Скачать книгу

Regel geworden. Noch die letzte Kaiserin-Regentin: Tsu hsi, hat mit Eunuchen zu regieren gesucht[289]. Welche Rolle bei diesen durch die ganze chinesische Geschichte sich ziehenden Kämpfen die Taoisten und Buddhisten gespielt haben: – warum und inwieweit sie natürliche, inwieweit Konstellations-Koalierte der Eunuchen waren, – ist hier noch nicht zu erörtern. Mehr beiläufig sei bemerkt, daß auch die Astrologie wenigstens dem modernen Konfuzianismus als unklassische Superstition[290] und Konkurrenz gegen die alleinige Bedeutung des Tao-Charisma des Kaisers für den Gang der Regierung galt, was ursprünglich nicht der Fall war. Hier dürfte die Ressort-Konkurrenz der Hanlin-Akademie gegen das Astrologenkollegium entscheidend mitgespielt haben[291], vielleicht auch die jesuitische Provenienz der astronomischen Meßinstrumente.

      Nach der Ueberzeugung der Konfuzianer brachte das Zutrauen zur Magie, welches die Eunuchen pflegten, alles Unheil. In seiner Denkschrift vom Jahre 1901 wirft Tao Mo der Kaiserin vor, daß im Jahre 1875 durch ihre Schuld der wahre Thronerbe beseitigt sei, trotz Protestes der Zensoren, was der Zensor Wu Ko Tu ihr mit Selbstmord quittiert habe. Männliche Schönheit zeichnet diese hinterlassene Denkschrift an die Regentin und den Brief an seinen Sohn aus[292]. An der reinen und tiefen Ueberzeugung bleibt nicht der mindeste Zweifel. Auch der Glaube der Kaiserin und zahlreicher Prinzen an die magische Begnadung der Boxer, der ihre ganze Politik allein erklärt, war sicher Eunuchen-Einflüssen zuzuschreiben[293]. Auf dem Totenbett hat die immerhin imposante Frau als ihren Rat hinterlassen: 1. nie wieder ein Weib in China herrschen zu lassen, – 2. die Eunuchen-Wirtschaft für immer abzutun[294]. – Anders als sie – wenn der Bericht zutrifft – zweifellos gedacht, ging dies in Erfüllung. Aber man darf nicht im Zweifel sein: daß für den echten Konfuzianer alles seither Geschehene, vor allem: die »Revolution« und der Sturz der Dynastie, nur eine Bestätigung der Richtigkeit der Glaubens an die Bedeutung des Charisma klassischer Tugend der Dynastie bedeuten kann und im (unwahrscheinlichen aber möglichen) Fall einer konfuzianischen Restauration so verwertet werden würde.

      Das konfuzianische, letztlich pazifistische, an innenpolitischer Wohlfahrt orientierte, Literatentum stand natürlich den militärischen Mächten ablehnend oder verständnislos gegenüber. Von der Beziehung zu den Offizieren wurde schon geredet. Die ganze Annalistik ist davon paradigmatisch erfüllt, sahen wir. Proteste dagegen, daß man »Prätorianer« zu Zensoren (und Beamten) mache, finden sich in der Annalistik[295]. Besonders da die Eunuchen als Favorit-Generäle nach Art des Narses beliebt waren, lag diese Gegnerschaft gegen das rein sultanistisch-patrimoniale Heer nahe. Den populären militärischen Usurpator Wang Mang rühmen sich die Literaten gestürzt zu haben: die Gefahr des Regierens mit Plebjern lag eben bei Diktatoren stets sehr nahe. Nur dieser eine Versuch aber ist bekannt. Dagegen der faktischen, auch rein durch Usurpation (wie die Han) oder Eroberung (Mongolen, Mandschu) geschaffenen Gewalt haben sie sich, auch unter Opfern – die Mandschus nahmen 50% der Aemter, ohne Bildungsqualifikation – gefügt, wenn der Herrscher sich seinerseits ihren rituellen und zeremoniellen Anforderungen fügte: dann stellten sie sich, modern ausgedrückt, »auf den Boden der Tatsachen«.

      »Konstitutionell« konnte – das war die Theorie der Konfuzianer – der Kaiser nur durch diplomierte Literaten als Beamte regieren, »klassisch« nur durch orthodox konfuzianische Beamte. Jede Abweichung davon konnte Unheil und, bei Hartnäckigkeit, Sturz des Kaisers und Untergang der Dynastie bringen. – Welches war nun der materiale Gehalt der orthodoxen Ethik dieses für den Geist der Staatsverwaltung und der herrschenden Schichten maßgebenden Standes?

      VI. Die konfuzianische Lebensorientierung.

      Wie von der Macht des zunehmend expropriierten Feudalismus und des nie entwickelten Bürgertums, so ist die Patrimonialbureaukratie auch von der Konkurrenz einer selbständigen Hierokratie verschont geblieben. Von einer sozial machtvollen Prophetie – sei es vorderasiatischen, iranischen oder indischen Gepräges – ist nicht das Geringste bekannt[296]. Niemals sind im Namen eines überweltlichen Gottes ethische »Forderungen« durch Propheten gestellt worden. Der ungebrochen gebliebene Charakter der Religiosität schließt ihre Existenz geradezu aus: die pontifikale, cäsaropapistische, Gewalt hat nur mit Feudalen, nicht mit Propheten, ernstlich zu kämpfen gehabt. Sie schaltete jede an solche auch nur erinnernde Bewegung als heterodoxe Häresie gewaltsam und systematisch aus. Nie ist die chinesische »Seele« durch einen Propheten revolutioniert worden[297]. »Gebete« der Privaten gab es nicht: der rituelle, literarische, Amtsträger und vor allem: der Kaiser sorgten für alles. Nur sie konnten das.

      Ein machtvolles Priestertum hat es, soweit geschichtliche Kunde reicht – mit den für den Taoismus zu machenden Vorbehalten – nicht gegeben. Vor allem keine eigene Erlösungslehre, keine eigene Ethik und: keine eigene Erziehung durch autonome religiöse Mächte. Es lebte sich also der intellektualistische Rationalismus einer Beamtenschicht frei aus, der hier wie überall im Innersten die Religionen verachtete, wo er ihrer nicht zur Domestikation benötigte, ihren berufsmäßigen Trägern aber nur dasjenige Maß von offizieller Geltung beließ, welches für jene Domestikationszwecke unerläßlich, und der starken traditionsgebundenen Macht der lokalen Sippenverbände gegenüber unausrottbar war. Jede weitere äußere und innere Entwicklung aber wurde radikal abgeschnitten. Staatsangelegenheit waren die Kulte der großen Gottheiten des Himmels und der Erde, verbunden mit einigen vergötterten Heroen und Spezialgeistern[298]. Sie wurden nicht durch Priester, sondern durch die Träger der politischen Gewalt selbst, gepflegt. Staatlich vorgeschriebene »Laienreligion« war allein der Glaube an die Macht der Ahnengeister und ihr Kult. Alle sonstige Volksreligiosität blieb – wie wir sehen werden – im Prinzip ein ganz systemloses Nebeneinander magischer und heroistischer Spezialkulte. Weit entfernt, daß der Rationalismus der Patrimonialbureaukratie diesen von ihm innerlich verachteten chaotischen Zustand systematisch umzuformen getrachtet hätte, akzeptierte er ihn vielmehr schlechthin. Denn einerseits mußte auch vom Standpunkt der konfuzianischen Staatsraison aus »dem Volke die Religion erhalten« werden: ohne Glauben konnte, nach einem Wort des Meisters, die Welt nicht in Ordnung gehalten werden und seine Erhaltung war daher politisch sogar noch wichtiger als die Fürsorge für die Nahrung. Andererseits aber war die kaiserliche Gewalt ihrerseits das höchste religiös geweihte Gebilde. Sie stand in gewissem Sinne über dem Gewimmel der Volksgottheiten. Zwar ruhte die persönliche Stellung des Kaisers, wie wir sahen, ausschließlich auf seinem Charisma als Vollmachtträger (»Sohn«) des Himmels, in dem seine Ahnen weilten. Aber – wie wir gleichfalls schon sahen – auch die Ehrung und Bedeutung der einzelnen Gottheiten war, ganz ebenso wie etwa diejenige des Heiligen eines neapolitanischen Kutschers oder Bootführers, noch gänzlich dem charismatischen Prinzip der Bewährung unterworfen. Gerade dieser charisma tische Charakter der Religiosität nun entsprach dem Selbsterhaltungsinteresse des Beamtentums. Denn alles Unheil, welches das Land betraf, desavouierte nun nicht die Beamtenschaft als solche, sondern nur allenfalls den einzelnen Beamten und den einzelnen Kaiser, dessen göttliche Legitimation dann verwirkt erschien. Oder: den Spezialgott. Es war also durch diese besondere Art von irrationaler Verankerung der irdischen Ordnungen das Optimum der Vereinigung von Legitimität der Beamtenmacht mit dem absoluten Minimum von selbständiger, mit dem Beamtentum denkbarerweise konkurrierender Gewalt überweltlicher Mächte und ihrer irdischen Vertretung erzielt. Jede Rationalisierung des Volksglaubens zu einer selbständigen, überweltlich orientierten Religion würde dagegen unentrinnbar eine selbständige Gewalt gegenüber der Beamtenmacht konstituiert haben. Dies »Pragma« machte sich immer wieder, bei jedem Ansatz, einen Stein aus diesem geschichtlich verwachsenen Gebäude zu lösen, in Gestalt entschlossenen Widerstandes der Beamten geltend. Ein besonderes Wort für »Religion« kennt die Sprache nicht. Es gab: 1. »Lehre« (einer Literatenschule), 2. »Riten«, ohne Unterschied: ob sie religiösen oder konventionellen Charakters waren. Der offizielle

Скачать книгу


<p>289</p>

S. Bland and Backhouse, China unter der Kaiserin-Witwe. Deutsch von Rauch, Berlin 1812, und die berühmte Denkschrift Tao Mo's aus dem Jahr 1901 dagegen.

<p>290</p>

Als 1441 eine von den Astrologen angesagte Sonnenfinsternis nicht erfolgte, gratulierte die Ritualbehörde, – aber der Kaiser lehnte das ab.

<p>291</p>

S. die (früher zitierte) Denkschrift der Hanlin-Akademie an die Regentinnen von 1878.

<p>292</p>

A.a.O. Kap. IX p. 130 f.

<p>293</p>

S. das Dekret der Kaiserin vom Februar 1901.

<p>294</p>

A.a.O. p. 457.

<p>295</p>

Z.B. Yu tsiuan tung kian kang mu des Kaisers Kian Lung (p. 167, 223) 1409 und 1428. Ein Verbot ähnlicher Art, sich in die Verwaltung zu mischen, an das Militär schon 1388, ebenda h. a.

<p>296</p>

Ueber die Anachoreten der älteren Zeit s. bei Nr. VII.

<p>297</p>

Ueber den Buddhismus s. später (Nr. VII und Band II dieser Aufsätze).

<p>298</p>

S. oben I.