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Terminologie, »gekniffen« hat, ist Platon ersichtlich reichlich so wichtig wie alles andere, was er den Alkibiades sagen läßt. Im Mittelalter gab die ritterlich-militärische und dann die renaissancemäßig-vornehme Salonbildung ein ganz entsprechendes, nur sozial anders geartetes, Gegengewicht gegen die buchmäßige, priesterlich und mönchisch vermittelte Bildung, während im Judentum und in China ein solches Gegengewicht teils ganz, teils so gut wie ganz fehlte. Hymnen, epische Erzählungen, rituelle und Zeremonialkasuistik waren in Indien wie in China der sachliche Gehalt der literarischen Bildungsmittel. In Indien aber unterbaut durch die kosmogonischen und religionsphilosophischen Spekulationen, derengleichen bei den Klassikern und rezipierten Kommentaren in China zwar nicht gänzlich fehlte, letztlich aber doch offenbar seit jeher nur eine sehr nebensächliche Rolle spielte. Statt dessen hatten die chinesischen Autoren rationale sozialethische Systeme entwickelt. Die chinesische Bildungsschicht war eben nie ein autonomer Gelehrten stand, wie die Brahmanen, sondern eine Schicht von Beamten und Amtsanwärtern.

      Die chinesische höhere Bildung hatte nicht immer ihren heutigen Charakter gehabt. Die öffentlichen Lehranstalten (Pan kung) der Feudalfürsten vermittelten, neben Kenntnis der Riten und der Literatur: Tanz- und Waffenkunst. Erst die Befriedung des Reichs im patrimonialen Einheitsstaat und endgültig das reine Amtsprüfungswesen wandelten jene der althellenischen wesentlich näher stehende Erziehung in die bis in dies Jahrhundert bestehende um.

      Die mittelalterliche Erziehung, wie sie auch das maßgebliche orthodoxe Siao-Hio: »Jugendlehre«, wiedergibt, legte noch erhebliches Gewicht auf Tanz und Musik. Zwar der alte Kriegstanz scheint nur noch in Rudimenten vorhanden, aber im übrigen lernten die Kinder je nach der Altersstufe bestimmte Tänze. Als Zweck wird Bändigung der bösen Leidenschaften hingestellt: wenn ein Kind bei der Erziehung nicht gut tut, soll man es tanzen und singen lassen. Musik bessert den Menschen, Riten und Musik sind die Grundlage der Selbstbeherrschung[262]. Die magische Bedeutung der Musik war dabei das Primäre: »Richtige Musik – d.h. die nach den alten Regeln und streng im alten Maß verwendete Musik – hält die Geister im Zaum«[263]. – Bogenschießen und Wagenlenken galt noch im Mittelalter als allgemeiner Erziehungsgegen stand vornehmer Kinder[264]. Aber wesentlich war das nur noch Theorie. Die Durchmusterung der Jugendlehre zeigt, daß die häusliche Erziehung – seit dem 7. Lebensjahre streng nach Geschlechtern getrennt – im wesentlichen in der Einprägung eines über alle okzidentalen Begriffe gehenden Zeremoniells, speziell der Pietät und Ehrfurcht gegen die Eltern und alle Vorgesetzten und älteren Personen überhaupt bestand und im übrigen fast nur Regeln der Selbstbeherrschung darbot.

      Neben diese häusliche trat nun die Schulerziehung, für welche in jedem Hsien eine Volksschule vorhanden sein sollte. Die höhere Bildung setzte das Bestehen der ersten Zulassungsprüfung voraus.

      Vor allem blieb also dieser chinesischen (höheren) Bildung zweierlei eigentümlich. Zunächst: daß sie ebenso, wie anderwärts alle priesterlich geschaffene Bildung, ganz unmilitärisch und rein literarisch war. Dann aber, daß der in wörtlichem Sinne literarische: schrift mäßige Charakter hier ins Extrem gesteigert wurde. Dies scheint zum Teil eine Folge der Eigentümlichkeit der chinesischen Schrift und der aus ihr erwachsenen literarischen Kunst[265]. Da die Schrift in ihrem bildhaften Charakter verharrte und nicht zu einer Buchstabenschrift, wie sie die Handelsvölker des Mittelmeeres geschaffen haben, rationalisiert wurde, so wendete sich das literarische Produkt an Auge und Ohr zugleich und an das erstere wesentlich mehr als an das letztere. Jedes »Vorlesen« der klassischen Schriften war schon eine Uebersetzung aus dem Schriftbild in das (nicht geschriebene) Wort, denn der anschauliche Charakter zumal der alten Schrift stand dem Gesprochenen dem inneren Wesen nach fern. Die monosyllabische Sprache, welche nicht nur das Laut-, sondern auch das Tongehör in Anspruch nimmt, steht, in ihrer nüchternen Knappheit und ihrem Zwang syntaktischer Logik, im äußersten Gegensatz zu jenem rein anschaulichen Charakter der Schrift. Aber trotz oder vielmehr – wie Grube geistvoll darlegt – zum Teil wegen ihrer, der Struktur nach, stark rationalen Qualitäten hat sie weder der Dichtung noch dem systematischen Denken noch der Entfaltung der rednerischen Kunst die Dienste leisten können, welche der hellenische, lateinische, französische, deutsche und russische Sprachbau, jeder in anderer Art, dargeboten hat. Der Schriftzeichenschatz blieb weit reicher als der unvermeidlich festbegrenzte Wortsilbenschatz, und aus der dürftigen formelhaften Verstandesmäßigkeit dieses flüchteten sich daher alle Phantasie und aller Schwung in die stille Schönheit jenes zurück. Die übliche Dichtungs sprache galt der Schrift gegenüber als im Grunde subaltern, nicht das Sprechen, sondern das Schreiben und das die Kunstprodukte des Schreibens rezipierende Lesen als das eigentlich künstlerisch Gewertete und des Gentleman Würdige. Das Reden blieb eigentlich eine Sache des Pöbels. Im schärfsten Gegensatz gegen das Hellenentum, dem die Konversation alles, die Uebertragung in den Stil des Dialoges die adäquate Formung jedes Erlebten und Erschauten war, verharrten gerade die feinsten, weit über der charakteristischerweise gerade in der Mongolenzeit blühenden Dramatik gewerteten, Blüten der literarischen Kultur gewissermaßen taubstumm in ihrer seidenen Pracht. Von den namhaften Sozialphilosophen hat Meng Tse (Mencius) sich der Dialogform systematisch bedient. Eben deshalb erscheint er uns leicht als der einzige zu voller »Klarheit« gediehene Repräsentant des Konfuzianismus. Die sehr starke Wirkung der (von Legge) sog. »konfuzianischen Analekten« auf uns beruht ebenfalls darauf, daß die Lehre hier (wie übrigens gelegentlich auch sonst) in die Form von (teilweise wohl authentischen) sentenziösen Antworten des Meisters auf Fragen der Schüler gekleidet, also, für uns, in die Sprach form transponiert ist. Im übrigen enthält die epische Literatur die oft in ihrer lapidaren Wucht höchst eindrucksvollen Anreden der alten Kriegskönige an das Heer und besteht ein Teil der didaktischen Annalistik aus Reden, deren Charakter jedoch eher pontifikalen »Allokutionen« entspricht. Sonst spielt die Rede in der offiziellen Literatur keine Rolle. Ihre Unentwickeltheit wurde, wie wir gleich sehen werden, durch soziale und politische Gründe mitbedingt. Einerseits blieb so trotz der logischen Qualitäten der Sprache das Denken weit stärker im Anschaulichen stecken und erschloß sich die Gewalt des Logos, des Definierens und Räsonierens, dem Chinesen nicht. Andererseits löste diese reine Schriftbildung den Gedanken noch stärker von der Geste, der Ausdrucksbewegung, als dies der literarische Charakter einer Bildung ohnedies zu tun pflegt. Zwei Jahre lang lernte der Schüler etwa 2000 Schriftzeichen lediglich malen, ehe er in ihren Sinn eingeführt wurde. Weiterhin bildete der Stil, die Verskunst und die Bibelfestigkeit in den Klassikern, endlich die zum Ausdruck gebrachte Gesinnung des Prüflings, den Gegenstand der Aufmerksamkeit.

      Sehr auffällig tritt in der chinesischen Bildung, selbst der Volksschulbildung, das Fehlen einer Schulung im Rechnen hervor. Und zwar obwohl im 6. Jahrhundert v. Chr., also in der Periode der Teilstaaten, der Positions gedanke entwickelt war[266], die »Rechenhaftigkeit« im Verkehr alle Schichten der Bevölkerung durchdrungen hatte und die Abrechnungen der Verwaltungsstellen ebenso minutiös wie – aus den früher erwähnten Gründen – unübersichtlich waren. Die mittelalterliche Jugendlehre (Siao Hio I, 29) zählt zwar unter den sechs »Künsten« auch das Rechnen auf und zur Zeit der Teilstaaten gab es eine Mathematik, welche angeblich neben Regeldetri und kaufmännischem Rechnen auch Trigonometrie einschloß. Angeblich sei diese Literatur bei der Bücherverbrennung Schi Hoang Ti's bis auf Trümmer verloren gegangen[267]. Jedenfalls ist von der Rechenkunst weiterhin in der Erziehungslehre nirgends mehr auch nur die Rede[268].

      Innerhalb der Erziehung des vornehmen Mandarinentums trat die Schulung im Rechnen im Lauf der Geschichte immer mehr zurück und verschwand schließlich ganz: die gebildeten Kaufleute lernten es erst im Kontor. Der Mandarin war seit der Reichseinheit und der Erschlaffung der Rationalisierungstendenz in der Staatsverwaltung ein vornehmer Literat, nicht aber ein Mann, der sich mit der »σχολή« des Rechnens befaßte.

      Der weltliche Charakter dieser Bildung stand im Gegensatz gegen andere, ihr sonst verwandte, Erziehungssysteme literarischen Gepräges. Die literarischen Prüfungen waren rein politische Angelegenheit. Der Unterricht erfolgte teils durch private Einzellehre, teils in gestifteten

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<p>262</p>

Siao Hio ed. de Harlez, V, 11, I, 29. 40. Vgl. das Zitat aus Tschu Tse p. 46 das. Ueber die Frage der Altersstufen I, 13.

<p>263</p>

A.a.O. I, 25, ferner 2. Einleitung Nr. 5 f.

<p>264</p>

Auch dafür existierten literarische Vorschriften.

<p>265</p>

Es bedarf kaum der Bemerkung, daß das hier über die Sprache und Schrift Gesagte durchaus nur wiedergibt, was so hervorragende Sinologen wie namentlich der verstorbene W. Grube den Nichtkenner lehren, und nicht etwa eigenen Studien entstammt.

<p>266</p>

J. Edkins, Local Value in Chines. Arithmetical notation, Journ. of the Peking Oriental Society I Nr. 4, p. 161 f. Der chinesische abacus verwendete den (dezimalen) Positionswert. Das verschollene ältere Positionssystem scheint babylonischen Ursprungs zu sein.

<p>267</p>

de Harlez, Siao Hio, p. 42 Anm. 3.

<p>268</p>

Auch Timkovski, Reise durch China (1820/1), deutsch von Schmid (Leipzig 1825), hebt das hervor.