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Auffassung der durch die Prüfung erprobten Amtsqualifikation. Der Geprüfte hatte durch Leistung der Prüfung erwiesen, daß er in eminentem Maße Träger des »schen« sei. Hohe Mandarinen galten als magisch qualifiziert. Sie selbst konnten immer, – die »Bewährung« des Charisma vorbehalten, – nach dem Tode und schon bei Lebzeiten Gegenstand eines Kults werden. Die überall urwüchsige magische Bedeutung des Schreibwesens und der Urkunde gab ihren Siegeln und ihrer Handschrift apotropäische und therapeutische Bedeutung und dies konnte sich bis auf das Prüfungsgerät der Kandidaten erstrecken. Ein vom Kaiser als Erster placierter Prüfling des höchsten Grades galt als Ehre und Vorteil der Provinz[284], aus der er stammte, und jeder, dessen Name nach bestandener Prüfung öffentlich angeschlagen wurde, der hatte »einen Namen im Dorf«. Alle Gilden und anderen Klubs von irgendwelcher Bedeutung bedurften eines Literaten als Sekretärs, und diese und ähnliche Stellen standen denjenigen Promovierten offen, für welche eine Amtspfründe nicht zur Verfügung stand. Die Amtsinhaber und geprüften Amtsanwärter waren kraft ihres magischen Charisma und ihrer Patronagebeziehungen, gerade soweit sie aus Kleinbürgerkreisen stammten, statt der in Indien die gleiche Rolle versehenden Brahmanen (»Gurus«), die naturgemäßen »Beichtväter« und Berater in allen wichtigen Angelegenheiten für ihre Sippen. Der Amtsinhaber war, wie wir ebenfalls schon sahen, neben dem Staatslieferanten und großen Händler, diejenige Persönlichkeit, welche am meisten Chancen hatte, Besitz zu akkumulieren. Oekonomisch wie persönlich war daher der Einfluß dieser Schicht auch außerhalb der eigenen Sippe, – innerhalb deren ja, wie früher betont, die Autorität des Alters ein starkes Gegengewicht bildete, – für die Bevölkerung annähernd so groß, wie im antiken Aegypten diejenige der Schreiber und Priester zusammengenommen. Ganz unabhängig von der »Würdigkeit« der im Volksdrama oft verspotteten einzelnen Beamten stand dies Prestige der literarischen Bildung als solcher doch bei der Bevölkerung felsenfest, so lange, bis es durch moderne, okzidental geschulte Mitglieder der eigenen Schicht untergraben wurde.

      Der soziale Charakter der Bildungsschicht bestimmte nun auch ihre Stellungnahme zur Wirtschaftspolitik. Wie so viele andere typischen Züge patrimonial-bureaukratischer Gebilde theokratischer Prägung trug das Staatswesen seiner eigenen Legende nach schon seit Jahrtausenden den Charakter eines re ligiösutilitarischen Wohlfahrtsstaates. Allerdings hatte die reale Staatspolitik die Wirtschaftsgebarung, wenigstens soweit Produktion und Erwerb in Betracht kam, in China ebenso wie im alten Orient, seit schon sehr langen Zeiten im wesentlichen – soweit nicht Neusiedelungen, Meliorationen (durch Bewässerung) und fiskalische oder militärische Interessen im Spiel waren – immer wieder sich selbst überlassen, aus den schon erörterten Gründen. Nur die militärischen und militärfiskalischen Interessen hatten immer aufs neue – wie wir sahen – leiturgische, monopolistische oder steuerlich bedingte, oft recht tiefe, Eingriffe in das Wirtschaftsleben: teils merkantilistische, teils ständische Reglementierung, hervorgerufen. Mit dem Ende des nationalen Militarismus fiel alle derartige planmäßige »Wirtschaftspolitik« dahin. Die Regierung, im Bewußtsein der Schwäche ihres Verwaltungsapparates, begnügte sich nun mit der Sorge für Vorflut und Unterhaltung der Wasserstraßen, welche für die Reisversorgung der führenden Provinzen unentbehrlich waren, im übrigen mit der typischen patrimonialen Teuerungs- und Konsumpolitik. Sie besaß keine Handelspolitik[285] im modernen Sinne: die Zölle, welche die Mandarinen an den Wasserstraßen errichteten, hatten, soviel bekannt, nur fiskalischen, niemals wirtschaftspolitischen Charakter. Sie verfolgte auch sonst, im ganzen genommen, kaum andere als fiskalische und polizeiliche wirtschaftspolitische Interessen, wenn man von den – bei dem charismatischen Charakter der Herrschaft – stets politisch gefährlichen Notstandszeiten absieht. Der, soviel bekannt, großzügigste Versuch einer einheitlichen Wirtschaftsorganisation: das Staatshandelsmonopol für den ganzen Ernteertrag, wie es im 11. Jahrhundert durch Wang An Schi geplant wurde, sollte neben fiskalischen Gewinnen in erster Linie dem Preisausgleich dienen und war mit einer Bodensteuerreform verknüpft. Der Versuch mißlang. Wie die Wirtschaft daher in weitem Maße sich selbst überlassen blieb, so setzte sich auch die Abneigung gegen »Staatsintervention« in ökonomischen Dingen, vor allem gegen die dem Patrimonialismus überall als Fiskalmaßregel geläufigen Monopolprivilegien[286] als eine dauernde Grundstimmung fest. Allerdings nur als eine neben ganz andern, aus der Ueberzeugung von der Abhängigkeit alles Wohlergehens der Untertanen von dem Charisma des Herrschers hervorgehenden Vorstellungen, die oft ziemlich unvermittelt daneben standen und die typische Vielregiererei des Patrimonialismus wenigstens als Gelegenheitserscheinung immer erneut erstehen ließen. Und ferner stets mit dem selbstverständlichen Vorbehalt der teuerungs- und nahrungspolitischen Reglementierung des Konsums, wie sie auch die Theorie des Konfuzianismus in zahlreichen Spezialnormen über Ausgaben aller Art kennt. Vor allem aber mit der jeder Bureaukratie selbstverständlichen Abneigung gegen zu schroffe, rein ökonomisch durch freien Tausch bedingte Differenzierung. Die zunehmende Stabilität der ökonomischen Zustände unter den Bedingungen des ökonomisch im wesentlichen autark gewordenen und sozial gleichartig gegliederten Weltreichs ließ ökonomische Probleme, wie sie die englische Literatur des 17. Jahrhunderts erörterte, gar nicht entstehen. Es fehlte durchaus jene selbstbewußte und politisch von der Regierung nicht zu ignorierende bürgerliche Schicht, an deren Interessen sich die »pamphlets« jener Zeit in England in erster Linie wendeten. Nur »statisch« wo es der Erhaltung der Tradition und ihrer speziellen Privilegien galt, war die Haltung der Kaufmannsgilden für die Verwaltung eine ernsthaft in Rechnung zu stellende Größe, wie überall unter patrimonial-bureaukratischen Verhältnissen. Dynamisch dagegen fiel sie nicht ins Gewicht, weil expansive kapitalistische Interessen von hinlänglicher Stärke nicht (nicht mehr!) existierten, um, wie in England, die Staatsverwaltung in ihren Dienst zwingen zu können. –

      Die politische Gesamtstellung der Literaten wird nur verständlich, wenn man sich gegenwärtig hält, gegen welche Mächte sie zu kämpfen hatten. Vorerst sehen wir von den Heterodoxien ab, von denen später (Nr. IV) die Rede sein wird. In der Frühzeit waren ihre Hauptgegner die »großen Familien« der Feudalzeit gewesen, die sich nicht aus ihrer Amtsmonopolstellung hatten drängen lassen wollen. Sie haben sich mit den Bedürfnissen des Patrimonialismus und der Ueberlegenheit der Schriftkunde abfinden müssen und haben Mittel und Wege gefunden, durch kaiserliche Gnade ihren Söhnen den Weg zu ebnen. Sodann: die kapitalistischen Amtskäufer: die natürliche Folge der ständischen Nivellierung und Geldwirtschaft in den Finanzen. Hier konnte der Kampf nicht dauernd und absolut, sondern nur relativ erfolgreich sein, weil jeder Kriegsbedarf als einziges Finanzierungsmittel der finanzlosen Zentralverwaltung Pfründen verschacherung darbot, auch bis in die jüngste Gegenwart. Sodann: die rationalistischen Interessen der Verwaltung am Fach beamtentum. Schon 601 unter Wen ti hervorgetreten, feierten sie 1068 unter Wang An Schiin der Not der Verteidigungskriege einen kurzlebigen vollen Triumph. Aber die Tradition siegte abermals und nun endgültig. – Es blieb nur ein dauernder Hauptfeind: der Sultanismus und die ihn stützende Eunuchen wirtschaft[287]: der Einfluß des eben deshalb von den Konfuzianern mit tiefstem Mißtrauen angesehenen Harems. Ohne die Einsicht in diesen Kampf ist die chinesische Geschichte vielfach fast unverständlich.

      Schon unter Schi Hoang Ti begann dieses zwei Jahrtausende dauernde Ringen und setzte sich dann unter allen Dynastien fort. Denn energische Herrscher versuchten natürlich stets erneut, mit Hilfe der Eunuchen und plebejischer Parvenus die Bindung an die ständisch vornehme Bildungsschicht der Literaten abzuschütteln. Zahlreiche Literaten, die gegen diese Form des Absolutismus auftraten, haben ihr Leben für die Macht ihres Standes lassen müssen. Aber auf die Dauer blieben die Literaten immer wieder siegreich[288]. Jede Dürre, Ueberschwemmung, Sonnenfinsternis, Niederlage und jedes auftretende und bedrohliche Ereignis überhaupt spielte ihnen sofort wieder die Macht in die Hände, da es als Folge des Bruches der Tradition und des Verlassens der klassischen Lebensführung angesehen wurde, deren Hüter die Literaten, vertreten durch Censoren und »Hanlin-Akademie«, waren. »Freie Aussprache« wurde in allen solchen Fällen gewährt, die Beratung des Thrones erbeten und der Erfolg war dann stets: Abstellung der unklassischen Regierungsform, Tötung oder Verbannung der Eunuchen, Zurückführung der Lebensform in die klassischen Schemata, kurz: Anpassung an die Literaten-Anforderungen.

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<p>284</p>

Weshalb die Kaiser unter Umständen bei der Placierung darauf Rücksicht nahmen, ob der Kandidat einer Provinz angehörte, welche noch keinen an erster Stelle Placierten aufzuweisen hatte.

<p>285</p>

Ein ganz gutes Beispiel chinesischer Kameralistik bildet Se Ma Tsien's Traktat (Nr. 8, Kap. XXX in Vol. III von Chavannes Ausgabe) von der Handelsbilanz (ping schoan), zugleich das älteste erhaltene Dokument chinesischer Nationalökonomie. Große Händlerprofite der Teilsaatenzeit, Degradierung der Kaufleute im Einheitsreich, Ausschluß von Aemtern, Gehälterfixierung und darnach Fixierung der Grundsteuer, Steuern auf Handel, Forst, Wasser (appropriiert von Großen), Frage der privaten Münzprägung, Gefahr der zu großen Bereicherung Privater (aber: bei Reichtum herrscht – ganz konfuzianisch – Tugend), Transportkosten, Titelkauf, Salz- und Eisenmonopole, Kaufmanns register, Binnenzölle, Preisstabilisierungspolitik, Kampf gegen Submission an Staatslieferanten (direkte Submission an Handwerker) sind die (für unsre Vorstellung nicht zur »Handelsbilanz« gehörigen Gegenstände: innere Ruhe durch Stabilität, nicht: Außen-Bilanz ist eben der kameralistisch-finanz-politische Gegenstand.

<p>286</p>

Das bis 1892 bestehende Monopol der Ko Hong-Kaufleute auf den Handel in dem einzigen den Ausländern geöffneten Hafen von Kanton wurde zum Zweck der Unterbindung jeglichen Verkehrs der Barbaren mit den Chinesen geschaffen; die ungeheuren Gewinste, die es abwarf, machten die beteiligten Amtspfründner jeder freiwilligen Aenderung dieses Zustands abhold.

<p>287</p>

Nicht nur die offiziellen Ming-Geschichten (nächste Anm.) sondern auch das Tschili kuo kiang yu tschi (Hist. géogr. des XVI royaumes, ed. Michels, Paris 1891) ist davon voll. So: p. 7: für 1368 Ausschluß des Harems von Staatsgeschäften (auf Antrag der Hanlin-Akademie), 1498 Eingabe der Hanlin anläßlich des Palastbrandes und der (bei Unfällen typischen) Aufforderung, »frei zu sprechen«, gegen den Favorit-Eunuchen (s. nächste Anm.).

<p>288</p>

Zahlreiche Beispiele dieses Ringens z.B. im Yu tsiuan tung kian kang mu (Ming-Geschichte des Kaisers Kian Lung, ed. Delamarre). Nehmen wir das 15. Jahrhundert: p. 155 (1404): ein Eunuch an der Spitze der Armee (seitdem öfter, so 1428, p. 223), daher auch, 1409 (p. 168): Eindringen der Palastbeamten in die Verwaltung. 1443 (p. 254): ein Hanlin-Doktor verlangt Abschaffung der Kabinettsregierung und Fronerleichterung, vor allem Beratungen des Kaisers mit den Literaten. Ein Eunuch tötet ihn. 1449 (p. 273): der Favorit-Eunuch wird auf Verlangen der Literaten getötet, – aber 1457 werden ihm Tempel errichtet. – 1471: Die Berater müssen durch den Eunuchen mit dem Kaiser verkehren (p. 374). (Genau das gleiche wird von Hiao Kong (361-328 v. Chr.) berichtet). 1472: Eunuchen als Geheimpolizisten (P 273) – was 1481 auf Verlangen der Zensoren abgeschafft wird (p. 289). 1488: Herstellung des alten Rituals. (So in zahlreichen Epochen). – Peinlich für die Literaten verlief die Absetzung eines Eunuchen 1418, bei dem man die Liste der ihn bestechenden Literaten fand. Man setzte durch, daß diese sekretiert und für die Absetzung der Bestechenden ein anderer Vorwand gefunden wurde (eod. p. 422).