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sanfte Esther hier am Bette des Vaters sah, der hätte das wilde Kind aus Wald und Wiese nicht wieder erkannt. Frau Booland stand oft mit gefaltenen Händen still neben dem Lager und beobachtete ihren jungen Liebling, und eine Thräne stahl sich dann in ihr gutes Auge. »Gott segne und schütze das arme Herzchen!« sagte sie leise und seufzte tief auf, denn unwillkürlich schweiften ihre sorgenden Gedanken in die Zukunft.

      Und nur zu bald sollten diese Sorgen Begründung finden. Statt der Genesung nahte ein sanfter Tod dem Erkrankten, und Esther weinte schon nach wenig Wochen am Sarge ihres geliebten Vaters. Das früh verwaiste Mädchen schmiegte sich in ihrem Kummer jetzt mit doppelter Innigkeit an das treue Herz, das ihre Kindheit behütet und bewahrt hatte.

      »O Tante Booland,« rief sie weinend, als sie an der Seite dieser braven Frau vom Friedhofe zurückkehrte und das einsame Pfarrhaus wieder betrat, aus dem man ihren Vater zur ewigen Ruhe hinweggetragen, »nicht wahr, du verläßt mich nicht auch, sondern bleibst bei deiner armen kleinen Esther?«

      »Nein, mein liebes Herzenskind, ich verlasse dich nicht, wenn's der liebe Gott nicht anders bestimmt,« sagte Frau Booland sanft und streichelte die Wange des Mädchens. Dabei aber flogen ihre Blicke unruhig und sorgenvoll hinüber nach dem Gutshofe, und eine erwartungsvolle Spannung trieb sie rastlos umher, so daß sie zum ersten Male im Leben selbst bei ihrer Näharbeit keine Ruhe fand. Rasch fuhr sie oft empor, als höre sie jemand kommen, und immer wieder blickte sie nach dem Wege hinaus, der durch das Dorf führte.

      Endlich steigerte sich die Erwartung der braven Frau bis zum Aeußersten; denn sie hörte draußen im Hofe Schritte und sah gleich darauf Frau von Ihlefelds schlanke Gestalt in das Haus eintreten.

      Herr und Frau von Ihlefeld hatten mit dem Pfarrhause stets freundlichen Verkehr gepflogen, so lange Pastor Wieburg Pfarrer ihres Dorfes Rahmstadt gewesen, und die Freundschaft der Kinder hatte die beiden Häuser in mannigfache Verbindung gebracht. Der ernste, abgeschlossene Pfarrer besuchte den Gutshof zwar nur selten; aber er war jederzeit dort ein geehrter und lieber Gast. Herr von Ihlefeld besaß wirkliche Hochachtung für ihn und auch die Gutsherrin, obwohl sie vor dem ernsten Manne eine kleine Scheu nicht überwinden konnte, ehrte in demselben den würdigen Geistlichen und langjährigen Freund. Beide Gatten aber waren vom tiefsten Danke beseelt für die treue Liebe und Hingebung, mit welcher Pastor Wieburg jahrelang ihren einzigen Sohn unterrichtete und ihm der sorgsamste Lehrer und liebevollste Erzieher gewesen war.

      Aber trotz dieses freundschaftlichen Verkehrs und trotz der steten Freundlichkeit, welche Esther im Gutshofe genoß, konnte man doch bemerken, daß Herr und Frau von Ihlefeld jederzeit etwas Zurückhaltendes im Umgang mit den Gliedern des Pfarrhauses behielten. Sie waren und blieben stets die adlige Herrschaft von Rahmstedt, und ihre Freundlichkeit glich nur zu häufig der Gunstbezeugung eines Höheren gegen Niedriggestellte. Besonders die einfache Frau Booland hatte oft von dem Stolze der Gutsherrin zu leiden; aber in ihrer Demuth klagte sie nie über derartige Kränkungen. Der Pfarrer bemerkte dergleichen Schwächen bei seinen Freunden kaum, oder lächelte nur im Stillen darüber, Esther aber war viel zu sehr sorgloses Kind, um dergleichen zu empfinden.

      Bei der Erkrankung des Pfarrers aber hatten sich Herr und Frau von Ihlefeld theilnehmend und wahrhaft freundschaftlich bewiesen, und mehr als einmal hatte die Gutsherrin, wenn sie auf den leider zu erwartenden Trauerfall Bezug nahm, mit inniger Theilnahme zu Frau Booland gesagt: »Um Esthers Zukunft soll der Kranke keine Sorge haben, dieses lieben Kindes werden wir uns annehmen, das versteht sich von selbst.« Aber in welcher Weise dies geschehen würde, darüber sprach sie sich nie weiter aus, und so war es natürlich, daß Frau Booland der jetzigen Entscheidung mit lebhafter Unruhe entgegensah. Drohte der braven Pflegerin ja doch die Trennung von ihrem Lieblinge, der sie mit wirklich mütterlicher Liebe anhing. Und doch wagte sie nicht zu klagen und solche Gedanken laut werden zu lassen; denn was konnte es für Esther's Zukunft denn Besseres geben, als im Hause von Bertels Eltern liebevolle Aufnahme zu finden? Ihre Phantasie wob dann in reger Geschäftigkeit weiter an den herrlichen Zukunftsträumen für ihren jungen Pflegling, und wenn ihr auch die hellen Thränen dabei über das ehrliche Gesicht tropften, dachte sie an die Trennung und an ihr eigenes einsames Leben, so schalt sie sich doch immer wieder selbst über solchen Egoismus, der noch an das eigene Glück neben dem der geliebten Esther denken konnte.

      Und nun war der Augenblick gekommen, der ihr die Kunde bringen mußte, daß Esther jetzt mit Frau von Ihlefeld gehen und sie allein zurücklassen sollte! Die brave Frau Booland hatte all' ihre Kraft zusammen zu nehmen, um Frau von Ihlefeld ruhig und mit der gewöhnlichen höflichen Ergebenheit entgegen zu gehen. Die Gutsherrin war ein seltener Gast in dem Pfarrhause, nur während der Krankheit Pastor Wieburgs hatte sie dasselbe häufiger besucht, um Esther ihre Theilnahme zu beweisen; der Kranke selbst erkannte sie kaum noch. Hubert begleitete heute seine Mutter; denn zur Beerdigung seines theuren Lehrers war er auf einige Tage aus der Pension nach Hause gekommen. Während die beiden Kinder nun in Esthers Stübchen beisammen waren, und Bertel seine junge Freundin zu trösten und zu zerstreuen suchte, saß im Wohnzimmer Frau von Ihlefeld der erregten Frau Booland gegenüber und sagte nach einer kleinen Pause, während welcher das Herz der ehemaligen Frau Schulmeisterin fast hörbar klopfte: »Meine gute Frau Booland, ich habe Ihnen schon mehrfach angedeutet, daß nach Herrn Pastor Wieburgs Tode die Sorge für dessen Tochter mein und meines Mannes Sache sein wird; das sind wir demjenigen schuldig, der unserem Sohne ein so treuer, väterlicher Freund gewesen ist. Wir haben vielfach nachgedacht, was für Esther wohl das Beste sein möchte. Wollten wir sie zur Lehrerin ausbilden lassen, so müßte sie noch lange Zeit in eine Pensionsanstalt gehen; denn sonderbarer Weise hat sie gerade die Dinge, welche eine Erzieherin wissen muß, nicht gelernt trotz aller Gelehrsamkeit. Moderne Sprachen kann sie nicht und mit Musik und Zeichnen ist es auch nicht viel geworden. Aber bei der Eigenthümlichkeit Esthers würde sie ein solcher Aufenthalt sehr unglücklich machen, denke ich mir. Das Einfachste wäre, sie zu uns in das Haus zu nehmen. Aber auch dagegen spricht vieles. Esther ist ein armes Mädchen, eines schlichten Landpredigers Tochter, angewiesen auf eine Zukunft voll bescheidener Aussichten und einfacher Lebensstellung. In unserem Hause aber würde sie sehr verwöhnt werden, würde Ansprüche lernen, welche für ein Mädchen bürgerlicher Herkunft und ohne Vermögen nicht passend wären. Und doch würde es, glaube ich, kränkend für sie sein, wollte ich, um diese Uebelstände zu vermeiden, ihr eine untergeordnete Stellung in unserem Hause zuweisen.

      So haben wir denn beschlossen, ihr ein kleines Eigenthum zu schenken, in dem sie mit dem mütterlichen Vermögen, welches ihr geblieben ist, eine bescheidene selbständige Existenz finden kann. Sie, meine brave Frau Booland, würden ein gutes Werk thun, wenn Sie Esther zur Seite blieben, wie bisher. Das kleine Haus, das neben der Försterei liegt, und ein Stückchen Garten und Feld soll Esthers Eigenthum werden. Ich denke, das wird ihr lieb sein, besonders wenn sie hört, daß es Bertels Idee war, ihr dies zu schenken; er glaubt, der nahe Wald wird für Esther einen besonderen Reiz haben. Er ist immer so sinnig und gut, unser braver Sohn, und möchte jedem eine Freude machen, und wir kommen seinen Wünschen immer gern nach, wenn es möglich ist. Ich denke, Esther wird sich gegen uns und gegen Hubert auch stets dankbar beweisen, denn sie ist ja ein liebes, bescheidnes Mädchen und wird es hoffentlich auch stets bleiben. Nun aber rufen Sie mir Esther, liebe Booland, damit ich mit ihr über diese Sachen sprechen kann.

      Frau Booland war froh, daß sie einen Grund hatte, hinaus zu gehen; denn in ihr jagten und überstürzten sich tausend Gedanken und Gefühle, und doch wagte die bescheidene Frau nicht, dieselben gegen die stolze Gutsherrin auszusprechen. Mit einer leichten Verbeugung erhob sie sich vom Stuhle und schritt dann rasch zum Zimmer hinaus.

      »Gott sei Dank, daß ich fort konnte!« sagte sie tief aufathmend und legte die große Hand wie beruhigend auf ihr weißes Brusttuch. »Ist das eine Welt! Sind das Menschen! Hochmuth, Hochmuth und nichts als Hochmuth! Ja, sorgen wollen sie für das arme, herzige Kindchen; aber mit welcher Miene, welcher beleidigenden Art und Weise! Die Füße soll sie ihnen wo möglich dafür küssen, und daß sie sich nur ja nicht etwa untersteht, sich jemals ihres Gleichen zu dünken! Und da muß Bertel erst noch kommen und ihnen den Weg zeigen, und eigentlich ist's nur, um ihm einen Wunsch zu erfüllen, sonst hätten sie es sicher gar nicht gethan. Nun Gott sei Dank, daß es so gekommen ist, da kann ich doch bei meinem Herzblättchen bleiben! Mir konnte ja kein größeres Glück passiren. Aber für Esther! Nein, nein, auch für Esther ist es besser so, als

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