schon alles in mir verarbeiten und Ihnen dann Ehre machen, das verspreche ich Ihnen. Jetzt aber muß ich zuerst mit Tante Booland sprechen, früher kann und darf ich nichts bestimmen.«

      Aber Frau Booland nahm die Nachricht freudiger auf, als Esther gefürchtet hatte. Muthig bekämpfte das brave Weib allen Jammer ihres Herzens, den eine lange Trennung ihr verursachen mußte, nur um Esther den Abschied leicht zu machen. Die Pastorin Krause hatte schon seit einiger Zeit geheime Besprechungen mit Frau Booland gehabt und ihr alle diese Pläne mitgetheilt, welche ihr Gatte Esther darlegte. So überraschten sie Esthers Mittheilungen denn nicht mehr, sondern fanden schon ein vielfach bearbeitetes Terrain vor sich.

      »Ich bin froh, daß du einmal ein Stückchen von Gottes schöner Welt sehen sollst, meine kleine Esther,« sagte Frau Booland heiter. »Hier in unserem Dorfe versauerst du ja ganz und gar, und Arbeit hast du hier wie anderswo. Die Schwester unserer lieben Pastorin freut sich schon auf dich, da wirst du eine schöne, vergnügte Zeit verleben, und was die Sache mit England betrifft, nun, gute Menschen sollen es ja auch sein, zu denen du kommst, sagt der Herr Pastor. Du lernst dort ein Bischen von der großen Welt kennen, das ist auch gut, und für alles andere lassen wir den lieben Gott sorgen. Deine alte Tante Booland wird dir dein Häuschen indessen gut versorgen, daß du jeden Augenblick wieder in dein warmes Nest zurückkommen kannst. Mit bösen Gedanken über die Trennung wollen wir uns das Herz nicht unnütz schwer machen, mein Goldkind; denn wir haben ja alle Beide starke Herzen und sind nicht aus Wachs oder aus Marzipan gemacht.«

      Aber Esther hatte noch eine andere Trennung zu überwinden, mit welcher ihr junges Herz noch viel schwerer kämpfte. Ihren Bertel sollte sie verlassen! Und doch war er es ja gerade, der sie hinaustrieb in die Welt; denn für wen sonst hätte sie diese Opfer gebracht, für wen sonst das friedliche Stillleben ihrer Heimath aufgeben mögen? Nur damit ihr junger Freund sorglos und unbekümmert seinen Studien obliegen, noch Jahr für Jahr ungetheilt der Wissenschaft leben konnte, ohne für sein tägliches Brod sorgen zu müssen, unterwarf sie sich all' diesen Dingen freudig und unverdrossen. Deshalb, wie sehr ihr auch das Herz blutete, schrieb sie dennoch einen jubelnden Brief an Bertel, der ihm alle diese Pläne mittheilte. Er durfte ja nicht ahnen, wie schwer ihr das Opfer wurde. Ein letzter Besuch Bertels vor Esthers Abreise war das Einzige, was sie sich von ihm erbat, und in vollen Zügen genossen Beide noch einmal das Glück ihres Beisammenseins.

      So sagte denn Esther eines Morgens der lieben, traulichen Heimath Lebewohl, von ihren Freunden im kleinen Waldhause wie von Pastor Krauses bis zur nächsten Stadt begleitet, von wo die Eisenbahn sie gen Süden weiter führte. Sie war einer befreundeten Dame anvertraut worden, die nach der Schweiz reiste, und bald vertrieben die stets neuen Eindrücke, welche Esther auf dieser ersten Reise fast überstürzten, die Schmerzen des Abschiedes.

      Die großen Städte, in denen sie übernachteten, erregten ihr Staunen und ihre Neugierde; als sich aber endlich die hohe Kette der Alpen vor ihren Blicken ausbreitete mit ihren majestätischen Häuptern, auf denen Eis und Schnee lagerte, während saftig grüne Matten und Wälder die Vorberge deckten, und unzählige Ortschaften wie Spielzeug auf der Ebene verstreut lagen, da jubelte Esther auf vor Wonne und Entzücken, und ihr junges Herz gab sich rückhaltlos den Eindrücken hin, die sie bestürmten. Und nun gar der herrliche Genfersee, der schimmernd blau zu ihren Füßen ruhte, rings umkränzt von köstlichen Bergen, grünen Fluren und lachenden Dörfern, hoch oben alles überragend, aber die Jungfrau mit ihren ewigen Eisfeldern und der leichten Wolke, welche fast immer ihren höchsten Gipfel krönt. Es war so namenlos herrlich, daß Esther fromm ihre Hände in einander legte und thränenden Auges Gott dankte, der sie in diese Wunderwelt geleitet. Denn hier am Fuße dieser herrlichen Jungfrau, am Rande dieses köstlichen Sees sollte sie ja leben und Tag für Tag diese Wunder vor Augen haben! Welch eine Aussicht war dies, und wie schlug ihr das Herz bei diesem Gedanken voll Freude und Wonne.

      Genf selbst freilich, die alte Stadt mit ihren vielen engen Straßen gefiel Esther weniger; aber das Haus Madame Gautier's lag vor dem Thore mitten in einem hübschen Garten, da hatte man die schönste Aussicht gleich vom Fenster aus vor sich. Man empfing Esther mit großer Freundlichkeit, und besonders Madame Gautier war so herzlich und gut, als sei die neue Hausgenossin die Tochter ihrer Schwester. Eine Menge fröhlicher junger Mädchen umgab sie früh und spät, und diese schienen sich förmlich den Rang streitig zu machen, ihr Angenehmes zu erzeigen.

      So fühlte sich Esther denn wie in eine neue herrliche Welt versetzt und ihre Briefe, die sie nach Hause schickte, athmeten nichts als Glück und Behagen.

      Esther war bereits einige Monate im Hause Madame Gautier's und ihr eifriges Bestreben war, die französische Sprache möglichst schnell und gründlich zu erlernen. Sie machte auch bald die besten Fortschritte, hatte ja doch Frau von Ihlefeld schon vortrefflich vorgearbeitet, als sie Esther Unterricht ertheilte, dem das junge Mädchen freilich wegen ihrer anderweitigen Beschäftigungen wenig Zeit hatte widmen können. Frau von Ihlefeld hatte Esther einige französische Bücher zur Lectüre mitgegeben, welche sie aus ihrem einstigen Besitzthum mit sich genommen, und Esther war erfreut, so gute Fortschritte zu machen, daß sie diese Bücher bald selbständig lesen konnte. Eines Tages wagte sie sich sogar an Gedichte und griff nach einem Buche, das längst schon ihr lebhaftes Interesse erweckt hatte. Es war sehr elegant eingebunden und von ziemlich großem Format, auf dem inneren Deckel aber standen die Worte: »A son cousin Oscar de Ihlefeld Etienne de Villemaud. Auteur.«

      Esther kam beim Anblick dieses Namens das Gespräch wieder in den Sinn, das sie mit Frau von Ihlefeld gehabt hatte, und die Erinnerung an jenen unglücklichen verschwundenen Schuldschein. Jener Etienne war also Dichter und hatte dies sein Werk dem Vetter als Geschenk hinterlassen. Zerstreut ließ Esther die Blätter des Buches durch ihre Finger gleiten und überblickte die Ueberschriften der Gedichte. Dabei schob sich ein zusammengefaltetes Papier aus dem Buche, und Esther schlug es gleichgültig auseinander, irgend ein abgeschriebenes Gedicht vermuthend. Aber wer beschreibt ihre Ueberraschung — das zusammengefaltete Papier war der verloren geglaubte Schuldschein!

      Esther zitterten die Kniee von dem freudigen Schreck, und lange wollte sie ihren Augen nicht trauen. Aber da stand ja alles, wie Frau von Ihlefeld es ihr mitgetheilt: Oscar von Ihlefeld, Besitzer vom Rittergut Rahmstedt, hatte am 6. Mai 18.... an Etienne de Villemaud eine Summe von fünfzehntausend Thalern übergeben; die Zinsen sollten zum Kapital geschlagen werden. Unterzeichnet war der Schein von den beiden Vettern und alles in voller Ordnung und Richtigkeit.

      Wahrscheinlich lag das Buch als Geschenk Etienne's auf dem Tische, und Herr von Ihlefeld hatte in Gedanken den Schein da hinein gelegt, als er ihn in sein Zimmer trug; denn Frau von Ihlefeld sagte ja, die Sache sei in ihrer Gegenwart und ihrem Zimmer verhandelt worden.

      O welch ein Fund war das! Und wie gut, daß der Schuldschein bis jetzt verborgen gewesen, sonst wäre das Geld sicher auch noch verloren gegangen wie alles andere. Nun hatte ja alle Noth und Sorge ein Ende! Nun konnte Bertel studiren und reisen nach Herzenslust, wie er so sehnlich wünschte, und die arme Frau von Ihlefeld sah nun wieder bessere Tage. Esther schwindelte der Kopf von der Fülle der Gedanken, und lange saß sie sinnend und Pläne schmiedend an ihrem Fenster. Zum erstenmale schaute ihr Auge theilnahmlos auf die wunderschöne Welt, die sich vor ihr ausbreitete, und ihr Herz jubelte nicht auf über die Pracht und Herrlichkeit, in welcher die Abendsonne das stolze Haupt der Jungfrau umkleidete,

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