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einmal kleinkapitalistischen Charakter des Gewerbes entsprach es, daß eine monopolistische Schließung der Zunft gegen den Nachwuchs im allgemeinen nicht stattfand. Ebenso hat die immer wieder aufgetauchte und zeitweise anscheinend durchgeführte Absicht leiturgischer Schließung der Berufe, der zur Kastenbildung hätte führen können, letztlich diesen Erfolg nicht gehabt. Die Annalistik spricht namentlich von einem Ende des 6. Jahrhunderts gemachten vergeblichen Versuch dieser Art. Ein Rest magisch »unreiner« Stämme und Berufe war geblieben. Man pflegt[226] neun Arten degradierter »Kasten« zu unterscheiden, teils bestimmte Sklavenarten, teils bestimmte Sklaven- oder Kolonen-Abkömmlinge, teils Bettlerkasten, teils Abkömmlinge früherer Insurgenten, teils Abkömmlinge zugewanderter Barbaren (Gaststämme), teils Musiker und bestimmte an Familienzeremonien beteiligten Akteure, ferner Schauspieler und Gaukler – wie im okzidentalen Mittelalter. Für die unreinen Berufe bestanden, wie unter indischen Verhältnissen, feste, vererbliche und verkäufliche Kundschaften. Konnubium, Kommensalität und Zulassung zu den Graden blieb allen degradierten Kasten versagt. Jedoch war kraft kaiserlicher Erlasse für diejenigen, welche einen unreinen Beruf aufgaben, gerichtliche Rehabilitierung zulässig (und wurde z.B. noch 1894 für einzelne dieser Kasten verfügt). Sklaverei entstand seit Einstellung der Eroberungskriege durch Ergebung oder Verkauf seitens der Eltern oder (strafweise) seitens der Regierung. Der Freigelassene schuldete dem Patron Obödienz – wie im Okzident – und war unfähig, Grade zu erwerben. Die Kontraktarbeiter (Ku kong) schuldeten während des Dienstes Obödienz und entbehrten der Kommensalität mit dem Herren[227].

      Was von solchen kastenartigen Erscheinungen bis in die Gegenwart geblieben war, bildete nur einen kümmerlichen Rest der einstigen ständischen Gliederung, deren praktische Konsequenz vor allem in der Befreiung der privilegierten Stände (»große Familien« – der Ausdruck: »die hundert Familien« für »das Reich« meinte diese Schicht – und Literaten) von der Fronpflicht und Prügelstrafe (die bei ihnen in Geld und Haft umgewandelt wurde) bestand. Degradation zum »Plebejer« war möglich. Die alte erbcharismatische ständische Gliederung wurde schon früh durch die für fiskalische Zwecke stets erneut vorgenommene Gliederung nach reinen Besitz klassen durchbrochen.

      Neben den Sippen, den Gilden und Zünften blühte im neuzeitlichen China – für die Vergangenheit ist für den Außenstehenden[228] Sicheres nicht zu ermitteln – die Assoziation in Form des Klubs, hwui, auf allen, auch ökonomischen, kreditgenossenschaftlichen, Gebieten[229]. Dies soll uns im einzelnen hier nicht interessieren. Ziel und Sporn des Ehrgeizes und soziale Legitimation für den, der sie erreichte, war jedenfalls in modernen Zeiten die Zugehörigkeit zu einem angesehenen Klub in der chinesischen Nivelliertheit wie in der amerikanischen Demokratie. Ganz ebenso wie das am Laden angeheftete Aufnahmediplom der chinesischen Zunft dem Käufer die Warenqualität garantierte[230]. Die Extensität der patrimonialbureaukratischen Verwaltung in Verbindung mit dem Fehlen einer rechtlich gesicherten ständischen Gliederung bedingte auch diese Erscheinungen.

      Außer einem verliehenen Titularadel existierten in der Neuzeit – wenn die strenge Scheidung der im Mandschu-Heerbann registrierten Familien, der Ausdruck der seit dem 17. Jahrhundert bestehenden Fremdherrschaft, beiseite gelassen wird – geburtsständische Unterschiede unter Chinesen selbst, sahen wir, nicht mehr. Und nachdem zuerst im 8. Jahrh. die »bürgerlichen« Schichten eine starke Lockerung der polizeistaatlichen Fesselung erlangt hatten, bestand im 19. Jahrhundert, und zwar offenbar seit langer Zeit: Freizügigkeit, obwohl auch diese in offiziellen Edikten nicht anerkannt war. Die Zulassung zur Ansiedelung und zum Grundbesitz in einer andern als der Heimatgemeinde ist sicherlich, wie im Okzident, erst durch den Fiskalismus erzwungen worden. Seit 1794 erwarb man die Ortszugehörigkeit durch Erwerb von Grundbesitz und 20 jährige Steuerzahlung und verlor damit die Ortszugehörigkeit in der Heimatgemeinde[231]. Ebenso bestand seit langem – so sehr (1671) das »Heilige Edikt« noch das Bleiben im Beruf empfahl – freie Berufswahl. In der Neuzeit bestand weder Paßzwang noch Schul- oder Militärdienstzwang. Ebenso fehlten Wucher- und ähnliche den Güterverkehr beschränkende Gesetze. Immer wieder muß angesichts all dessen betont werden: Dieser, der freien Entfaltung des bürgerlichen Erwerbs scheinbar höchst förderliche Zustand hat dennoch keine Entwicklung eines Bürgertums okzidentalen Gepräges hervorgebracht. Wie wir sahen, sind nicht einmal diejenigen Formen kapitalistischen Erwerbes zur Vollreife gelangt, welche im Okzident schon das Mittelalter kannte. Es hätte sich, – wieder die alte Frage: aus den erwähnten kleinkapitalistischen Ansätzen, rein ökonomisch angesehen, recht gut ein rein bürgerlicher, gewerblicher Kapitalismus entwickeln können. Eine Reihe von Gründen lernten wir schon kennen. Sie führten fast alle auf die Staats struktur zurück.

      Politisch stand die patrimoniale Staatsform, vor allem der patrimoniale Charakter der Verwaltung und Rechtsfindung mit ihren typischen Folgen: dem Nebeneinander eines Reiches der unerschütterlichen heiligen Tradition und eines Reiches der absolut freien Willkür und Gnade, hier wie überall der Entwicklung wenigstens des in dieser Hinsicht besonders empfindlichen gewerblichen Kapitalismus im Wege: das rational kalkulierbare Funktionieren der Verwaltung und Rechtspflege, welches ein zum rationalen Betrieb sich entwickelndes Gewerbe bedurfte, fehlte. In China, wie in Indien, wie im islamischen Rechtsgebiet und überhaupt überall, wo nicht rationale Rechtsschaffung und Rechtsfindung gesiegt hatte, galt der Satz: »Willkür bricht Landrecht«. Er konnte aber der Entwicklung kapitalistischer Rechtsinstitute nicht, wie er es im okzidentalen Mittelalter tat, zugute kommen, weil einerseits die korporative Autonomie der Städte als politischer Einheiten und andererseits die privilegienmäßig garantierte und fixierte Festlegung der entscheidenden Rechtsinstitutionen: – die, beide zusammen, im Mittelalter, gerade mit Hilfe dieser Grundsätze, alle dem Kapitalismus gemäßen Rechtsformen geschaffen haben, – fehlte. Das Recht war zwar in weitem Umfang nicht mehr eine von Ewigkeit her geltende und nur – durch magische Mittel – richtig zu »findende« Norm. Denn die kaiserliche Verwaltung war sehr fruchtbar gewesen in der Schaffung massenhaften Statutarrechtes. Und zwar zeichnen sich ihre Bestimmungen, im Gegensatz etwa zu den patriarchalen Belehrungen und Vermahnungen buddhistischer Monarchen Indiens, – mit denen die ethischen oder verwaltungsmäßigen Anordnungen manche Aehnlichkeit haben –, wenigstens auf dem eigentlichen Rechts gebiet durch relativ knappe geschäftliche Form, und z.B. auf dem Gebiet des Strafrechtes, wie besonders J. Kohler betont hat, durch ein ziemliches Maß von Sublimierung der Tatbestände (Berücksichtigung der »Gesinnung«) aus. Diese Statuten sind auch (im Ta Tsing Liu Li) systematisch gesammelt. Aber privatrechtliche Bestimmungen gerade über die für den Verkehr in unserem Sinn wichtigsten Gegenstände vermißt man fast völlig (sie erscheinen hie und da indirekt). Wirklich garantierte »Freiheitsrechte« des einzelnen fehlten im Grunde gänzlich. Der Rationalismus des Literatenbeamtentums in den miteinander konkurrierenden Teilstaaten hatte in einem Einzelfall (536 n. Chr. im Staate Tsheng) die Kodifikation des Rechts (auf Metalltafeln) in Angriff genommen. Aber bei der Diskussion dieser Frage innerhalb der Literatenschicht wurde nach der Annalistik[232] mit Erfolg (durch einen Minister des Tsin-Staates) geltend gemacht: »Wenn das Volk lesen kann, wird es seine Oberen verachten.« Das Charisma der gebildeten Pa trimonialbureaukratie schien in Gefahr, an Prestige zu verlieren, und diese Machtinteressen ließen einen solchen Gedanken seitdem nie wieder aufkommen. Verwaltung und Rechtsfindung waren zwar formal durch den Dualismus der Fiskal- und Justizsekretäre, aber nicht wirklich in der Art ihrer Ausübung getrennt, wie auch – durchaus patrimonial – die Hausdiener des Beamten, die er auf seine Kosten engagierte, die Polizisten und Subalternbeamten für seine Verwaltung hergaben. Der antiformalistische patriarchale Grundzug verleugnete sich nirgends: anstößiger Lebenswandel wurde gestraft auch ohne Spezialbestimmung. Das Entscheidende war aber der innerliche Charakter der Rechtsfindung: Nicht formales Recht, sondern materiale Gerechtigkeit erstrebte der ethisch orientierte Patrimonialismus hier wie überall. Eine offizielle Präjudiziensammlung fehlte daher, trotz des Traditionalismus, weil der formalistische Charakter des Rechts abgelehnt wurde und, vor allem, kein Zentralgericht wie in England bestand. Die Präjudizien kannte der lokale »Hirte« des Beamten. Wenn dem Beamten empfohlen wurde:

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<p>226</p>

S. Hoang, Mélanges sur l'admin. (Var. sinolog. 21, Schanghai 1902, P. 120 f.)

<p>227</p>

Die Kolonen und Landarbeiter – ehemals: Heloten der Herrenschicht – gehörten nicht zu dieser Kategorie.

<p>228</p>

Einige neueste gute Dissertationen darüber blieben mir unzugänglich.

<p>229</p>

Insbesondere auch in den an griechische ἔρανοι erinnernden Formen. Entweder so, daß durch eine Kreditgenossenschaft (shê) ein Geldkapital akkumuliert und dann dessen Nutzung verauktioniert oder verlost wird (Smith, Village Life in China, Edinburgh 1859). Oder auch in der Art, daß der Schuldner des von Freunden ihm gegebenen Darlehens der Klub-Präsident wurde, der den Genossen (seinen Gläubigern) auf diese Art seine Schulden ratenweise zurückzuzahlen durch Klub-Ehre angehalten wurde. Doolittle (Social life of the Chinese, London 1866) führt (p. 147 f.) Beispiele solcher Klubs an. Die Empfänger der Rückzahlungsraten wurden oft ausgelost. Es ist das der Kunstersatz für den alten Nachbarschaftskredit und: für den Konkurs verwalter.

<p>230</p>

Oder ein entsprechender Anschlag den Grundsatz: fester Preise (»one price«, »truly one price« nach Doolittle a.a.O.) – aber im Gegensatz zu den Puritanern ohne alle Garantie der wirklichen Durchführung des Grundsatzes.

<p>231</p>

Von staatlichem Interesse war diese Frage für die Meldungen zum Examen, da die Zahl der Pfründen nach Provinzen repartiert war. In den offiziellen Listen, z.B. den Heereslisten schon der Han-Zeit, wird dem Namen stets die Orts- und Bezirksangehörigkeit (damals zweifellos durch die Heimat der Sippe bestimmt) zugefügt.

<p>232</p>

Vgl. dazu E. H. Parker, Ancient China simplified, London 1908, p. 112 ff.