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und eine rationale (dialektische) Theologie für praktische und für ideelle Zwecke Bedürfnis wurden. Die Universitäten des Islam trieben nach dem Muster der spätrömischen Rechtsschulen und der christlichen Theologie Kasuistik des heiligen Rechts und der Glaubenslehre, die Rabbinen Gesetzesauslegung, die Philosophenschulen der Brahmanen spekulative Philosophie, Ritual und heiliges Recht. Stets bildeten geistliche Standespersonen oder Theologen entweder überhaupt allein den Lehrkörper oder doch dessen Grundstock, an den sich die in den Händen weltlicher Lehrer befindlichen anderen Fächer angliederten. Im Christentum, Islam, Hinduismus waren Pfründen die Ziele, um derenwillen das Bildungspatent erstrebt wurde. Außerdem natürlich die Qualifikationen zu ritueller oder seelsorgerischer Tätigkeit. Bei den »gratis«arbeitenden alten jüdischen Lehrern (Vorläufern der Rabbinen) nur die Qualifikation zum religiös unentbehrlichen Unterricht der Laien im Gesetz.

      Stets aber war die Bildung dabei durch heilige oder kultische Schriften gebunden. Nur die hellenischen Philosophenschulen pflegten eine reine Laienbildung ohne alle Schriftgebundenheit, ohne alle direkten Pfründeninteressen und nur im Interesse der Erziehung hellenischer »Gentlemen« (Kaloikagathoi). Die chinesische Bildung diente Pfründeninteressen und war schriftgebunden, dabei aber reine Laienbildung teils rituellzeremonialen, teils traditionalistisch-ethischen Gepräges. Weder Mathematik noch Naturwissenschaft, noch Geographie, noch Sprachlehre trieb die Schule. Die Philosophie selbst hatte weder spekulativ-systematischen Charakter, wie die hellenische und, teilweise und in anderem Sinne, die indische und die okzidental-theologische Schulung, noch rational-formalistischen, wie die okzidental-juristische, noch empirisch-kasuistischen, wie die rabbinische, die islamische und, teilweise, die indische. Sie gebar keine Scholastik, da sie nicht, wie der Okzident und vorderasiatische Orient, beide auf hellenistischer Basis, eine fachmäßige Logik betrieb. Dieser Begriff sogar blieb der rein an den praktischen Problemen und Standesinteressen der Patrimonialbureaukratie orientierten, schriftgebundenen und undialektischen chinesischen Philosophie schlechterdings fremd. Was es bedeutete, daß dieser Kernproblemkreis aller abendländischen Philosophie ihr unbekannt blieb, tritt in der Art der Denkformen der chinesischen Philosophen, Konfuzius an der Spitze, ungemein deutlich zutage. Bei größter praktischer Nüchternheit verharrten die geistigen Werkzeuge in einer Gestalt, die – gerade bei manchen wirklich geistvollen, dem Konfuzius zugeschriebenen Aussprüchen – in ihrer Gleichnishaftigkeit eher an die Ausdrucksmittel indianischer Häuptlinge als an eine rationale Argumentation erinnert. Das Fehlen des Gebrauchs der Rede als eines rationalen Mittels zur Erzielung politischer und forensischer Wirkungen, wie es historisch zuerst in der hellenischen Polis gepflegt wurde, wie es aber in einem bureaukratischen Patrimonialstaat mit nicht formalisierter Justiz gar nicht entwickelt werden konnte, machte sich darin fühlbar. Die chinesische Justiz blieb teils summarische Kabinettsjustiz (der hohen Beamten), teils Aktenjustiz. Es gab kein Plädoyer, sondern nur schriftliche Eingaben und mündliche Einvernahme der Beteiligten. In gleichem Sinn aber wirkte die Uebermacht der Gebundenheit an die konventionellen Schicklichkeitsinteressen der Bureaukratie, welche die Erörterung »letzter« spekulativer Probleme als praktisch unfruchtbar, unziemlich und für die eigene Position, wegen der Gefahr von Neuerungen, bedenklich ablehnte.

      Wenn so die Technik und der sachliche Gehalt der Prüfungen rein weltlichen Charakter hatten und eine Art von »Literatenkultur-Examen« darstellten, so verband doch die volkstümliche Anschauung mit ihnen einen ganz anderen, magischcharismatischen, Sinn. In den Augen der Massen war der chinesische, erfolgreich geprüfte Kandidat und Beamte keineswegs nur ein durch Kenntnisse qualifizierter Amtsanwärter, sondern ein erprobter Träger magischer Qualitäten, die – wie wir bald sehen werden – dem diplomierten Mandarin ebenso anhafteten wie dem geprüften und ordinierten Priester einer kirchlichen Gnadenanstalt oder dem zünftig erprobten Magier. Und auch die Stellung des mit Erfolg geprüften Kandidaten und Beamten entsprach in wichtigen Punkten derjenigen etwa eines katholischen Kaplans. Die Absolvierung des Unterrichts und der Prüfung bedeutete kein Ende der Unmündigkeit des Zöglings. Der zum »Baccalaureat« Geprüfte unterstand der Disziplin des Schuldirektors und der Examinatoren. Bei schlechter Führung wurde er aus den Listen gestrichen. Er erhielt unter Umständen Schläge in die Hand. Hatte dann der Amtsanwärter die Prüfungen der höheren Grade mit ihrer strengen Klausur glücklich passiert: – in den Klausurzellen der Prüfungslokalitäten waren schwere Erkrankungen, Todesfälle durch Selbstmorde nicht selten und galten, der charismatischen Auffassung der Prüfung als magischer »Erprobung« entsprechend, als Beweis sündhaften Lebenswandels des Betroffenen, – und rückte er dann, je nach der Rangnummer der bestandenen Prüfung und der Patronage, die er besaß, in ein Amt ein, so blieb er auch weiterhin sein Leben lang unter Schulkontrolle. Nicht nur unterstand er, außer der Gewalt seiner Vorgesetzten, der beständigen Aufsicht und Kritik der Zensoren: ihre Rüge erstreckt sich ja auch auf die rituelle Korrektheit des Himmelssohnes selbst. Und nicht nur war von jeher vorgeschrieben und nach Art der katholischen Sündenbeichte als Verdienst gewertet die Selbstanklage der Beamten[269]. Sondern periodisch, der Regel nach alle drei Jahre, sollte im Reichsanzeiger[270] (wie wir sagen würden) seine durch die amtlichen Erhebungen der Zensoren und Vorgesetzten festgestellte Konduite veröffentlicht werden: das Verzeichnis seiner Verdienste und Fehler; und je nach dem Ausfall dieser öffentlichen Schulzensur wurde er in der Stelle belassen, hinauf oder auch hinab versetzt[271]. Daß für den Ausfall dieser Konduiten regelmäßig andere als nur sachliche Momente den Ausschlag gaben, ist eine Sache für sich. Hier kommt es auf den »Geist« an und dieser war der eines lebenslänglichen Pennalismus von Amts wegen.

      Alle, auch die nur examinierten, nicht angestellten Literaten waren ständisch privilegiert. Die Literaten erfreuten sich nach Festigung ihrer Stellung bald spezifischer ständischer Privilegien. Die wichtigsten waren: 1. Freiheit von den »sordida munera«, den Fronden, – 2. Freiheit von der Prügelstrafe, – 3. Pfründen (Stipendien). Dies letztere Privileg ist durch die Finanzlage in seiner Tragweite längst ziemlich stark reduziert. Es bestanden zwar für Seng zum (»Baccalaureen«) noch Studienstipendien (10$ jährlich) unter der Bedingung, alle 3-6 Jahre der Kiu jie-(»Lizentiaten«-)Prüfung sich zu unterziehen. Aber das bedeutete natürlich nichts Entscheidendes. Die Lasten der Ausbildung und: der Karenzzeiten fielen faktisch der Sippe anheim, wie wir sahen, – sie hoffte durch das schließliche Einlaufen ihres Mitgliedes in den Hafen des Amts auf ihre Kosten zu kommen. Die beiden andern waren noch bis zuletzt von Bedeutung. Denn Fronden kamen, wenn auch in sinkendem Ausmaß, immer noch vor. Prügel aber blieben die nationale Strafform. Sie entstammten ihrerseits der fürchterlichen Prügelpädagogik der chinesischen Volksschule, deren Eigenart in folgenden an unser Mittelalter erinnernden, aber doch offenbar noch extremer entwickelten, Zügen bestehen soll[272]: Die Väter (der Sippen oder Dörfer) stellten die »rote Karte« (Schülerliste, Kuan tan) zusammen, engagierten aus den stets in Ueberangebot vorhanden amtslosen Literaten den Schulmeister auf Zeit, der Ahnentempel (oder andere ungenutzte Räume) war der bevorzugte Schulraum; von früh bis spät ertönte das Unisono-Brüllen der geschriebenen »Linien«; der Schüler war den ganzen Tag in einem Zustande der »Verbiesterung« (das Zeichen dafür – meng – ist: ein Schwein im Kraut). Der Student und Graduierte erhielt noch »Tatzen« (in die Hand, nicht mehr: auf das – nach der Terminologie deutscher Mütter alten Schlages: – »gottgewollte Plätzchen«), die hoch Promovierten waren, solange sie nicht degradiert wurden, ganz frei davon. Die Fronfreiheit findet sich im Mittelalter als ganz feststehend. Immerhin, trotz (und: wegen) dieser Privilegien – die wie gesagt, prekär waren, weil sie durch die nicht seltene Degradation sofort entfielen – war auf diesem Boden: der Prüfungsdiplomierung als Standesqualifikation, der möglichen Degradation, der jugendlichen und der bei Degradierten noch im Alter möglichen und nicht ganz seltenen Prügel die Entwicklung feudaler Ehrbegriffe ausgeschlossen. Solche hatten einst, in der Vergangenheit, mit gewaltiger Intensität das Leben beherrscht.

      »Offenheit« und »Loyalität« rühmte die alte Annalistik als Kardinaltugenden[273]. »Mit Ehre zu sterben« war die alte Parole. »Unglücklichsein und nicht zu sterben wissen ist feig.« So insbesondere ein Offizier, der nicht »bis zum Tode« kämpfte Скачать книгу


<p>269</p>

Eine solche Selbstanklage eines unachtsam gewesenen Grenzoffiziers (aus der Han-Periode, also lange vor der Einführung der Examina) s. in Nr. 567 der von E. de Chavannes herausgegebenen Dokumente Aurel Steins.

<p>270</p>

Die Anfänge der heutigen »Peking Gazette« gehen auf den zweiten Herrscher der Tang-Dynastie (618-907) zurück.

<p>271</p>

Tatsächlich finden sich in der »Peking Gazette«, besonders oft am Jahresschlusse, aber auch sonst massenhaft, teils unter Bezugnahme auf Berichte von Zensoren, teils der Vorgesetzten, Belobigungen und Beförderungen (oder die Inaussichtstellung solcher) für verdiente Beamten, Degradationen ungenügend qualifizierter zu andern Aemtern (»damit er Erfahrungen sammeln kann«, a.a.O. 31. 12. 97 und oft), Amtssuspensionen mit Stellung zur Disposition, Ausstoßungen ganz unbrauchbarer und auch die Feststellung, daß tüchtigen Leistungen eines Beamten Fehler gegenüberstehen, die er vor weiterer Beförderung zu bessern habe. Fast immer unter eingehender Begründung. Auch finden sich posthume Prügelstrafdekrete für (offenbar) posthum Degradierte. (Peking Gazette vom 26. 5. 95.)

<p>272</p>

Vgl. dazu A. H. Smith, Village life in China (Edinburg 1899, p. 66 ff.).

<p>273</p>

S. zum folgenden: Kun Yu (Discours des royaumes, Ann. Nat. des ètats Chin. de X au V s., ed. de Harlez, London 1895, p. 54. 75. 89. 159. 189 u. ö.).